5 Fragen an...

„Diese Pflaster-Politik muss ein Ende haben“

  • Mittwoch, 11. Juni 2025

Berlin – Von der Frühchenstation direkt in den Bundestag: Julia-Christina Stange (Linke) ist 2025 erstmals in den Bundestag eingezogen und direkt zur Obfrau ihrer Fraktion im Gesundheitsausschuss gewählt worden. Im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt, verriet sie ihre Motivation für den Wechsel in die Politik und für welche Themen sie aus der Opposition heraus kämpfen will.

Einen oder eine klassische Sprecherin oder Sprecher für Gesundheitspolitik hat die Fraktion Die Linke nicht bestimmt. Die Obleute vertreten die Interessen ihrer Fraktion in den Ausschüssen und übernehmen dort beispielsweise Organisationsaufgaben. Zuletzt war Kathrin Vogler gesundheitspolitische Sprecherin für die Linke im Bundestag. Vogler ist 2025 aus dem Bundestag ausgeschieden.

Stange ist gelernte Fachkinderkrankenschwester für Anästhesie und Intensivpflege und war zuletzt tätig am Universitätsklinikum Mainz. Die 46-Jährige ist Personalrätin und bezeichnet sich als aktive Gewerkschafterin, die sich für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen einsetzen will.

Julia-Christina Stange /Die Linke
Julia-Christina Stange /Die Linke

5 Fragen an Julia-Christina Stange, Obfrau der Linksfraktion im Gesundheitsausschuss

Frau Stange, Sie sind direkt aus der Uniklinik Mainz ganz neu in den Bundestag gekommen. Wie ist das, wenn man hier ganz neu anfängt und sofort Obfrau Ihrer Fraktion im Gesundheitsausschuss wird?
Das ist komplett anders. Der große Verwaltungsapparat ist am Anfang anstrengend, inzwischen überwiegt aber das Gute. Man begegnet vielen tollen Menschen. Wir schaffen in unserer Fraktion gerade eine Präsenz von Arbeiterinnen aus der Pflege hier im Parlament, das ist wunderbar. Das sind Menschen, die einfach am besten selbst sagen können, wo es hakt und an welcher Stelle der Strukturwandel definitiv endlich kommen muss. Das motiviert mich unheimlich.

Mein Arbeitsvertrag an der Uniklinik auf der Frühchenstation ruht derzeit, ich bin aber weiterhin Personalrätin dort. Ich habe weiter meine Kontakte zu den Kolleginnen und bin gespannt, wie sich der Wandel der Kliniklandschaft in Rheinland-Pfalz vollzieht. Ich will auch das, was ich in Berlin erreiche und erlebe, dorthin zurückspiegeln.

Was ist das erste gesundheitspolitische Vorhaben, das das Bundesgesundheitsministerium und der Bundestag aus ihrer Sicht umsetzen muss und warum?
Wir sind hier, um etwas zu verändern. Denn wir sind jahrzehntelang auf die Straße gegangen und nichts hat sich geändert. Nun haben wir unseren Pflegeberuf, den wir mit Freude machen, verlassen, um in dieses Raumschiff hier in Berlin einzusteigen. Hier begegne ich nun den ehemaligen Bundesgesundheitsministern und muss sehr an mich halten, um ihnen nicht persönlich zusagen: „Schönen Gruß aus der Praxis, aber das war alles furchtbar.“

Es muss aufhören, nur über den Wandel zu reden. Strukturen müssen auch wirklich verändert werden, sodass man es bis weit in die Praxis hinein spüren kann. Ziel muss sein, nicht nur die Arbeitsbedingungen für die Kolleginnen und Kollegen, sondern auch die Versorgung für die Patientinnen und Patienten zu verbessern. Dazu gehört, dass Kliniken schwangere Frauen nicht mehr abweisen müssen oder dass man im Alter wieder mit Würde gepflegt werden darf, ohne seine Familie finanziell zu ruinieren.

Es müssen mindestens Konzepte für Zeitpläne erstellt werden, wie das System geändert werden kann. Die Probleme sind ja auch nicht von heute auf morgen gekommen und wir können es aus der Opposition heraus auch nicht bis übermorgen reparieren. Aber wir haben gerade jetzt mit unseren drei starken Pflegestimmen die Chance, auf die Probleme in der Praxis hinzuweisen.

Welche eigenen Schwerpunkte wollen Sie jetzt in den nächsten vier Jahren setzen?
Da die Gesundheitspolitik groß und komplex ist, haben wir uns das zu viert aufgeteilt. Da ich aus Rheinland-Pfalz komme, übernehme ich die Themen der Versorgung in der Fläche, also das ambulante System, die Debatte um ein Primärarztsystem oder auch das Thema Krankenhausreform. Da sind wir in Rheinland-Pfalz durch die Insolvenz der DRK-Kliniken gerade besonders betroffen.

Zudem will ich mich um die Bedingungen in den Ausbildungen im Gesundheitswesen kümmern. Die Frage ist, wie können wir sie wieder attraktiver machen, so dass in der Pflege nicht 40 Prozent der Auszubildenden abbrechen. Wie können wir zudem wieder einen attraktiven Beruf schaffen? Ein weiteres Thema, das mir sehr wichtig ist, ist der Bereich der Frauengesundheit. Hier muss es mehr Unterstützung geben, das läuft viel zu sehr nebenher.

Wo liegen aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen im Gesundheitswesen?
In der Finanzierung des Gesundheitswesens. Die erste Handlung der neuen Bundesgesundheitsministerin war ein Zuschuss an die gesetzlichen Krankenkassen. Diese Gelder werden von dem System wieder nur verschluckt. Diese Pflaster-Politik, wie ich sie nenne, muss ein Ende haben. Wir müssen grundlegend an das System heran, bevor es zerbricht. Wir wollen mit eigenen Ideen ganz frisch Themen einbringen. Wir wollen der neuen Regierung sagen, wo sie hinschauen muss. Denn das Geld ist ja da, wir haben das teuerste Gesundheitswesen, aber man weiß nicht, wo das Geld genau ankommt.

Es könnte sich deutlich effizienter entwickeln. Warum brauchen wir beispielsweise so viele verschiedene Krankenkassen? Mein Vorschlag: Eine für alle und alle zahlen dort ein. Davon könnten alle Menschen profitieren. Eine Kommission für die Zukunft der Krankenversicherung einzusetzen ist zwar schön und gut, aber es müssen auch gute Konstellationen herauskommen, wie etwa eine Einheitskasse. Auch wenn es nach Revolution klingt: Man muss zwar geduldig sein, aber gleichzeitig muss man drängeln.

Was wollen Sie erreichen, dass es eine erfolgreiche Legislatur wird?
Ich hoffe, dass die Legislatur vier Jahre hält und wir uns nicht zu früh mit weiteren Wahlen beschäftigen müssen. Somit haben wir hoffentlich vier Jahre Zeit, um uns mit den Auswirkungen der Gesundheitspolitik auf die Arbeitsbedingungen in der Praxis beschäftigen können. Beim Messen vom Erfolg ist mir die Rückmeldung von meinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen wichtig. Die müssen nachher sagen können: Es kommt jetzt mal tatsächlich etwas an von all den Themen, die auf der Agenda standen.

Wir müssen den Ehrgeiz haben, hier etwas zu bewegen, auch aus der Opposition heraus. Wenn wir es schaffen, unsere Anliegen in Texten und Überschriften, in Gesetzen und anderen Bereichen wieder zu finden, ist das schon ein Erfolg. Was über Jahrzehnte kaputt gemacht wurde, kann nicht übermorgen geregelt sein. Aber alle Kolleginnen und Kollegen in der Fläche müssen wieder Vertrauen in die Politik gewinnen.

bee/cmk

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