Ärzteschaft

Rheumatologen werben mit allen Mitteln um Nachwuchs

  • Donnerstag, 3. September 2020
/picture alliance, Christin Klose
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Berlin – Die Rheumatologie müsse als Fachdisziplin „sexy und cool“ werden, sie müsse sich vom ihrem verstaubten Image in der Bevölkerung, beim Patienten, aber auch bei Studierenden lösen. Das forderte der dies­jährige Kongresspräsident der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh), Hendrik Schulze-Koops, Leiter der Rheumaeinheit des Klinikums der Ludwig-Ma­ximilian-Universität München, anlässlich der virtuellen Pressekonferenz zum diesjährigen Kon­gress­auftakt seiner Fachgesellschaft. Denn die Rheumatologie sei eine der sich am schnellsten entwickelnden Disziplinen und zeichne sich durch eine große fachliche Vielfalt aus.

Die Bedeutung der Rheumatologie ergebe sich bereits allein aufgrund der Zahlen, die eine Vielzahl von Betroffenen und einen großen Diagnose- und Behandlungsbedarf be­leg­ten: Die Prävalenz für entzündliche rheumatische Erkrankungen, Vaskulitiden und Kollagenosen beläuft sich auf 2 bis 3 Prozent, insgesamt litten rund 1,5 Millionen Men­schen in Deutschland an entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, so die Experten auf der Pressekonferenz.

Vor dem Hintergrund der Bedeutung des Faches, aber nicht zuletzt aufgrund eines offi­zi­ellen Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) haben sich nun mehrere Organisationen des Faches Rheumatologie – neben der DGRh sind dies auch die Akut­kli­ni­ken und die niedergelassenen Ärzte – dazu entschlossen, 2020 eine eigene Kampagne zur Stärkung der Aus- und Weiterbildung in der Rheumatologie zu starten.

Denn der G-BA, so erläuterte Schulze-Koops, habe empfohlen, dass hierzulande dem­nächst 8 Prozent und in weiterer Zukunft 10 Prozent der internistischen Kassenarztsitze mit Fachärzten für Rheumatologie besetzt werden sollten. Das sei zwar nur zu befür­wor­ten, allerdings müssten sich alle Beteiligten fragen, woher die denn kommen sollten.

Derzeit liegt die Zahl der internistischen Rheumatologen bei etwa 750. Benötigt für die Versorgung würden indes nahezu doppelt so viele. Allerdings haben sich im vergangenen Jahr lediglich 44 Kollegen zu einem Facharzt für Rheumatologie qualifiziert – was ohne­hin schon zu wenig sei. Außerdem würden diese vermutlich nicht Vollzeit arbeiten, wo­durch die Engpässe weiterhin vergrößert würden, erläuterte der Kongresspräsident.

Möglichkeiten der Weiterbildung äußerst begrenzt

Momentan verfügten an den 35 Hochschulstandorten für Medizin weniger als zehn Uni­ver­sitätsklinika über Lehrstühle oder äquivalente Fortbildungskliniken in der Rheuma­to­logie. Auch bei sonstigen großen Krankenhäusern seien die Möglichkeiten der Weiter­bil­dung äußerst begrenzt, beklagte Hanns-Martin Lorenz vom Vorstand der DGRh.

Wie der Leiter der Sektion Rheumatologie an der Universitätsklinik Heidelberg betonte, habe es die Politik im Jahr 2004 schlicht „verpennt“, den Weiterbildungsauftrag der Klini­ken und Krankenhäuser zu sichern, als das Fallpauschalensystem (DRG) eingeführt wor­den sei. „Ein Krankenhaus ist zur Versorgung da“, so Lorenz, aber dies sei nicht auf die Ver­sorgung der Patienten begrenzt. Würde nicht dafür gesorgt, dass auch künftig genü­gend Fachärzte für eine solche Versorgung zur Verfügung stünden, sei dies „unethisch und kontra­produktiv“.

So würde beispielsweise in anderen europäischen Ländern nicht nur regelmäßig unter­sucht, wie groß der Bedarf an entsprechenden Fachärzten für die Bevölkerung sei, kriti­sierte er. Dort beteilige sich die Politik immerhin anteilig an der Finanzierung der Wei­ter­bildung, die allein aus den Fallpauschalen für die Häuser nicht zu stemmen sei.

„Eine Kollagenose kann so verlaufen, dass eine Klinik sämtliche Ressourcen bis hin zur Inten­sivstation mobilisieren muss“, erläuterte Lorenz. Aber sie könne auch ganz „banal“ verlaufen. Eine einzige Fallpauschale könne nicht ein solch breites Spektrum von Er­schei­nungsformen einer Erkrankung abbilden. Das Fallpau­schalensystem begünstige zudem Fächer wie etwa die Kardiologie, die mittels gut vergüteten Herzkathetern und anderen Interventionen den Kliniken Geld brächten.

Dadurch würden deren Abteilungen groß und könnten eine Vielzahl von Assistenten wei­terbilden, die anderen Fächer hätten indes das Nachsehen. Dies verkenne aber den Eng­pass, der dadurch draußen bei den niedergelassenen Ärzten entstünde. Dort benö­tigte man für die ambulante Versorgung nicht einfach noch mehr Kardiologen, sondern ganz andere Fächer – und eben auch Rheumatologen.

Quantitativ weniger Rheumatologie

Der rein zahlenmäßige Mangel an Rheumatologen habe zudem desaströse Auswirkungen auf die Qualität der Versorgung. Denn viele Patienten benötigen nicht nur zu lange, bis sie einen Termin bei einem Facharzt erhalten – im Durchschnitt dauert es neun Monate, bis selbst die bekannteste und häufigste entzündlich-rheumatische Erkrankung, die Rheu­matoide Arthritis (RA) erkannt wird. Bei selteneren Formen kann das Jahre in Anspruch nehmen.

Sehr oft sind die Patienten dann durch ihre Gelenkdeformationen so stark funktionell – und häufig auch sozial und in puncto Berufstätigkeit – so stark eingeschränkt, dass nur noch operative Eingriffe helfen. Wie Martin Arbogast, der Kongresspräsident der Deutsch­en Gesellschaft für Orthopädische Rheumatologie (DGORh) und Chefarzt der Abteilung für Rheumaorthopädie und Handchirurgie am Klinikum Oberammergau erläuterte, er­schweren drei Umstände solche Eingriffe zusätzlich.

Langjährige Kortisongaben hätten die Haut oftmals dünn und empfindlich werden lassen, zudem sei der Bewegungsapparat durch die Gelenkdeformitäten oft spastisch verändert. „Dies macht bei der Operation besondere Lagerungstechniken erforderlich“, so Arbogast. Zudem würden bei manchen Patienten zwanzig bis dreißig Operationen im Laufe ihres Lebens notwendig, zu viele, um den Betroffenen ständig Vollnarkosen zuzumuten.

Daher versuchte man, beispielsweise mit Regionalanästhesien diesem Faktor Rechnung zu tragen. Und schließlich müssten die Medikamente, die nicht selten immunsuppressiv wirkten, perioperativ abgesetzt werden, um nicht Wundheilungsstörungen oder schwer­wiegende Operationen zu provozieren. Dies erfordere ein exaktes Timing und enge Ab­stimmungen verschiedener Disziplinen und Ärzte untereinander.

Schließlich machte Andreas Krause vom Vorstand der DGRh und Chefarzt am Immanuel Krankenhaus in Berlin auf die deutlich erhöhte Morbidität und Mortalität dieser Patienten aufmerksam. Sie rührt daher, dass rheumatisch-entzündliche Erkrankungen selten ein auf den Bewegungsapparat, die Gefäße oder das Bindegewebe beschränktes Phänomen dar­stellten.

80 Prozent all dieser Patienten wiesen Komorbiditäten etwa der Niere, der Lunge oder des Nervensystems auf. Zudem drohten Folgeerkrankungen, insbesondere kardiovasku­läre wie Herzinfarkt oder Schlaganfall. Bei der Rheumatoiden Arthritis oder der Psoriasis sei das Herz-Kreislauf-Risiko ähnlich erhöht wie bei Patienten, die an einem Diabetes litten, so Krause.

„Hier gilt es, koordinierend tätig zu werden“, so der Rheumatologe, und gerade bei weite­ren Risikofaktoren, etwa Rauchen, die Kollegen zu kontaktieren und so auf strikte Präven­tion hinzuwirken.

Nicht zuletzt, darauf wies Lorenz ausdrücklich hin, ließen sich langfristig und im Hinblick auf die Gesamtkonstellation, auch noch Kosten sparen. Es sei durch zahlreiche Studien belegt, dass sich einer Chronifizierung umso eher vorbeugen ließe, je eher eine sachge­rech­te Therapie begonnen würde.

Daten der Barmer zeigten, dass im Gesundheitswesen absolut gesehen sehr viel Geld – das meiste nach dem hämato-onkologischen Fachgebiet – für rheumatolo­gische Erkran­kungen ausgegeben werden muss. Die schlechte Versorgung im Fachgebiet Rheumato­logie schade damit nicht nur dem einzelnen Patienten, sondern mittelbar über die höhe­ren Therapiekosten zudem der Gesellschaft.

mls

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