5 Fragen an...

Aut-idem bei Schmerzmedikamenten: „Viel zu wenig passiert!“

  • Dienstag, 2. Juli 2013

Berlin – Vor mehr als einem Jahr hat der Petitionsausschuss des Deutschen Bundes­tages einstimmig dafür gestimmt, die Austauschpflicht bei starken Schmerz­medikamenten abzuschaffen. Das Deutsche Ärzteblatt fragte den Präsidenten der Deutschen Schmerz­liga, Michael Überall, nach der Entwicklung seit der Entscheidung des Petitions­aus­schusses. Schmerztherapeuten und Patienten haben im Frühjahr 2012 das Votum des Petitionsausschusses gegen aut idem begrüßt. Was ist seither passiert?

Uploaded: 02.07.2013 16:39:26 by mis
Michael Überall

5 Fragen an Michael Überall, Präsident der Deutschen Schmerzliga

Überall: Leider viel zu wenig! Die Politik hat die Entscheidung darüber im Oktober 2012 an den Deutschen Apotheker­verband (DAV) und den GKV-Spitzen­verband delegiert. Diese beiden Organisationen sind sich aber nicht einig darüber, wie sie die Wirkstoffe auswählen, die künftig nicht mehr ausgetauscht werden sollen. Aus unserer Sicht liegt dies besonders am GKV-Spitzenverband, der nicht bereit ist anzuerkennen, dass Schmerzpatienten eine sehr individuelle Betreuung benötigen.

DÄ: Erwarten Sie eine zügige Regelung in der nächsten Zeit?
Überall: Nachdem die Deutsche Schmerzliga, die Deutsche Epilepsievereinigung und die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft bereits im März 2013 nochmals auf die Problematik und die unverändert ausstehenden Entscheidungen hingewiesen und die Verantwortlichen um eine baldige und vor allem sinnvolle Festlegung der von einer Arzneimittelsubstitution auszunehmenden Wirkstoffe gebeten haben, ist unverändert nichts erfolgt.

Aber nun hat die Politik den beiden Selbstverwaltungsorganen eine Frist bis zum 1. August 2013 gesetzt, um eine Entscheidung zur „Nicht- Austauschbarkeit“ bestimmter Wirkstoffe vorzulegen. Diese Aufforderung hat zwar keine rechtliche bindende Wirkung, ist jedoch auch aus unserer Sicht als eindeutiges politisches Signal zu verstehen, gegebenenfalls die Gesetzeslage zu verschärfen, sollte die Selbstverwaltung ihrem diesbezüglichen Auftrag nicht nachkommen.

Zum Sachwalter der Patienteninteressen entwickelt sich aus unserer Sicht hier gerade der Deutsche Apothekerverband, der sich als einzig rechtlich legitimierter Vertreter der Selbstverwaltungsorgane gerade redlich bemüht, eine Entscheidung zum Wohle betroffener Menschen herbeizuführen, dabei aber seit geraumer Zeit an der harten Haltung der Krankenkassenvertreter scheitert.

DÄ: Können Sie in wenigen Sätzen noch einmal die Argumente gegen aut idem bei starken Schmerzmedikamenten zusammenfassen?
Überall: Uns geht es bei unserem Anliegen nicht darum, bestimmte Originalprodukte vor einem Austausch gegen in der Regel preiswertere Generika zu schützen oder den Einsatz günstigerer Arzneimittel generell zu unterbinden. Die Entscheidung hierüber müssen jedoch Arzt und Patient gemeinsam bei der Ersteinstellung treffen.

Ist ein Patient mit einer chronischen Schmerzerkrankung einmal auf einen bestimmten Wirkstoff in einem bestimmten Fertigarzneimittel gut eingestellt, dann gibt es aus unserer Sicht keinen (auch keinen ökonomischen!) Grund an dieser Therapie etwas zu ändern – denn die theoretisch durch einen solchen Wechsel zu erzielenden ökonomischen Einsparungen an Arzneimittelkosten werden durch im Gegenzug notwendig werdende Zusatzaufwendungen mehr als kompensiert beziehungsweise müssen regelhaft mit einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes Betroffener bezahlt werden.

Hintergrund ist, dass die Effektstärke verschiedener wirkstoffidentischer Fertigarz­nei­mittel so unterschiedlich sein kann, dass auch bei identischem Einnahmeverhalten Über- oder Unterdosierungen drohen – und damit unerwünschte Nebenwirkungen. Aus Sicht der Experten der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie und der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft sind diesbezüglich die zu beobachtenden Unterschiede zum Beispiel für die Analgetika vom Opioid-Typ so groß, dass jede Umstellung als Neueinstellung anzusehen ist und damit alle mit einer Neueinstellung auf einen entsprechenden Wirkstoff verbundenen Sicherheitsmaßnahmen notwendig sind.

DÄ: Was ist ihre Forderung? Was tut not?
Überall: Unsere diesbezügliche Forderung ist eindeutig: Die Verpflichtung zur medizi­nisch nicht-indizierte Umstellung stark-wirksamer Opioid-Analgetika, Antiepileptika und Antidepressiva muss wegfallen.

DÄ: Wie sollten Ärzte im Augenblick vorgehen? Sollten Sie aut idem ausschließen?
Überall: Ärzte und Apotheker haben bereits heute mit dem Verweis auf medizinische Bedenken das grundsätzliche Recht, den Austausch wirkstoffidentischer Fertigarz­neimittel im Einzelfall zu unterbinden. Allerdings gehen sie damit das bekannte Regressrisiko ein. Der Leidtragende ist der Patient, der meist geschwächt und behindert durch die tagtägliche Konfrontation mit seiner chronischen Erkrankung kaum mehr zusätzliche Ressourcen mobilisieren kann, um den für eine sinnvolle medikamentöse Therapie notwendigen Kampf gegen die ökonomischen Regulationsmaßnahmen aufzunehmen.

hil

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