Medizin

Riesenzell­arteriitis: Leitlinien müssen überarbeitet werden

  • Mittwoch, 30. August 2017
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Patienten mit Riesenzellarteriitis berichten häufig von starken Kopfschmerzen, auch Muskeln im Becken und im Schultergürtel können teils heftige Beschwerden verursachen. /drubig-photo, stock.adobe.com

Berlin – Die europäischen Leitlinien zur Riesenzellarteriitis (RZA) aus dem Jahr 2009 empfehlen, Patienten mit Cortison zu behandeln (BMJ 2009; doi: 10.1136/ard.2008.088351). Spätestens nach der FDA-Zulassung von Tocilizumab sollte diese Therapieempfehlung bei RZA überarbeitet werden, forderte Bernhard Hellmich, Tagungspräsident des 45. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) heute in Berlin im Vorfeld des Kongresses.

Der Antikörper Tocilizumab, der den Interleukin-6-Rezeptor bindet, wäre das erste zur Therapie der seltenen Riesenzellarteriitis zugelassene Medikament – sofern die EU-Mitgliedstaaten der positiven Empfehlung der europäische Zulassungsbehörde für Medizinprodukte (EMA) aus dem Juli folgen. Dazu Hellmich: „Wir gehen davon aus, dass die Zulassung noch im September, eventuell sogar schon nächste Woche zum Kongress der DGRh, erteilt wird.“ Die US-Arzneibehörde FDA hatte den Antikörper zur Behandlung der häufigsten systemischen Vaskulitis bei Patienten über dem 50. Lebens­jahr bereits im Mai 2017 zugelassen. Im Deutschen Ärzteblatt wurde darüber berichtet:

Die Therapie der Erkrankung besteht bislang vor allem in der langfristigen Gabe von
Cortison, die das Immunsystem bremsen und die Entzündung unterdrücken soll. So steht es momentan auch noch in den Leitlinien. Allerdings flammt die Krankheit oft wieder auf, sobald der Patient Cortison absetzt. Nur bei rund der Hälfte der Betroffenen reicht eine Cortisonbehandlung von rund zwei Jahren aus. Die dauerhafte Gabe der Präparate bringt zudem Nebenwirkungen wie eine Osteoporose oder einen grauen Star mit sich.

Eine Überarbeitung der Leitlinien wurde bereits beantragt. In Kürze soll darüber entschieden werden. „Die überarbeiteten Leitlinien werden vermutlich als erste Wahl eine Kombina­tion aus Cortison und Tocilizumab empfehlen“, erklärt der Chefarzt der Klinik für Innere Medizin, Rheumatologie und Immunologie an der Medius Klinik Kirchheim. Metho­trexat (MTX), das bei vielen anderen rheumatisch entzündlichen Krankheiten zugelas­sen ist und etwa bei der rheumatoiden Arthritis (RA) als Erstlinientherapie eingesetzt wird, könne bei RZA derzeit nur Off-Label verwendet werden, sagt Hellmich. „Die Datenlage zu MTX bei Riesenzellarteriitis ist derzeit noch ungenügend.“

Vielversprechend sehe es hingegen bei Sirukumab aus. Diesen Interleukin-6-Antago­nisten untersucht das Team von Hellmich in Kirchheim derzeit in einer Phase-3-Studie bei RA- und RZA-Patienten. Zwei weitere Medikamente, die nach Einschätzung des Rheumatologen bei RZA Potenzial hätten, wären Abatacept und Ustekinumab. Die Wirkung des Biologikums Abatacept würde aber derzeit vom Hersteller bei RZA nicht weiter untersucht. Ustekinumab sei vor allem deshalb therapeutisch interessant, weil es zwei Cytokine blockiert, die das Wirkprinzip von Sirukumab ergänzen würden: Inter­leukin 12 und 23.

Fortschritte in der Diagnose

In der jüngsten Vergangenheit hat sich auch die Diagnose der Erkrankung deutlich verbessert. Mit der Farbduplex-Sonographie steht nun eine nicht invasive Methode zur Verfügung, mit der sich die typischen Gefäßveränderungen gut nachweisen lassen. „Die Entnahme einer Gewebeprobe ist dann oft überflüssig“, sagt Hellmich. Im Vergleich zu einer Biopsie sei der Ultraschall deutlich schneller, günstiger und für den Patienten weniger belastend. Gerade die Zeitersparnis bis zur Diagnosestellung sei entscheidend, um etwa bleibende Schäden der Augen zu vermeiden.

Die durch die Riesenzellarteriitis verursachten Entzündungen betreffen hauptsächlich die größeren Gefäße im Bereich der Schläfen, können aber auch auf andere Gefäße wie die Aorta oder die Hirngefäße übergreifen. Die Patienten berichten häufig von starken
Kopfschmerzen, auch die Muskeln im Becken und im Schultergürtel können teils heftige Beschwerden verursachen. Die entzündeten Blutgefäße fallen durch verdickte Wände auf, die von ihnen versorgten Gewebe werden oft nur noch unzureichend durch­blutet. Wenn Gefäße betroffen sind, die die Netzhaut des Auges versorgen, kann die Entzündung daher innerhalb kurzer Zeit zur Erblindung des betroffenen Auges führen. Sind Hirngefäße beteiligt, drohen Schlaganfälle. „Eine Riesenzellarteriitis ist daher immer ein Notfall und muss sofort behandelt werden“, betont der Kongresspräsident der DGRh.

gie

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