5 Fragen an...

„Beim Entlassmanagement hat sich das System schlichtweg der Umsetzung verweigert"

  • Mittwoch, 19. März 2025

Berlin – Der neue Bundestag konstituiert sich am 25. März. An diesem neuen Parlament werden 333 Abgeordnete der vorherigen Legislatur nicht mehr teilnehmen, darunter auch einige Gesundheitspolitikerinnen und -politiker.

Das Deutsche Ärzteblatt sprach mit vier scheidenden Abgeordneten über ihre jeweilige gesundheitspolitische Bilanz der vergangenen Jahre, was sie für ihre Arbeit im Bundestag schon gerne früher gewusst hätten und was nun nach der Zeit in Berlin für sie persönlich folgt.

Martina Stamm-Fibich war seit 2013 für die SPD im Deutschen Bundestag. Ihr Wahlkreis ist in Erlangen. In ihrer Arbeit im Bundestag hatte sie sich im Gesundheitsausschuss für die Rechte von Patientinnen und Patienten eingesetzt, sowie die Themen Arzneimittel, Medizinprodukte, Heil- und Hilfsmittel sowie die Organisationen aus der Selbstverwaltung. Mit der geht sie im Gespräch auch hart ins Gericht: Für Abgeordnete sei die Selbstverwaltung oft verschlossen geblieben, Abläufe wurden nicht offen gelegt. Auch in der Arbeit als Vorsitzende des Petitionsausschusses begegneten ihr viele Themen aus dem Gesundheitsausschuss.

Martina Stamm-Fibich (SPD)/picture alliance, Flashpic, Jens Krick
Martina Stamm-Fibich (SPD)/picture alliance, Flashpic, Jens Krick

5 Fragen an Martina Stamm-Fibich

Wie ist es für Sie, nach zwölf Jahren den Bundestag wieder zu verlassen?
Noch ist es nicht greifbar, obwohl man derzeit die Büros ausräumt. Heute Morgen hatte ich noch eine Sitzung hatte als Vorsitzende des Petitionsausschusses noch die Übergabe einer Petition. Für die zwölf Jahre im Bundestag bin ich dankbar und ich hätte das gerne noch einmal vier Jahre gemacht. Gleichzeitig bin ich in einem Alter, in dem ich nicht in Pension gehen kann, sondern mich noch einmal neu orientiere. Die nächsten zwei Monate werde ich erst einmal in meinem Garten verbringen, das kommende Wochenende ist das erste freie Wochenende seit Jahren. Dann freue ich mich, dass ich wieder Zeit habe, mich mit Menschen für einen Kaffee oder ein Glas Wein zu treffen.

In den Jahren im Bundestag waren Sie im Gesundheitsausschuss und auch im Petitionsausschuss. Was waren für Sie jeweils die gesundheitspolitischen Höhe- und Tiefpunkte in der Zeit? Und was hätte man früher angehen müssen?
Es gibt viele kleine Dinge, die mir bis heute gefallen, die man aber in großen Gesetzen vielleicht nicht sieht. So bin ich froh, dass es trotz der harten Geburtsarbeit jetzt eine UPD-Stiftung gibt, die dann  hoffentlich bald so arbeiten wird, wie wir Abgeordneten uns das vorgestellt haben. Die Menschen brauchen Beratung in unserem Gesundheitswesen. Außerdem freut es mich weiterhin, dass wir die Ausschreibungen bei Hilfsmitteln, dafür habe ich 2016 mit Karl Josef Laumann als damaligen Patientenbeauftragen gekämpft, beendet haben. Die Menschen waren zum Teil fürchterlich versorgt.

Aber natürlich hat uns die Pandemie dann die Knüppel zwischen die Beine geschoben, das war im Ausschuss für Gesundheit schon eine Herausforderung. Das gehört auch zu den Tiefpunkten: Ich war irritiert, wie schlecht wir auf eine Pandemie vorbereitet waren. Obwohl wir die Schweinegrippe schon kannten und es eigentlich schon zu der Zeit Vorbereitungen auf eine nächste Pandemie hätte geben müssen. In dieser Zeit hat die Runde von Ministerpräsidentinnen und -präsidenten mit der damaligen Kanzlerin Angela Merkel zusammen Entscheidungen am Parlament vorbeigetroffen. Dieses Gremium ist in unserer Verfassung gar nicht vorgesehen. Und ich komme aus einem Bundesland, in dem der Ministerpräsident gleich nach der Sitzung immer wieder alles infrage gestellt hat. Das hat die Menschen erheblich verunsichert.

Zudem haben wir dem damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn zu viele Entscheidungsbefugnisse, auch über große Geldsummen, überlassen. Mehr Kontrolle wäre wichtig gewesen. Diese große Unsicherheit, in der als Politikerin zwischen unterschiedlichen wissenschaftlichen Meinungen abwägen musste, war eine enorme Herausforderung. Ich bin keine Pharmakologin, ich bin keine Epidemiologin, ich bin keine Virologin. Ich habe oft nur gedacht:  Was machen diese Entscheidungen mit den Menschen? Daher bin ich auch weiterhin sehr für eine Enquete-Kommission, um die juristischen und politischen Entscheidungen aufzuarbeiten. Aber wir brauchen auch einen Bürgerrat, damit wir erfahren, was die politischen Entscheidungen für die Menschen, für die Familien und für die, die da nicht so leicht durchgekommen sind, bedeutet haben. Wir müssen mit Menschen reden, die den sonstigen Formaten, die das Parlament kennt, nicht vorkommen.

Wir hätten außerdem die große Abhängigkeit beim Thema Arzneimittel sowie bei den Wirkstoffen viel früher angehen müssen. In der Pandemie haben wir dann diese wahnsinnige Abhängigkeit in vielen Bereichen erlebt. Ich komme aus einem großen Industrieunternehmen, da kannte man es natürlich, dass eine Schraube aus China fehlen konnte und die Produktion steht still. Da hat die Globalisierung ihre Licht- und Schattenseiten. Auch wenn ich weiß, dass das Problem vielschichtig ist, müssen wir hieran weiterarbeiten. Gleichzeitig müssen wir den Menschen aber auch vermitteln, dass nicht alles schlecht ist. Viele wissen zum Beispiel nicht, dass es in keinem anderen Land der Welt mehr als 55.000 verschreibungspflichtige Medikamente von den Krankenkassen gibt. Ich bin in diesem Zusammenhang auch immer noch sehr für die Quittung in der Apotheke, auf der alle Kosten aufgelistet sind. Das vermittelt den Leuten ein Gefühl dafür, dass man darauf auch stolz sein kann, was die gesetzlichen Krankenversicherung hierzulande jeden Tag für uns leistet.

Welchen Rat geben Sie Ihren gesundheitspolitischen Nachfolgerinnen und Nachfolgern im Bundestag mit? Was hätten Sie gerne zu Beginn der Zeit als Abgeordnete im Bundestag gewusst?
Gesundheits- und Sozialpolitikerinnen und -politiker dürfen nicht vergessen, dass der Bereich mittlerweile einer der größten Wirtschaftszweige in Deutschland ist. So etwas zu sagen, ist zwar verpönt als Sozialpolitikerin. Aber das muss einem einfach klar werden, was das auch für die Verantwortung von Entscheidungen bedeutet. Unser System ist nicht perfekt, aber eins der besten auf der Welt.

Es gibt viele Dinge in diesem Gesundheitssystem, von denen der normale Mensch nichts weiß und die auch für einen Abgeordneten ein Rätsel bleiben. Darunter fallen viele Entscheidungen in der Selbstverwaltung. Da macht man als Bundestag Gesetzgebung und aber die tatsächliche Entscheidungsfindung in den Gremien bleibt eine Black-Box und man kommt nicht so wirklich dahinter.

Es kann doch nicht sein, dass die Akteure der Selbstverwaltung die Parlamentarier und Parlamentarierinnen nicht voll über ihr Handeln informieren. Wie kann man über Milliardenbeträge entscheiden, ohne die wichtigen Informationen zu bekommen?

Fragt man nach Begründungen der Anliegen, die von interessierter Seite an einen herangetragen werden, oder nach Zahlen, dann sagen einem selbst Krankenkassen als Körperschaft des öffentlichen Rechts, das sei ein Geschäftsgeheimnis. Verkehrte Welt!

Unser Anspruch als Abgeordnete ist, dass wir ein System für die Versicherten und Kranken machen, die das System brauchen. Oft habe ich mich darüber geärgert, was die Selbstverwaltung aus unseren Gesetzen dann gemacht hat. Ein gutes Beispiel ist das Krankenhausentlassmanagement, eines meiner liebsten Gesetze. Das war ein Gesetz, bei dem das Parlament für die Versicherten und für die kranken Menschen in diesem Land eine ganz konkrete Verbesserung herbeiführen wollten. Wir wollten, dass Menschen nach der Entlassung aus dem Krankenhaus direkt ein Arzneimittelrezept haben, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung oder eine Physiotherapie im Anschluss. Und was wurde daraus gemacht? Das System hat sich schlichtweg der Umsetzung verweigert und es funktioniert bis heute nicht richtig.

Wen wünschen Sie sich als nächsten Bundesgesundheitsminister/nächste Bundesgesundheitsministerin? Bzw. wer könnte es Ihrer Meinung nach realistisch werden?
Spekulieren möchte ich nicht, ich würde mir aber wünschen, dass das Ministerium bei der SPD bleibt. Und dann denke ich, dass Bärbel Bas das gut machen würde. Sie hat viel Sachverstand, kann eine große Organisation führen. Zudem wäre es wichtig, wenn es jemand macht, der eine ausgleichende Art hat.

Was planen Sie nach dem Ende der Zeit als Abgeordnete zu machen?
Es gibt ein Leben nach dem Mandat. Viele haben sich gemeldet, um noch mal etwas Neues auszuloten. Ich nehme auch weiterhin das Bedauern über mein Ausscheiden entgegen, das ist schon erstaunlich, wie viel Zuspruch ich gerade jetzt erhalte. Erst mal muss jetzt mein Büro im Bundestag, aber auch das im Wahlkreis in Erlangen aufgelöst werden. Ab Herbst kann sich dann sicherlich wieder was ergeben, auch gesundheitspolitischer Art. Zudem habe ich noch kommunalpolitische Mandate und vielleicht gibt es noch weitere Optionen. Denn wir haben im März 2026 Kommunalwahlen in Bayern.  

bee/cmk

Diskutieren Sie mit:

1

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Kommentare (1)

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung