„Für eine klimaadaptierte Therapie benötigen wir spezifischere Hilfsmittel“
Berlin – Der Klimawandel wirkt sich auch auf die Gesundheit aus. In Deutschland machen der Bevölkerung vor allem Extremwetterlagen wie Hitzewellen, Trockenperioden und Überschwemmungen zu schaffen. Der Deutsche Wetterdienst will Ärzte und Pflegeheime künftig mit einem erweiterten Warnsystem über extreme Hitze informieren. Denn sommerliche Hitzewellen erhöhen das zusätzliche tägliche Sterberisiko bei Menschen mit chronischen Lungenerkrankungen um bis zu 14 Prozent, bei längeren Hitzewellen dann kumulativ bis zu 43 Prozent, so das Ergebnis einer Metaanalyse im Deutschen Ärzteblatt.
Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) empfiehlt daher, Frühwarn- und Interventionssysteme zu erarbeiten und Lungenpatienten während der Sommermonate telemedizinisch zu betreuen. Im Interview spricht das Deutsche Ärzteblatt (DÄ) mit einem Pneumologen von der Charité Berlin darüber, wie man chronisch Kranke vor den Folgen des Klimawandels schützen kann.

Fünf Fragen an Christian Witt, Leiter des Arbeitsbereichs Ambulante Pneumologie der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin
DÄ: Welche Menschen sind gesundheitlich besonders durch den Klimawandel beeinträchtigt?
Christian Witt: Extreme Wetterlagen wirken sich in erster Linie auf Kleinkinder, Senioren und Kranke aus. Hitzestress kann bei diesen vulnerablen Personengruppen Krankheitsverläufe verschlechtern und folglich zu einer erhöhten Hospitalisierungs- und Sterblichkeitsrate führen. In Europa nehmen bei Hitzephasen die Raten an Notfall-Hospitalisierungen und -Konsultationen von Menschen mit chronischen inneren Krankheiten zu, insbesondere mit Lungen- und Herz-Kreislauf-Krankheiten. Das zeigte eine Studie aus dem Jahr 2009, die im American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine erschienen ist.
Wie stark die Menschen betroffen sind, hängt unter anderem von der genetischen Disposition ab, von chronischen Arzneimittelbehandlungen, geografischen Faktoren wie Extremwetterlagen oder innerstädtischen Wärmeinseln. Zudem spielen sozioökonomische Parametern wie Familien-, Sozialstatus, Lebensstil und Wohn- und Indoor-Verhältnisse eine Rolle.
DÄ: Kann man jahreszeitliche Unterschiede bei Lungenkrankheiten beobachten?
Witt: Ja, epidemiologische Studien zeigen diese saisonalen Unterschiede eindeutig. Jedes Jahr im Frühjahr und im Herbst/Winter häufen sich die Fälle von Exazerbation bei Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen. Zwar treten im Sommer weniger Exazerbationen verglichen damit auf, es kommt aber dennoch auch hier zu einem Anstieg infolge erhöhter Sommertemperaturen. Auf der Südhalbkugel sind spiegelbildliche Verhältnisse, doch in den Tropen ist die Häufigkeitsfrequenz der COPD-Exazerbationen saisonal ausgeglichen.
Diese jahreszeitlichen Unterschiede von COPD-Exazerbationen implementieren eine Beziehung der Krankheit zur Umwelt, zur Atemluft und zu Klimabedingungen. Wir wissen dank einer Studie aus 2013 aus dem European Respiratory Journal, dass hohe Temperaturen im Sommer zu mehr Exazerbationen führen. Während der Hitzewelle in Porto, Portugal, im Jahr 2006 verzeichneten die Kliniken einen Anstieg der Patientenaufnahmen auf das Doppelte im Vergleich zu den erwarteten Aufnahmen.
DÄ: Auf welche Klima-Konsequenzen sollten sich Pneumologen einstellen?
Witt: Aktuelle Klimawandel-Szenarien erwarten mehr wärmere Hochsommertage, längere Hitzewellen, weniger Niederschläge und eine höhere Luftverschmutzung in unseren Breiten. Folglich werden wir auch in Europa eine Zunahme der Exazerbationen im Sommer durch den Klimawandel erfahren. Urbaner Hitzestress und Schadstoffbelastung in den Innenstädten hängen eng miteinander zusammen. Die Konsequenzen für Patienten und Ärzte scheinen erheblich. Rechenmodelle prognostizieren 71.000 vorzeitige Todesfälle allein für Deutschland durch verkehrsbedingte Luftbelastungen (Air Quality in Europe 2016).
DÄ: In Berlin soll dieses Jahr das neue Frühwarnsystem zum Einsatz kommen. Wie hilfreich schätzen Sie diese Maßnahme ein?
Witt: Das Frühwarnsystem des Deutschen Wetterdienstes will Ärzte bei extremen Temperaturen über Medieninformationen, Warn-Newsletter und Apps frühzeitig informieren. Das System stellt dabei sehr allgemeine Ratschläge zur Verfügung, beispielsweise eine empfohlene Trinkmenge und hitzeadaptierte Verhaltensweisen, auch für ältere Patienten. Für eine klimaadaptierte Therapie benötigen wir spezifischere Hilfsmittel. Die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech) hat 2012 ein Positionspapier mit Vorschlägen für relevante Anpassungsstrategien an den Klimawandel und mögliche Marktchancen in Deutschland veröffentlicht.
DÄ: Welche anderen klimaadaptierten Arzneimitteltherapien sollten in Kliniken und Pflegeheimen zum Einsatz kommen?
Witt: Gute Erfahrungen konnten wir mit einer telemetrischen Überwachung und baulich klimaangepassten Krankenhäusern machen. Ein weiterer vielversprechender Ansatz konnte bereits im Rahmen unseres Forschungsprojekts der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Titel: Urban Climate and Heat Stress, UCaHS) an der Charité – Universitätsmedizin Berlin untersucht und evaluiert werden.
Hierbei wurde in einer prospektiven randomisierten kontrollierten Studie untersucht, welchen Effekt die moderate Klimatisierung von Patientenzimmern in heißen Sommermonaten auf den Behandlungsverlauf von Patienten mit chronischer Lungenerkrankungen (COPD, Asthma bronchiale, pulmonale Hypertonie, idiopathische Lungenfibrose) nimmt.
Patienten in klimatisierten Krankenzimmern wiesen eine verringerte Behandlungsdauer, ein geringeres Krankheitsgefühl und eine bessere Mobilisierung auf. Eine von uns durchgeführte Studie in Environmental Health im BMBF-KLIMZUG-Programm konnte zusätzlich zeigen, dass Telemonitoring das Exazerbationsrisiko von COPD-Patienten während Hitzestress signifikant senken kann.
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