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„Die Notfall- und Rettungsdienstreform duldet keinen weiteren Aufschub“

  • Mittwoch, 11. Juni 2025

Berlin – Von der Regierungs- in Oppositionsverantwortung: Janosch Dahmen, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen, will die Arbeit der schwarz-roten Regierung konstruktiv und kritisch begleiten und pocht insbesondere auf eine schnelle Umsetzung der Reform der Notfallversorgung und Rettungsdienste. Welche weiteren Vorhaben für eine Verbesserung der Gesundheitsversorgung dringend kommen müssen, erklärte er im Interview mit dem Deutschen Ärzteblatt.

Janosch Dahmen ist seit 2020 Bundestagsabgeordneter. Der Arzt arbeitete vor seinem Wechsel in die Politik als Unfallchirurg und Notfallmediziner und macht sich seit einigen Jahren für eine zügige und umfassende Notfallreform und Reformierung der Rettungsdienste stark. Der 43-Jährige war bereits in der vergangenen Legislaturperiode gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen.

Janosch Dahmen, Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion /Stefan Kaminski
Janosch Dahmen /Stefan Kaminski

5 Fragen an Janosch Dahmen, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen

Wie war die Umstellung von der Regierungs- zur Oppositionsbank für Sie und wie stellen Sie sich dafür auf?
Wir sind einerseits durch personelle Kontinuität und unsere parlamentarische Erfahrung sehr gut aufgestellt. Zudem bringen wir im Gesundheitsausschuss und in der Gesundheitspolitik die mit Abstand größte Praxis-Expertise ein: Kirsten Kappert-Gonther ist Psychiaterin, Armin Grau Neurologe, Paula Piechotta Radiologin, Johannes Wagner Kinderarzt, Linda Heitmann Sucht- und Simone Fischer Pflegeexpertin – und ich selbst bin Unfallchirurg und Notfallmediziner. Wir scherzen manchmal, dass wir als Team eine breit aufgestellte Klinik betreiben könnten. Aber im Ernst: Diese Vielfalt stärkt unsere Fähigkeit, politisch kluge und gleichzeitig praxisnahe Lösungen vorzuschlagen.

Der neuen Bundesregierung hingegen fehlt es an dieser praktischen Tiefe. Gerade im Gesundheitswesen, wo politische Entscheidungen das Leben von Menschen ganz konkret berühren, wiegt dieser Mangel schwer. Deshalb verstehen wir unsere Rolle als kritische, aber konstruktive Kraft: Wir wollen nicht nur zuschauen und kritisieren, sondern helfen, Politik besser zu machen – mit Kompetenz, Haltung und dem Willen, Dinge zu verbessern.

Was ist das erste gesundheitspolitische Vorhaben, das das Bundesgesundheitsministerium mit Unterstützung aus dem Parlament umsetzen muss?
Die Notfall- und Rettungsdienstreform duldet keinen weiteren Aufschub – sie ist der zentrale Vertrauensanker gesundheitspolitischen Handelns. Wenn Menschen den Notruf wählen oder sich in eine Notaufnahme begeben, erwarten sie Sicherheit und Hilfe. Diese ist durch fehlende Schnittstellen, Fehlanreize in der Finanzierung und uneinheitliche Qualitätsstandards zunehmend in Gefahr. Dass die Reform erst im zweiten Halbjahr angegangen werden soll, heißt im Klartext: Die Umsetzung kommt womöglich erst 2026 oder 2027 – viel zu spät. Dabei ließen sich durch eine konsequente Umsetzung jährlich bis zu drei Milliarden Euro einsparen – Mittel, die an anderer Stelle dringend benötigt werden.

Auch bei der Krankenhausreform besteht dringender Handlungsbedarf – etwa durch die zugehörigen Verordnungen zu Mindestfallzahlen und Leistungsgruppen, damit die Reform überhaupt greifen kann. Was wir auf keinen Fall brauchen, ist ein weiteres Aufweichen: eine Verlängerung der Konvergenzphase bis 2027, Doppelanrechnungen von Personal, zusätzliche Ausnahmen oder Sondergenehmigungen – all das würde ihre Wirksamkeit bei Qualität und Wirtschaftlichkeit weiter untergraben.

Bei den bereits beschlossenen Digitalgesetzen der Gematik braucht es nun Tempo. Die elektronische Patientenakte (ePA) muss endlich aus der Erprobung herauskommen und in die flächendeckende Umsetzung gehen. Die Private Krankenversicherung (PKV) benötigt Zugang zu den Krankenversichertennummern, um ebenfalls an die ePA angeschlossen werden zu können. Und: Die Gematik muss mit dem Digitalagenturgesetz in ihrer Schiedsrichterrolle gegenüber PVS- und KIS-Herstellern dringend gestärkt werden, um verbindliche Maßnahmen durchsetzen und Entwicklungen beschleunigen zu können.

Auch andere Vorhaben wie das Pflegekompetenz- oder Fachassistenzgesetz oder politisch völlig unstrittige Projekte wie das Lebend-Organspendegesetz müssen jetzt kommen. Wer politische Verantwortung nicht nur verwalten, sondern gestalten will, lässt fertige Gesetze, auf die viele seit Monaten warten, nicht im Postausgang verstauben.

Nach Umsetzung der bereits beschlossenen und der fertig vorbereiteten Gesetze sollte die neue Regierung ihren Koalitionsvertrag noch einmal einer Priorisierung unterziehen. Dabei gilt es zu prüfen, welche Vorhaben besonders geeignet sind, die Wirtschaftlichkeit und Qualität unserer Gesundheitsversorgung nachhaltig zu steigern.

Dazu zählt beispielsweise ein gut gemachtes Primärversorgungsmodell, das auf eine verpflichtende Einschreibung der Patientinnen und Patienten mit Dauer- oder Jahresüberweisungen für spezialisierte fachärztliche Behandlungen bei chronisch Kranken setzt. Das Abrechnungssystem sollte zudem auf Jahrespauschalen umgestellt werden, um abrechnungsbedingte Arztkontakte spürbar zu reduzieren. Und wir müssen in der Primärversorgung weg von der persönlichen, arztzentrierten Leistungserbringung – hin zu echten Praxisteam-Leistungen.

Welche eigenen Schwerpunkte wollen Sie in den nächsten Jahren setzen?
Die Koalition hat zentrale Zukunftsthemen noch immer nicht ausreichend auf dem Schirm – und das bereitet mir Sorge.

In der Pflege wird der doppelte demografische Wandel unser Gesundheitssystem wie ein Erdbeben erschüttern. Viele unterschätzen das noch. Es reicht nicht, an Eigenanteilen zu schrauben oder Pflegeassistenzen zu fördern.

Wir brauchen ein bundesweites Netzwerk aus Tagespflegeplätzen, pflegefreundlichen Arbeitsplätzen und verlässlichen Unterstützungsstrukturen – sonst bricht die Versorgung weg. Gleichzeitig eröffnet sich hier eine große Chance: Attraktive Arbeitsplätze in der Pflege – ohne Schichtdienst, mit besserer Vereinbarkeit von Beruf und Angehörigenpflege – wären ein echter Fortschritt.

Die Ausgaben bei den Arzneimittelpreisen laufen derzeit aus dem Ruder. Wir brauchen eine neue Balance zwischen Innovation und Bezahlbarkeit. Gerade bei Gentherapien oder Onkologika müssen wir Preismodelle entwickeln, die den Zugang sichern, Innovation fördern – und dennoch die Belastbarkeit der Solidargemeinschaft respektieren.

Es braucht ein überfälliges Update des Patientenrechtegesetzes. Patientinnen und Patienten müssen besser geschützt werden – vor Über-, Unter- und Fehlversorgung, vor Behandlungsfehlern. Vertrauen entsteht nicht durch warme Worte, sondern durch Transparenz, durch klare Sanktionen bei Fehlverhalten – und durch verbindliche Rechte für eine sichere Versorgung.

Wenn die Ministerin vor allem betont, sie wolle zunächst zuhören, klingt das sympathisch – ist aber angesichts des Reformstaus und der Not vieler Patientinnen und Patienten und Fachkräfte deutlich zu wenig. Wer im Gesundheitswesen wirklich gestalten will, muss Konflikte austragen, Prioritäten setzen – und zugunsten der Versorgung auch unbequeme Entscheidungen treffen.

Wo liegen aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen im Gesundheitswesen?
Wir stehen vor einer Dreifachkrise: Finanzierungsprobleme, Fachkräftemangel, Qualitätsverlust. Jeder dieser Punkte allein wäre schon ein schweres Erbe – gemeinsam bedrohen sie die Stabilität unseres Gesundheitssystems.
Was mir besonders Sorgen bereitet: Immer mehr Menschen verlieren das Vertrauen, dass sie im Krankheitsfall gut versorgt werden. Diese Verunsicherung gefährdet nicht nur das Fundament unseres solidarischen Gesundheitswesens – sondern mittelbar auch unser demokratisches Miteinander.

Was wollen Sie erreichen, damit es eine erfolgreiche Legislaturperiode wird?
Mein Ziel ist klar: Am Ende dieser Legislaturperiode sollen mehr Menschen sagen können: „Ich fühle mich sicher, weil ich weiß, dass ich im Ernstfall gut versorgt werde.“ Wenn Wirtschaftlichkeit und Qualität unserer Versorgung besser sind als heute, wenn mehr Fachkräfte im System bleiben, weil ihre Arbeit endlich geschätzt und fair organisiert ist – und wenn Patientinnen und Patienten mehr Rechte und mehr Schutz erfahren – dann war es eine erfolgreiche Legislaturperiode.

bee/cmk

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