Qualifizierte Versorgung von Kindern mit Diabetes zunehmend gefährdet
Berlin – Für die Behandlung der rund 32.000 Kindern mit Diabetes mellitus in Deutschland stehen heute modernste Therapien und Technologien zur Verfügung. Dennoch beobachten Experten eine zunehmende Verschlechterung der Versorgung.
Ein Grund dafür ist, dass viele der betroffenen Kinder und deren Familien nicht durch qualifizierte multiprofessionelle Diabetesteams behandelt werden, wie die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) heute erklärte.
Bei einer Online-Pressekonferenz anlässlich des bevorstehenden Weltkindertages am 20. September kritisierten Experten der DDG, dass die in nationalen und internationalen Leitlinien geforderte multiprofessionelle Betreuung junger Diabetespatienten nicht ausreichend umgesetzt werde.
„So gut moderne Therapien und Technologien auch sind“, sagte Karin Lange, 2. Vorsitzende der AG „Diabetes und Psychologie“ der DDG, „Sie stellen hohe Ansprüche an einen strukturierten Alltag der Familien, Erziehungskompetenz, Selbstdisziplin, Selbstmanagement und das Verständnis komplexer Zusammenhänge.“
Familien mit Diabetesmanagement oft überfordert
Und damit sind Familien in ihrem Alltag oft überfordert, wie etwa die Fragebogenstudie AMBA deutlich machte. „Sie benötigen neben der therapeutischen auch psychosoziale Unterstützung, um diese Mehranforderungen ausreichend zu bewältigen“, so Lange, die an der Medizinischen Hochschule Hannover die Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Psychologie leitet.
Der Bedarf an psychologischer Betreuung und sozialen Hilfen initial und während der ambulanten Langzeitbehandlung ist einer aktuellen Umfrage der Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Diabetologie (AGPD) der DDG zufolge in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen.
Ursachen seien zum Beispiel, dass es immer mehr Kleinkinder mit Diabetes gebe, mehr Eltern unzureichende Deutschkenntnisse und/oder einen niedrigen sozioökonomischen Status hätten, es mehr Alleinerziehende, Patchwork-Familien und psychisch erkrankte Eltern gebe.
Ein multiprofessionelles Diabetesteam bestehend aus Kinderdiabetologen, Psychologen und Diabetesassistenten hat die Möglichkeit, nicht nur die Stoffwechselwerte unter Kontrolle zu halten, sondern auch die seelische Gesundheit und die Fähigkeit zum Selbstmanagement im Alltag zu fördern.
„Deutschland besteht jedoch aus einem Flickenteppich an Maßnahmen und Regelungen, die diese Familien unterstützen – insbesondere in ländlichen Regionen gibt es nur wenig Unterstützung“, so Lange.
Interdisziplinären Teams mangelt es an Finanzierung
Speziell in der ambulanten Versorgung sind interdisziplinäre Teams selten vorgesehen und finanziert. Doch auch der stationäre Sektor könne dies nur unzureichend abfedern, da entsprechende Strukturen an universitären Einrichtungen oder Kinderkliniken ebenso unzureichend gegenfinanziert und defizitär seien, kritisierte Lange.
Infolge der unzureichenden Finanzierung pädiatrischer Leistungen im DRG-System gegenüber 2008 sei der Stellenumfang und die Zahl psychosozialer Fachleute im stationären Sektor deutlich reduziert worden, berichtete Lange. Zudem seien fast alle Kinderkliniken von einem steigenden Mangel an jungen Ärzten und Pflegekräften betroffen.
Um dieser „relevanten Gefährdung der qualifizierten Versorgung der Kinder und Jugendlichen mit Diabetes“ entgegenzuwirken, müssten qualifizierte (über-)regionale multiprofessionelle Zentren mit adäquater Finanzierung stationärer und ambulanter Leistungen und Ausbildungsauftrag verstetigt werden, so Lange. Telemedizinische Angebote könnten dabei weite Anreisen der Familien reduzieren.
Und letztlich seien auch Zentren für junge Menschen mit Typ-1-Diabetes denkbar, das heißt nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern auch für junge Erwachsene, in denen neue Technologien mit einer multiprofessionellen Behandlung verbunden würden.
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