„Es macht Sinn, hochpreisige Therapien in die Hände spezialisierter Ärzte zu legen“
Köln – Die Zulassung von Sofosbuvir zur Therapie von Hepatitis C mit Kosten in Höhe von 60.000 bis 120.000 Euro je Patient hat die Diskussion über angemessene Arzneimittelpreise neu entfacht. Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, die diese hochpreisigen Arzneimittel häufig verordnen, droht ein Spagat zwischen sozialrechtlich verordnetem Wirtschaftlichkeitsgebot und Patientenwohl.

5 Fragen an Dr. med. Axel Baumgarten, Vorstand der Deutschen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter (dagnä).
DÄ: Sowohl die HIV-Therapie als auch die der chronischen Hepatits C sind enorm teuer. Sind Regresse ein schwerwiegendes Problem bei Ihren Mitgliedern?
Baumgarten: HIV- und HCV-Wirkstoffe sind durch die besonderen Versorgungsverhältnisse in fast allen Kassenärztlichen Vereinigungen als Praxisbesonderheiten anerkannt. Dennoch sind Regresse ein Thema. Ein Beispiel: Infektiologisch tätige Schwerpunktbehandler sind nicht selten spezialisierte Hausärzte, denen die HIV- und HCV-Versorgung alle Richtgrößen sprengen. Es kann also zu erheblicher Bürokratie und Unsicherheit kommen, wenn eine Wirtschaftlichkeitsprüfung ausgelöst wird.
Für die ambulanten Infektiologen ist deshalb die im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz geplante Reform der Wirtschaftlichkeitsprüfungen wichtig. Es ist gut, dass die Regierung die Sorge vor Regressen ernst nimmt. Allerdings dürfen Ärzte, die Krankheiten mit hohen Therapiekosten behandeln, durch die geplante regionale Neustrukturierung am Ende nicht im Regen stehen.
DÄ: Wie hilfreich ist die Vereinbarung von Kassenärztlicher Bundesvereinigung und dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung, die neuen Hepatitis C-Medikamente von der Richtgrößenprüfung auszunehmen?
Baumgarten: Ein sinnvoller Schritt. Allerdings bleibt abzuwarten, wie er sich in der Realität auswirken wird. Einzelfallprüfungen sind ja immer noch möglich.
Wichtig ist allerdings, dass der Gesetzgeber eine Lücke im Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz schließt, die die Ärzte verunsichert. Denn die Frage ist ungeklärt, was vor dem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zur frühen Nutzenbewertung als wirtschaftlich gilt und was nach Abschluss der anschließenden Erstattungsbetragsverhandlungen.
DÄ: Wie könnte eine Lösung aussehen?
Baumgarten: Sachgerecht wäre unserer Ansicht nach, wenn man sich vor dem G-BA-Beschluss an den Empfehlungen und Richtlinien der Fachgesellschaft orientieren würde. Nach Abschluss der Preisverhandlungen sollte die Wirtschaftlichkeit über alle Anwendungsgebiete der betreffenden Präparate garantiert sein. Denn Kassen und Hersteller verhandeln einen Mischpreis für sämtliche betroffenen Patientengruppen. Ohne gesetzliche Klarstellung wird wohl erst ein Sozialgerichtsurteil für Verordnungssicherheit sorgen. Die muss aber hergestellt werden.
DÄ: Wie geht man als Arzt mit dem Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und Patientenwohl um?
Baumgarten: Für den Arzt steht das individuelle Patientenwohl – gerade bei einer so speziellen Erkrankung wie der Hepatitis C – an erster Stelle. Allerdings fühlt man auch immer das Korsett des gesetzlich vorgegebenen Wirtschaftlichkeitsgebots des SGB V, dem es gerecht zu werden gilt. Am Beispiel der neuen, sehr innovativen, aber eben auch hochpreisigen HCV-Wirkstoffe zeigt sich, dass das Korsett zuletzt sehr stark angezogen wurde: Die qualitätsgesicherte Indikationsstellung und Behandlung drohte so durch reine Kostenfragen überlagert zu werden. Es war nicht zum Nutzen der Patienten, dass durch die forcierte Unsicherheit Regresssorgen deutlich zunahmen.
DÄ: Wie kann man eine qualitätsgesicherte Behandlung der Patienten vor diesem Hintergrund sicherstellen?
Baumgarten: Probleme, die sich aus der Preiskomponente der Arzneimittelregulierung ergeben, können nicht durch ein Weiterreichen des Schwarzen Peters an die Ärzte gelöst werden, sondern sind im Verantwortungsbereich von Industrie und Krankenkassen zu klären.
Anders sieht es bei der Menge der verordneten Arzneimittel aus: Hochpreisige Therapien spezieller Erkrankungen – wie bei HIV oder Hepatitis C – gehören in die Hände spezialisierter Ärzte. Strukturverträge, wie sie zuletzt in der KV Nordrhein zu Hepatitis C geschlossen wurden, sind ein solcher Ansatz, die Versorgung durch eine qualitätsgesicherte und passgenaue Behandlung unter anderem durch besonders qualifizierte Ärzte zu optimieren. Das gewährleistet auch den sinnvollen Einsatz der aufwendigen Therapie.
Ein solcher Selektivvertrag hat aber auch seine Grenzen: Er ist nicht flächendeckend wirksam. Dennoch ist er ein Schritt in die richtige Richtung: Er kann eine weitere Debatte anstoßen. Und: Ein Teil des Strukturvertrags umfasst Regelungen zur Wirtschaftlichkeit, um den Ärzten die Sorge vor ungerechtfertigten Regressen zu nehmen und Sicherheit in Therapieentscheidungen zu geben.
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