„Ein kleinräumiges systematisches Monitoring soll Daten über die Versorgungslage erheben“
Berlin – Die medizinische Versorgung als zentraler Teil der Daseinsvorsorge steht in vielen dünn besiedelten ländlichen Regionen vor großen Herausforderungen. Um entsprechend regional planen und die Versorgung verbessern zu können, soll ein kleinräumiges Monitoringmodell entwickelt werden.
Im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ) erklärt BÄK-Vizepräsidentin Ellen Lundershausen, welche Rolle die Bundesärztekammer dabei spielt, wie die ersten Ergebnisse aussehen und wie es weiter geht.

5 Fragen an Ellen Lundershausen, Vizepräsidentin der Bundesärztekammer (BÄK)
DÄ: Welche grundsätzlichen Überlegungen führten dazu, dass die Bundesärztekammer sich eingehend mit dem Thema der Versorgung in dünn besiedelten Regionen befasst?
Ellen Lundershausen: Sowohl der Vorstand der Bundesärztekammer (BÄK) als auch der Wissenschaftliche Beirat beschäftigen sich seit längerem mit regionalen Unterschieden in der medizinischen Versorgung – so wurde beispielsweise im Jahr 2015 im Rahmen der Initiative Versorgungsforschung der BÄK eine Expertise zu regionalen Unterschieden in der Operationshäufigkeit durchgeführt. Dahinter steht die grundsätzliche Frage, wie die grundgesetzlich gebotenen „gleichwertigen Lebensverhältnisse“ gewährleistet werden können.
Infolge einer Neuausrichtung des Ständigen Arbeitskreises Versorgungsforschung (SAV) wurde diesem für die bis 2023 dauernde Berufungsperiode vom Vorstand der BÄK insbesondere auf Initiative unserer leider verstorbenen Vizepräsidentin, Frau Dr. Gitter, mit der Frage zu regionalen Versorgungsunterschieden in dünn besiedelten Regionen ein inhaltliches Thema gestellt.
DÄ: Was sind erste Ergebnisse der Arbeit des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer?
Lundershausen: Zuerst einmal galt es, dieses komplexe und vielschichtige Thema im Interesse der Machbarkeit zu fokussieren. In dem nun vorliegenden Teil 1 seiner Stellungnahme präzisiert der SAV die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen der Versorgung in dünn besiedelten Regionen und stellt einen methodischen Ansatz zu deren Erfassung, Analyse und Management vor.
Die wichtigste Erkenntnis ist: Die Regionen und ihre Strukturen sind so unterschiedlich wie die jeweiligen Versorgungsfragen – daher muss in einzelnen Regionen spezifisch geschaut werden, was besonders gut funktioniert und was eher weniger gut. Und vor allem muss der Frage nachgegangen werden: Warum ist es so?
Ein kleinräumiges systematisches Monitoring soll Daten über die Versorgungslage erheben, die eine Auskunft über die aktuelle regionale Versorgungssituation ermöglichen, und eine Vergleichbarkeit zwischen Regionen herstellen. Auch hier gilt: Erst die Diagnose, dann die Therapie.
DÄ: Sie wollen in diesem Prozess Instrumente erarbeiten, um künftig die sektorenverbindende Arbeit in den Regionen besser beurteilen zu können. Gibt es hierzu schon nähere Vorstellungen, wie dies dann umgesetzt wird?
Lundershausen: In Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure, darunter beispielsweise (Landes)ärztekammern, beteiligte Versorger, Kassenärztliche Vereinigungen, Krankenkassen und politische Entscheidungsträger, sollen auf die Regionen passend zugeschnittene, trennscharfe, leicht zugängliche und möglichst aus Routinedaten abgeleitete Indikatorensets entwickelt werden. Geplant ist, das Projekt regional über freiwillige Pilotregionen zu initiieren und mit der Zeit immer mehr Interessierte dafür zu begeistern.
Wichtig ist: Es geht nicht um den Vergleich verschiedener Versorger im Sinne eines „shaming“ oder „blaming“ – an erster Stelle stehen die evidenzbasierte Analyse der regionalen Versorgungssituation und ein kollegialer Austausch zu deren weiterer Verbesserung.
Dieser Prozess, der die qualitativ hochwertige Versorgung der Patientinnen und Patienten in dünn besiedelten Regionen zum Ziel hat, dient dem Gemeinwohl und nicht dem Interesse einzelner Akteure im Gesundheitswesen. Erste Gespräche mit Pilotregionen laufen und zeigen, dass großes Interesse besteht.
DÄ: Welche Schritte stehen nun als nächstes auf der Agenda der BÄK?
Lundershausen: Ende März 2022 werden Mitglieder des SAV und des Vorstandes der BÄK, Vertreter der (Landes)ärztekammern und der Pilotregionen sowie weitere Interessierte mit geladenen Fachexpertinnen und Fachexperten u. a. Fragen zum Umgang mit Indikatoren sowie zur (GKV-)Datenauswertung und Monitoringimplementierung diskutieren. Im Anschluss daran sollen gemeinsam mit den Pilotregionen passgenaue Indikatorensets entwickelt und deren Anwendung schrittweise implementiert werden.
DÄ: Der Koalitionsvertrag benennt explizit „Gesundheitsregionen“ als Ziel der künftigen Gesundheitspolitik. Welche Erwartung an die Ampelkoalition haben Sie diesbezüglich?
Lundershausen: Die Politik strebt eine moderne und sektorverbindende Gesundheitspolitik an, um auch in der medizinischen Versorgung gleichwertige Lebensverhältnisse zu erreichen. Das wünschen wir uns auch – und wollen uns gestaltend einbringen. Das von der Ärzteschaft entwickelte freiwillige Monitoring stellt aus unserer Sicht eine unverzichtbare Grundlage für rationale gesundheitspolitische Impulse zur Lösung regionaler Versorgungsfragen dar.
Der voraussichtlich im Laufe dieses Jahres erscheinende Teil 2 der SAV-Stellungnahme wird evidenzbasierte Lösungsansätze und Umsetzungsbeispiele zusammenstellen und kann somit als Katalog möglicher Maßnahmen gelesen werden. Beide Stellungnahmeteile zusammen untermauern sowohl die fachliche Kompetenz wie auch das Engagement der Ärzteschaft in diesem Bereich.
Aber die Ärzteschaft kann die aktuellen Fragen nicht allein lösen. Die Sicherstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in der Gesundheitsversorgung kann nur gelingen, wenn alle an der Versorgung Beteiligten und die politischen Entscheidungsträger gemeinsam Lösungen entwickeln und mittragen.
Ziel sind regional passgenaue, evidenzbasierte Planungsentscheidungen. Bei der Koordination dieses Prozesses kommt den (Landes)ärztekammern eine wichtige Rolle zu. Denn wir wollen die Rahmenbedingungen ärztlichen Handelns weiter aktiv mitgestalten.
Im Interesse unseres gemeinsamen Ziels, der Herstellung einer gleichwertigen Gesundheitsversorgung in allen Regionen Deutschlands, unterstützen wir die Koalitionsfraktionen gerne und stehen als Ansprechpartner zur Verfügung.
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