„Die Verunsicherung unter den Psychiatern ist groß“
Köln – Psychisch Kranke, die unter Betreuung stehen, dürfen nicht mehr gegen ihren Willen behandelt werden. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. Demnach kann ein gesetzlicher Betreuer auch dann keine medikamentöse Therapie erzwingen, wenn der Betroffene bereits gegen seinen Willen in einer geschlossenen Abteilung untergebracht ist. Der BGH gab seine bisherige Rechtsprechung auf, nach der ein Betreuer die Behandlung durchsetzen konnte. Az.: XII ZB 99/12 und XII ZB 130/12

5 Fragen an Prof. Dr. med. Peter Falkai, Präsident der Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde
Welche Auswirkungen hat das Urteil auf die Arbeit von Psychiatern?
Zunächst einmal muss man sagen: Etwa 90 Prozent unserer Patienten kommen freiwillig. Von denen, die gegen ihren Willen stationär aufgenommen werden, hat etwa die Hälfte einen gesetzlichen Betreuer. Das dürften bundesweit rund 45.000 Patienten jedes Jahr sein. Bei ihnen wird unsere Arbeit durch das Urteil erheblich erschwert. Die Verunsicherung unter den Psychiatern ist groß, aber auch das Unverständnis. Das BGH sagt: Ihr dürft die Leute zwar unterbringen, aber ihr dürft sie nicht behandeln. Die Patienten, die unter Betreuung stehen, sind oft chronisch psychisch krank. Wenn so ein Patient mit einer akuten Verschlechterung kommt, dann braucht er schnell Hilfe. Jetzt dürfen sie ihm aber kein Neuroleptikum verabreichen, wenn er das ablehnt. Ehrlich gesagt: Wenn ich mal eine solche Erkrankung haben sollte, dann hoffe ich, dass man mich behandelt.
Was ändert sich bei psychisch Kranken, die nicht unter Betreuung stehen?
Die BGH-Entscheidung bezieht sich auf Patienten, die nach Betreuungsrecht untergebracht sind. Patienten ohne gesetzlichen Betreuer werden nach PsychKG untergebracht. Das ist also eine andere rechtliche Grundlage, die von diesem Urteil nicht berührt wird, aber von kürzlich zurückliegenden Urteilen.
Kam das BGH-Urteil für Sie überraschend?
Nein, es war zu erwarten. Für den Bereich der forensischen Psychiatrie hatte es ja bereits eine entsprechende Entscheidung gegeben. Der Klage eines Patienten im Maßregelvollzug gegen eine Zwangsbehandlung mit Neuroleptika war stattgegeben worden. Insofern war auch für die Psychiatrie allgemein eine Veränderung der Gesetzesgrundlage zu erwarten.
Was raten Sie den Ärzten, um sich abzusichern?
Man muss den Einzelfall genau prüfen. Das heißt: Wenn ein betreuungsrechtlich untergebrachter Patient die Behandlung ablehnt, muss man klären, ob eine freie Willensentscheidung vorliegt. Wenn Sie ein Delir haben, zum Beispiel bei einem Alkoholentzug, dann müssen Sie behandelt werden. Keine Frage. Grundsätzlich sollten die Kliniken hausintern klare Empfehlungen erarbeiten. In Zweifelsfällen würde ich den Ärzten raten, das zuständige Gericht zu kontaktieren und das Vorgehen gut zu dokumentieren.
Was fordern Sie vom Gesetzgeber?
Das Ganze muss jetzt schnell und sauber rechtlich geregelt werden – nicht mit juristischen Formeln, sondern praxisnah. Außerdem muss die Politik auch zur Kenntniss nehmen, dass der Aufwand in den Kliniken steigt. Wenn man die Patientenautonomie stärker beachten will – was ich nachdrücklich unterstütze – muss man auch entsprechend mehr Personal finanzieren.
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