Reinhardt: Ohne Reformen droht ein Versorgungsnotstand
Berlin – Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt, warnt vor Beeinträchtigungen in der medizinischen Versorgung sollten Reformen im System ausbleiben. „Unser Gesundheitswesen steuert ungebremst auf einen Versorgungsnotstand zu, wenn wir nicht entschlossen gegensteuern“, sagte er kurz vor dem Deutschen Ärztetag.
Ein wichtiger Ansatzpunkt sei besseres Steuern in der Versorgung. „Es sollte zum Normalfall werden, dass sich Patientinnen und Patienten bei einer Hausarztpraxis einschreiben, die dann die Koordinierung der Weiterbehandlung übernimmt.“
Eine effizientere Versorgung ist auch ein wichtiges Thema beim Deutschen Ärztetag, der am morgigen Dienstag in Leipzig beginnt. Erwartet wird die neue Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU).
Reinhardt erläuterte, in Deutschland würden Patienten systembedingt mit der Organisation und Koordination ihrer Versorgung weitgehend allein gelassen. „Besonders betroffen sind die Schwächsten: ältere Menschen, chronisch Kranke, Menschen mit geringerer Gesundheitskompetenz.“
Deutschland habe mit 9,6 Arztkontakten pro Kopf im Jahr eine der höchsten Raten weltweit. In bestimmten Regionen habe jeder Zweite im Schnitt zwei Hausärzte. „Diese Entwicklung ist nicht nur ineffizient, sie ist angesichts von Personalengpässen und begrenzten finanziellen Mitteln schlicht nicht mehr tragbar“, sagte der BÄK-Chef.
In diesem Zusammenhang wiesen im Koalitionsvertrag skizzierte Maßnahmen in die richtige Richtung. Union und SPD wollen einführen, dass Patienten primär in eine Hausarztpraxis gehen, die sie - mit Termin in einem bestimmten Zeitraum - bei Bedarf zu Fachärzten überweist.
Reinhardt betonte aber, dass eine Überweisung durch Hausärzte keine Zugangskontrolle ins System bedeuten dürfe. Sie solle dann erfolgen, wenn eine fachärztliche Weiterbehandlung erforderlich oder absehbar sei.
Perspektivisch solle das Prinzip „digital vor ambulant vor stationär“ genutzt werden, um Patienten auf ihrem Weg in die Versorgung zu unterstützen und zu leiten.
Reinhardt wies auch auf generellen Handlungsdruck hin. „Die Menschen werden älter, ihre medizinischen Bedürfnisse größer. Gleichzeitig verlassen immer mehr Fachkräfte altersbedingt das System – ohne dass ausreichend Nachwuchs nachrückt.“
Der BÄK-Chef rief die Bundesregierung zugleich dazu auf, Anreize für Ärzte zur Weiterarbeit im Rentenalter zu schaffen. Es gebe ein Potenzial von 20.000 zusätzlichen Vollzeitstellen, sagte Reinhardt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
„Wenn wir es schaffen, engagierten Ärztinnen und Ärzten im Ruhestand den Wiedereinstieg zu erleichtern, wäre das ein echter Gewinn für die Versorgung und ein entscheidender Schritt hin zu einer nachhaltigen Fachkräftestrategie im Gesundheitswesen.“
Reinhardt bezog sich mit seinen Äußerungen auf eine nicht repräsentative Onlineumfrage im Deutschen Ärzteblatt. „Wer im Ruhestand weiterarbeitet, will sich nicht mit betriebswirtschaftlichen Fragen, Personalführung oder Bürokratie herumschlagen“, sagte Reinhardt weiter.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz übte Kritik an Bundesärztekammer und Bundesregierung. „Während Bundesärztekammer und Bundesregierung schnell bei der Hand sind, eine Patientensteuerung zu fordern, verlieren sie kein Wort über Verteilung, Präsenzzeiten und Erreichbarkeit der Vertragsärzte“, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch.
Es fehle „zuallererst eine effiziente Steuerung der ambulanten medizinischen Praxen“, bemängelte Brysch. Darunter litten immobile, alte und pflegebedürftige Menschen. „Der Versorgungsnotstand ist also hausgemacht.“
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