Politik

G-BA wehrt sich gegen Kritik bei Mindestmengen zur Versorgung von Frühchen

  • Donnerstag, 17. August 2023
/Wanmongkhol, stock.adobe.com
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Berlin – Die unparteiischen Mitglieder des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) wehren sich gegen Kritik aus der Politik an den neuen Mindestmengen von frühgeborenen Kindern ab dem Jahr 2024. Um an der Versorgung teilzunehmen, müssen Abteilungen der Level-1-Perinatalzentren künftig mindestens 25 Fälle unter 1.250 Gramm pro Jahr nachweisen. Bisher waren es 20.

„Alle drei Unparteiischen sind in großer Sorge um die Qualitätssicherung in den Krankenhäusern“, erklärte der unparteiische Vorsitzende des G-BA, Josef Hecken, bei einer eigens einberufenen Pressekonferenz. Zwar werde das Wort Qualität auf den Pressekonferenzen der Länder angesprochen.

In der Realität sei es aber ungewiss, „ob es bei der geplanten Krankenhausreform bei der Qualitätssicherung bleibt und ob die Min­destmengen bestehen bleiben“, sagte Hecken, der sich gemeinsam mit den unpartei­ischen Mitgliedern, Karin Maag und Monika Lelgemann, vor die Presse stellte.

Aus der Sicht von Hecken werde derzeit zu viel von „Wohnortnähe“ in der Länderplanung gesprochen. Es müsse viel mehr über Mortalität und Morbidität gehen. „Gerade bei der Frühchenversorgung von Kindern un­ter 1.250 Gramm kann man nachweisen, dass mit einer Mindestmenge von 25 das Sterberisiko im Kranken­haus um fünf Prozent reduziert wird. Das gibt es sonst nirgendwo“, erklärte Hecken.

Zum Hintergrund: In der Sitzung des Gremiums der Selbstverwaltung am 20. Juli hatten die Bundesländer den Antrag gestellt, die Mindestmengenregelung bei Frühchen unter 1.250 Gramm für das Jahr 2024 auszusetzen. Den Beschluss des G-BA von 2020, bei dem erstmals eine Mindestmenge bei der Versorgung von Frühchen un­ter 1.250 Gramm mit 14 Fällen pro Standort eingeführt wurde, sollte zunächst nicht weiter verfolgt wer­den.

Diesen Antrag der Länder hatten die Mitglieder des G-BA gegen die Stimmen der Krankenhäuser abgelehnt. Darauf folgten mehrere Interviewäußerungen von Länderministerinnen und Länderministern, dass die Ver­sorgung von Frühchen in ihrem Land möglicherweise nicht mehr gesichert sei. Dabei wurde auch an der Ge­setzmäßigkeit der G-BA Beschlüsse gezweifelt.

Der G-BA hat allerdings laut Paragraf 136b Absatz 1 SGB V den Auftrag, Mindestmengen bei planbarer Versor­gung festzulegen. Diesen Zweifeln an den Entscheidungen tritt Hecken nun entschieden entgegen: 99 Prozent der Geburten sind von der Mindestmenge ausgenommen. „Wer also behauptet, dass hier die Geburtshilfe zu­sammenbreche, verbreitet falsche Fakten“, so Hecken.

Er betonte, die Mindestmenge beziehe sich auf das eine Prozent der Patientinnen, die ein Risiko der Frühge­burt habe. Diese Patientinnen müssten eng betreut werden und somit gebe es bis zu einem gewissen Grad auch Planbarkeit, wann die Geburt stattfinde. In echten Notfällen könne weiterhin in jedem Krankenhaus entbunden werden.

Für die Versorgung sowie die Prognose des Frühchens sei nach den Literaturrecherchen des Institutes für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) sowie Datenanalyse des IQTiGs eine Mindest­menge von 50 wünschenswert. „Das hätte aber dazu geführt, dass sich die Zahl der Perinatalzentren so deut­lich reduziert, dass auch die Fahrtzeiten zu so einem Zentrum deutlich länger gewesen wären“, so Hecken.

Daher habe der G-BA eine angemessene Entscheidung zwischen der Erreichbarkeit und der Mindestmenge getroffen und nicht das Maximum mit Blick auf die Kindesgesundheit. „Entscheidend ist nicht die Wegstre­ckenverlängerung, sondern die strikt empfohlene rechtzeitige Einweisung der Schwangeren in ein geeignetes Level-1-Zentrum vor der Geburt.“

Karin Maag, unparteiisches Mitglied im G-BA und Vorsitzende des Unterausschusses Qualitätssicherung, be­tonte, dass man auch die Patientensicht beachten müsse. „Fehlende Routine am Standort bietet eine Gefahr für Patientinnen und Patienten, daher machen wir hier im G-BA alles unter dem Blickwinkel der Patientensi­cherheit.“

Die Veränderungen, die an Krankenhausstandorten durch eine Mindestmenge stattfinden müssen, würden auch bei der Beschlussfassung des G-BA bedacht werden. Es gebe umfangreiche Folgenabschätzungen bei den Transportwegen und bei den Verlegungsszenarien, aber auch das Thema Länderplanung von Kranken­haus­versorgung sei betrachtet worden.

Durch die Anhebung der Mindestmenge seien die Wegezeiten im statistischen Durchschnitt auf 24 bis 25 Minuten Fahrzeit gestiegen, bei einer durchschnittlichen Strecke von 24 Kilometern. Maag warb für eine sinnvolle Zusammenarbeit auf Landesebene und zwischen den Häusern, da die verbleibenden Standorte erwartbar mehr Patientinnen haben würden.

Dafür müsse auch Personal neu strukturiert werden, auch deshalb sei die Mindestmenge bei den Frühchen stufenweise in Kraft getreten. Mario Rüdiger, Direktor des Zentrums für feto/neonatale Gesundheit am Uni­versitätsklinikum Dresden und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin, unterstützt die Entscheidung des G-BA.

„Der aktuelle Kampf gegen die Mindestmengen ist Ausdruck der Unwilligkeit der Bundesländer, Versorgungs­strukturen an die aktuelle Gegebenheit anzupassen. Die existierenden Strukturen können künftig keine flä­chendeckende Versorgung mehr sichern und gefährden gleichzeitig das Leben extrem unreifer Kinder“, so Rüdiger bei der Pressekonferenz.

In Sachsen hat er mit anderen Mitstreitern eine Struktur aufgebaut, dass Schwangere und Frühchen jeweils an den Häusern versorgt werden, die gerade medizinisch geboten sind, Verlegungen mit eingeschlossen.

Der G-BA hat seit 2006 bereits in acht Bereichen Mindestmengen festgelegt. Für Ende des Jahres wird auch ein Beschluss zu Mindestmengen bei der chirurgischen Behandlung von Brustkrebs erwartet – hier könnte es ab 2024 eine Mindestmenge von 50 geben und ab 2025 eine Mindestmenge von 100 Fällen pro Jahr.

Auch bei den neuen Mindestmengen erwartet der G-BA deutliche Kritik von den Bundesländern. Den etwas mehr als 20 Klagen ge­gen die Mindestmenge bei der Versorgung von Frühchen vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg sieht Hecken nach eigener Aussage entspannt entgegen.

bee

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