„Dozierende müssen ihre medizinischen Lehrveranstaltungen einem kritischen Redaktionsprozess unterziehen“
Freiburg – Das Gesundheitswesen ist nicht frei von Rassismus. Darauf deuten vor allem Studien aus dem Ausland hin, aber auch erste Analysen und Befragungen aus Deutschland. Die Befragten des Ende 2021 erschienene Afrozensus fordern unter anderem, rassismuskritische Bildung im Medizinstudium als Pflichtfach zu verankern.
Am Institut für Allgemeinmedizin des Universitätsklinikums Freiburg ist seit Dezember 2021 die Online-Plattform DETECT verfügbar. Um sexistische und rassistische Diskriminierung an der Medizinischen Fakultät sichtbar zu machen, veröffentlicht DETECT anonymisiert Erfahrungsberichte im Zusammenhang mit Rassismus im Arbeits- und Ausbildungsalltag. Eine fortlaufende Finanzierung vorausgesetzt wäre auch die Entwicklung von Fortbildungsmodulen für Studierende und Dozierende umsetzbar.

5 Fragen an Petra Jung, Projektleiterin von DETECT – gegen Diskriminierung in der medizinischen Ausbildung
DÄ: Welche Fälle von Rassismus begegnen Ihnen in der Medizin?
Petra Jung: Die Fälle von Rassismus, die Menschen in der medizinischen Ausbildung und auch im klinischen Arbeitsalltag begegnen sind sehr vielfältig. Aus unseren Beiträgen geht hervor, dass Diskriminierung sowohl von Lehrenden/Ausbildenden als auch von Patientinnen und Patienten sowie Kolleginnen und Kollegen ausgeht.
Meist sind es verbale Äußerungen, die sich zum Beispiel auf Hautfarbe, vermeintliche kulturelle und/oder religiöse Eigenheiten und Ansichten, das Sprachverständnis beziehen. Vor allem im Kontext der Lehre berichten uns Betroffene, dass ihnen Nachteile in der Bewertung entstehen beziehungsweise ihnen weniger zugetraut wird als Kolleginnen und Kollegen ohne Migrationshintergrund oder anderer ethnischer Herkunft.
Von physischen Übergriffen wurde auf unserer Plattform bisher nicht berichtet, was aber natürlich nicht bedeuten soll, dass es diese nicht gibt. Allerdings stellen wir immer wieder fest, dass die Hemmschwelle beim Berichten rassistischer Übergriffe deutlich höher liegt als zum Beispiel bei sexistischen Übergriffen. Auch der Wunsch nach Anonymität ist viel stärker ausgeprägt, da die Angst vor weiterer Benachteiligung sehr groß ist. Denn oft wird durch das Schildern der Geschichte schnell klar, um welche Person es sich handelt.
Manche Berichte sind erschütternd, da aus ihnen hervorgeht, dass die Betroffenen durch die erlebten Diskriminierungen nachhaltig psychisch belastet sind und zum Teil ihre beruflichen Plänen nicht verwirklichen können.
DÄ: Wie ist der aktuelle Stand bei DETECT?
Petra Jung: Die Online-Plattform DETECT wurde am Uniklinikum Freiburg sowohl unter den Medizinstudierenden als auch unter Angestellten des Klinikums beworben. In diesem noch recht kurzen Zeitraum sind bereits mehr als 50 Einsendungen erfasst worden, von denen wir die meisten nach einem Redaktionsprozess auch auf der Seite veröffentlicht haben.
Die Mehrheit dieser Beiträge bezieht sich auf Vorfälle, in denen sexistische Diskriminierung stattgefunden hat. Einsendungen, die von rassistischen Vorfällen berichten, liegen noch im einstelligen Bereich.
Inhaltlich spiegeln diese Beiträge dennoch eine große Bandbreite an Diskriminierungen wider – manche berichten von persönlicher Diskriminierung, zum Beispiel wegen des Tragens eines Kopftuchs, aufgrund einer dunkleren Hautfarbe oder eines ungewöhnlichen (Nach)Namens. Andere wiederum melden rassistische Floskeln, die Dozierende in Lehrveranstaltungen geäußert haben.
DÄ: Wie geht es weiter mit DETECT?
Petra Jung: Das Projekt DETECT wurde 2021 mit Mitteln des Studiendekanats der Uniklinik Freiburg finanziert und hatte eine Laufzeit von zwölf Monaten. In dieser Zeit ist es gelungen, die Plattform aufzubauen. Aktuell gibt es keine weitergehende Finanzierung des Projekts. Es beruht daher auf mehr oder weniger ehrenamtlichem Engagement. Wir werden jedoch das Gespräch mit der Klinikleitung und gegebenenfalls auch anderen Akteuren suchen, dabei die Notwendigkeit der Verstetigung des Projekts aufzeigen.
Ein weiteres Ziel des Projekts ist die Konzeption von Fortbildungsmodulen für Studierende und Dozierende mit den Themenschwerpunkten „Sensibilisierung für Diskriminierung“ sowie „Zivilcourage“. Um diese zu ermöglichen haben wir uns lokal, aber auch national vernetzt und könnten – bei entsprechender Förderung – verschiedenste bereits erprobte Ansätze in die medizinische Ausbildung einfließen lassen.
Darüber hinaus gibt es Pläne für eine medizinische Promotion und eine Masterarbeit in der Erwachsenenbildung, die ein guter Ausgangspunkt für mögliche Publikationen sein werden.
DÄ: In welchem Umfang wird das Thema Rassismus an Universitäten und speziell an medizinischen Fakultäten begleitet?
Petra Jung: Hierzu haben wir zwar keine wissenschaftlich fundierte Erhebung durchgeführt. Unsere Recherche zeigt aber, dass das Thema Rassismus steht im Vergleich zu anderen Formen der Diskriminierung noch immer deutlich weniger im Fokus. - wobei es durch verschiedene Ereignisse in den vergangenen Jahren (Morde in Hanau, BlackLifesMatter-Bewegung) sicher etwas mehr Beachtung bekommen hat.
DÄ: Ist das aktuelle Engagement der Medizinischen Fakultäten ausreichend?
Petra Jung: Es gibt an Medizinischen Fakultäten nur selten Ansprechpartner, die sich explizit mit Rassismus auseinandersetzen. Es ist davon auszugehen, dass man hofft, dass das über die Gleichstellungsbeauftragten mit „abgearbeitet“ wird – was aber sicher deutlich zu optimistisch und realitätsfern ist.
Ein wichtiger Punkt, der unbedingt bearbeitet werden muss, ist, dass die Berührungsängste bei dem Thema sehr groß sind. Menschen ohne Migrationshintergrund oder anderer ethnischer Herkunft haben als Nicht-Betroffene das Gefühl, der Problematik nie gerecht zu werden. Sie befürchten, selber zu diskriminieren, wenn sie in diesem Feld tätig werden. Diese Sorge ist sicher berechtigt. Allerdings finde ich es schwierig, wenn die gut gemeinte Vorsicht dazu führt, dass am Ende gar keine Infrastruktur für Betroffene von rassistischer Diskriminierung zur Verfügung steht.
Neben Meldeplattformen und Gremien, die bei Vorfällen aktiv werden, etwa durch Sanktionierung von Tätern, sollte das Thema unbedingt auch in der Lehre und in der Ausbildung von Hochschullehrerinnen und -lehrern einen festen Platz bekommen. Die wichtigsten Ziele dabei wären die Sensibilisierung / Awareness und in einem weiteren Schritt die Anleitung zu Zivilcourage.
Es gibt bereits zahlreiche Studien darüber, wie wenig ethnische Vielfalt im humanmedizinischen Curriculum reflektiert und berücksichtigt wird – so werden zum Beispiel dermatologische Befunde vor allem auf hellen Hauttypen gezeigt. Diese Erkenntnisse müssen bekannter gemacht werden und dazu führen, dass Studierende Inhalte kritisch hinterfragen. Ebenso gilt: Dozierende müssen ihre medizinischen Lehrveranstaltungen einem kritischen Redaktionsprozess unterziehen.
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