Ärzteschaft

Ressourcenmangel: Buyx sieht „perfekten Sturm“

  • Samstag, 8. November 2025
Andreas Valentin und Alena Buyx /Mark Bollhorst
Andreas Valentin und Alena Buyx /Mark Bollhorst

Berlin – Auch wenn Ressourcenmangel kein neues Thema im Gesundheitswesen ist – die Lage gestaltet sich zunehmend schwierig. „Wir haben einen perfekten Sturm“, sagte die Medizinethikerin Alena Buyx gestern in Berlin bei der 146. Hauptversammlung des Marburger Bundes (MB).

Die ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, die dem derzeit ruhenden Expertenrat Gesundheit und Resilienz der Bundesregierung angehört, bezog sich damit auf den unguten Mix aus demografischer Entwicklung, kontinuierlicher Kostensteigerung, zunehmend steigendem Bedarf und wachsendem Angebot, „weil wir in der Medizin so viele tolle Sachen anzubieten haben“. Gesellschaftlich seien zudem nun andere Ziele im Blick als etwa vor 20 Jahren. „Das heißt: Wir sind einfach echt unter Druck“, sagte Buyx.

Die Ärztegewerkschaft hatte den Punkt „Ärztliches Engagement vs. systemische Erschöpfung – Ressourcenmangel im Gesundheitswesen“ auf ihr Programm gesetzt. Neben zwei Expertenvorträgen gab es dazu eine ausführliche Diskussion der Delegierten über verschiedene Aspekte und Ursachen von Unter-, Über- und Fehlversorgung.

Andreas Valentin, Mitglied der Bioethikkommission beim österreichischen Bundeskanzleramt, machte deutlich, dass in der Diskussion das Halten und Fördern von Nachwuchskräften nicht vernachlässigt werden dürfe: „Es muss eine Begeisterung erhalten bleiben“, appellierte er.

Als Ursachen für systemische Erschöpfung führte er unter anderem auf: Personalmangel, Ökonomisierung, Bürokratie (bis zu 40 Prozent der Arbeitszeit), hierarchische Strukturen und sogenannten „Moral Distress“: Belastung darüber, dass man das, was richtig wäre, wegen äußerer Hürden nicht umsetzen kann.

Ärzte im klinischen Bereich könnten etwa durch Rückhalt im Team oder durch die Institution gestärkt werden, führte Valentin aus. Hinzu komme zum Beispiel das Verhindern von ökonomischen Vorgaben, die in Konflikt zu medizinischen Zielen stünden. Gebraucht werde Zeit für Patienten und die Betreuung von Angehörigen.

Schwer umsetzbare Lösungen

Buyx beschrieb die Grundproblematik auch unter Bezug auf den Begriff des „Double Agent“. Ärztinnen und Ärzte seien quasi Doppelagenten: mit obersten ethischen Prinzipien einerseits, wie ärztlicher Fürsorge und Nichtschadensgebot, aber andererseits einer immer stärkeren Verpflichtung zu ökonomischen Prinzipien. Dies sei lange beschrieben, und es nehme „dramatisch“ zu, so Buyx. Dabei betonte sie, dass das Thema Ressourcenmangel sie schon seit Beginn ihrer wissenschaftlichen Laufbahn begleite.

Lösungsmöglichkeiten beschrieb die Medizinethikerin als „super dicke Bretter“, es gehe um rechtlich und politisch extrem schwierig umzusetzende Dinge: Kolleginnen und Kollegen bräuchten mehr Zeit für Patientenversorgung – daher müsse man sie von Bürokratie entlasten. Deren Abbau sei aber so schwierig, da jede einzelne Regel einen gewissen Sinn habe. Bei Arbeitszeitmodellen brauche es größtmögliche Kreativität, damit weniger Kollegen verloren gingen, so Buyx.

Mit Blick auf Künstliche Intelligenz (KI) betonte sie: „Können wir bitte aufhören, die KI vor allem da zu entwickeln, wo sie direkt ins Arzt-Patienten-Verhältnis geht?“ Es brauche zuerst Bemühungen, damit die KI beim Verringern des „Aktenwusts“ helfe. Ein Stichwort, das ein anderer Experte geprägt habe, sei „Screen Liberation“: Zeit ohne Bildschirm gewinnen.

Warnung vor schwierigem Übergang durch Krankenhausreform

Man schaffe es offenbar seit vielen Jahren nicht, sich von offensichtlichen Problemen zu befreien, hielt die 1. Vorsitzende des Marburger Bundes, Susanne Johna, dazu fest. Sie hätten sich sogar noch verschärft und verschärften sich weiter.

Mit Blick auf die Krankenhausreform warnte Johna vor einer drohenden schwierigen Zeit. „Wir werden in eine ganz schwierige Übergangsphase kommen“, sagte sie. Während einerseits bewusst Krankenhäuser geschlossen würden – seit 2024 bereits 36 an der Zahl –, finde nicht gleichzeitig ein Aufbau statt, „weil das gar nicht so schnell geht“. Die eigentlich nötigen ambulanten Operationszentren etwa seien noch nicht da.

Beim aktuellen Abbau von Standorten sehe man bereits, dass die verbliebene Nachbarklinik einen deutlichen Zuwachs an Patienten erlebe, ohne dass es dort bereits mehr Personal gebe. „Das sehen wir jetzt schon deutlich in Nordrhein-Westfalen und wir werden es überall zunehmend sehen.“ Eine Lösung sei nicht absehbar und man würde einen Dialog mit der Politik begrüßen.

Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit (BMG), Tino Sorge, hatte sich zuvor in einem Grußwort hinter die Krankenhausreform gestellt. Man habe bereits an einigen Punkten nachjustiert, sagte er mit Blick auf das Krankenhausanpassungsgesetz (KHAG). „Wir werden jetzt zeitnah im parlamentarischen Verfahren darüber beraten“, sagte Sorge. Nach Informationen des Deutschen Ärzteblattes soll kommende Woche eine erste Debatte dazu im Bundestag stattfinden.

In der Debatte um Ressourcenknappheit spiele ihm persönlich das Thema Digitalisierung noch eine viel, viel zu geringe Rolle, sagte Sorge. Er nannte etwa Ersteinschätzungen und telemedizinische Einschätzungen als Optionen, aber auch Künstliche Intelligenz. Wichtig sei neben dem Abbau von Bürokratie auch das Zusammenwirken mit anderen Berufsgruppen, um Ärztinnen und Ärzte zu entlasten.

Apothekenreform: Es gehe um bessere Vernetzung

Sorge ging auch auf die Kritik aus der Ärzteschaft an der geplanten Apothekenreform ein. Dabei betonte er, dass es nicht darum gehe, dass eine Berufsgruppe Leistungen einer anderen Berufsgruppe übernehmen solle, „sondern es geht grundsätzlich um die Frage: Wie können wir auch eine bessere Vernetzung herstellen und an den Stellen, wo es pragmatisch durchaus sinnvoll sein könnte, auch pragmatische Lösungen eröffnen?“

Johna legte Wert darauf, dass Ärztinnen und Ärzte eine funktionierende Digitalisierung wollten. „Und idealerweise hätten wir auch noch gerne die Möglichkeit, dass nicht vier Ärzte sich ein Zehn-Quadratmeter-Büro mit einem Rechner teilen müssen und jedes Mal fünf Minuten damit verbringen, bis er hochfährt.“ In der Breite seien die Krankenhäuser „längst noch nicht da, wo wir gerne hinwollen“.

So viele Chancen auch in der KI lägen: Noch funktionierten selbst einfachere Dinge nicht, so Johnas Kritik. „Diese Diskrepanz muss unbedingt aufgelöst werden.“ Bei bisherigen Entwicklungen seien Ärztinnen und Ärzte oft auch nicht ausreichend involviert worden.

Mit Blick auf das KHAG warnte Johna vor Mehraufwand für die Häuser: Wenn bei der Vorhaltekostenfinanzierung nichts mehr geändert werde, werde dies „schlicht zu einer massiven Bürokratiezunahme führen“. Das Wort an sich klinge gut, doch es hapere bei der Umsetzung.

ggr

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