5 Fragen an...

„In Zukunft soll für jeden bekannt sein, wie eine Kniegelenkprothese eingebaut werden muss, um ein optimales Ergebnis zu erhalten“

  • Montag, 23. Dezember 2024

Berlin – Jedes Jahr werden in Deutschland zehntausende Operationen durchgeführt, um Kniegelenk­prothesen einzusetzen. Die überwiegende Mehrheit der Betroffenen fühlt sich wohl mit dem Gelenkersatz. Doch gibt es eine Reihe von Patientinnen und Patienten, die damit nicht zufrieden sind. Hier könnte ein patientenspezifischen Alignment, das die individuellen Voraussetzungen berücksichtigt, immer mehr von Bedeutung werden.

Offene Fragen dabei sind zum Beispiel, wie ein optimales patientenspezifische Alignment aussehen und wie roboterassisistierte Systeme dabei unterstützen könnten, die Prothese passgenau einzusetzen. Dazu hat das Deutsche Ärzteblatt mit dem Orthopäden und Unfallchirurgen Rüdiger vom Eisenhart-Rothe gesprochen.

Rüdiger von Eisenhart-Rothe /Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München
Rüdiger von Eisenhart-Rothe /Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München

5 Fragen an Rüdiger von Eisenhart-Rothe, Direktor der Klinik für Orthopädie und Sportorthopädie am Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München, sowie Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Endoprothetik

Wie viele Kniegelenkprothesen werden in Deutschland eingesetzt, wie hoch ist die Zufriedenheit der operierten Menschen?
Fast 200.000 Kniegelenksprothesen werden pro Jahr primär in Deutschland eingesetzt. 2022 waren es den Zahlen des Endoprothesenregisters zufolge 199.527. Während der COVID-19-Pandemie gab es zwar einen kleinen Knick, aber insgesamt sind die Zahlen relativ stabil geblieben.

Bislang geht man davon aus, dass ungefähr 80–85 % der Patientinnen und Patienten mit den Kniegelenkprothesen zufrieden sind. Unzufrieden sind etwa 15–20 %. Ob sich diese Zahl in den letzten Jahren geändert hat, ist schwer zu sagen.

Das bedeutet auch nicht unbedingt, dass die Prothesen ausgetauscht werden müssen oder starke Schmerzen bestehen. Das Ziel des sogenannten „forgotten knee“, dass der oder die Betroffene das künstliche Knie gar nicht bemerkt beziehungsweise es als ihr eigenes empfinden, ist jedoch dann nicht erreicht worden.

Dies liegt vor allem auch daran, dass die Anatomie beziehungsweise Kinematik des Kniegelenkes, im Gegensatz zum Beispiel zum Hüftgelenk, sehr komplex ist. Dabei reagiert das Knie empfindlich auf Veränderungen der Ausrichtung und Gelenkstellung, was Auswirkungen auf die Biomechanik und die Bandspannung nach sich zieht.

Nicht zuletzt in Bezug auf das „forgotten knee“ wird aktuell über die Ausrichtung oder das Alignment für den Einbau der Prothese diskutiert. Was unterscheidet das patientenspezifische vom mechanischen Alignment?
Das mechanische ist ein systematisches Alignment, das heißt es werden keine individuellen Unterschiede ge­macht: Bei jedem Menschen wird das Knie immer gleich operiert beziehungsweise die Prothese gleich einge­setzt: Es wird begradigt und die Gelenklinie senkrecht dazu gestellt.

Jedoch haben nur 15 % der Bevölkerung eine solche Anatomie. Es kommt somit in den meisten Fällen zu einer Veränderung der Gelenkstellung. Patientenspezifische Alignments hingegen sind individuelle Techniken, das heißt sie berücksichtigen die patientenspezifischen Gegebenheiten und Anatomie.

Die Extremform des patientenspezifischen Alignements ist das kinematische Alignment, bei dem die Prothese ohne Grenzen so eingebaut wird, wie das Kniegelenk vorher aussah. Das ist aber meines Erachtens auch nicht das Richtige: Wenn jemand eine Fehlstellung in Form eines X-Beins von 10 Grad hat, stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, das Knie wieder so herzustellen.

Es braucht demnach bestimmte Grenzen in Bezug auf die Beinachse, in denen die Wiederherstellung des „alten“ Knies sinnvoll ist. Die meisten Operateure und Operateurinnen sind aktuell der Ansicht, dass eine Form des sogenannten „restricted“ oder eingeschränkten patientenspezifischen Alignment mit entsprechenden Grenzbe­reichen am besten geeignet ist.

Für ein O-Bein heißt das zum Beispiel, dass die Gelenkfläche im Unterschenkel bis zu 4 oder 5 Grad gekippt und die Gesamtbeinachse bis auf 4 oder 5 Grad angepasst wird. Bei einem X-Bein hingegen macht man das Bein weiterhin relativ gerade, weil ein X-Bein prinzipiell nicht gesund oder physiologisch ist.

Bislang ist allerdings noch nicht genau bekannt, mit welcher individuellen Alignmenttechnik man das perfekte Ergebnis erreicht. Dazu führen wir aktuell wissenschaftliche Untersuchungen durch. In Zukunft soll für jede Person, die eine Kniegelenkprothese benötigt, bekannt sein, wie diese eingebaut werden muss, um ein optimales Ergebnis zu erhalten.

Wie können roboterassistierte Systeme das patientenspezifische oder individuelle Alignment unterstützen?
Die roboterassistierten Systeme können dabei helfen, die Planung perfekt umzusetzen. Sie führen zu guten und präzisen Ergebnissen, die reproduzierbar sind. Erfahrene Operateure oder Operateurinnen können zu ähnlichen Resultaten kommen. Aber der menschliche Faktor ist nicht zu unterschätzen, auch Experten sind nicht jeden Tag gleich gut. Durch den Einsatz von roboterassistierten Systemen lassen sich die Ausreißer beziehungsweise die nicht optimal eingesetzten Prothesen vermeiden.

Darüber hinaus ermöglichen sie, die Sägeschnitte präzise auszuführen. Studienergebnisse weisen darauf hin, dass etwa 26 % der von Hand gemachten Schnitte nicht genau sind, selbst bei erfahrenen Operateuren.

Allerdings unterscheiden sich die Resultate Studien zufolge bislang nicht deutlich zwischen roboterassistierten Systemen und herkömmlichen Operationen. Das liegt vor allem daran, dass die moderne Technik zunächst ein­gesetzt wurde, um den Einbau von Kniegelenkprothesen nach dem mechanischen Alignment zu unterstützen. So können die Ergebnisse nicht verbessert werden. Der Roboter erlaubt es aber nun, die unterschiedlichen Ausrich­tungskonzepte präzise umzusetzen. Es ist also die Kombination von Robotertechnik mit dem individuellen Alignment, die den Unterschied macht.

Roboterassistierte Systeme, die auf der Bildgebung basieren, planen mittels computertomografischer Bilder den Einsatz der Kniegelenkprothese so, dass sie zu der knöchernen Anatomie des Patienten passt. Während der Operation kommt dann noch die Bandspannung hinzu. Das heißt, wie locker oder straff ist die Bandstruktur an der Innen- und Außenseite.

Am Ende soll eine bestimmte Bandspannung erreicht werden: Innenseitig soll es über den gesamten Bewe­gungs­umfang immer gleich stabil oder straff sein. Außenseitig macht man es etwas lockerer – in der Beugung noch etwas mehr als in der Streckung. Wenn alles passt, helfen die roboterassistierten Systeme, das alles millimetergenau umzusetzen.

Wie kann man feststellen, wie das Knie ursprünglich aussah?
Es besteht die Möglichkeit, mittels Computertomografie (CT), Röntgenbilder oder Vergleich mit der Gegenseite herauszufinden, wie die Anatomie ursprünglich aussah. Hinzu kommt die Erfahrung. So weiß man zum Beispiel, dass ein O-Bein auf der Unterschenkelseite meistens krankhaft verändert ist und die Oberschenkelseite nicht. Bei einem X-Bein finden sich die pathologischen Veränderungen meistens an der Oberschenkelseite. Daran kann man sich orientieren.

Aber es geht noch einen Schritt weiter, das ist ja nur die knöcherne Struktur. Wichtig ist auch die Bandspannung. Die meisten Menschen haben eine Bandspannung, bei der die innere Kondyle während der Beugung stationär bleibt und die äußere wandert nach hinten. Das heißt, es gibt eine gewisse Außenrotation des Oberschenkels gegenüber dem Unterschenkel. Aber das trifft eben nicht auf alle Menschen zu, bei manchen ist es umgekehrt.

Daher gibt es Überlegungen, zu einem Zeitpunkt, wenn noch keine Veränderungen vorliegen, vielleicht mit Wearables oder Ähnlichem nicht nur die Anatomie, sondern auch die Kinematik dieses Kniegelenkes festzuhalten. Ist dies bekannt, lässt sich das Kniegelenk perfekt wieder nachbauen. Das ist das Ziel.

Werden Daten der Patienten mit Kniegelenkprothesen erfasst, um die noch offenen Fragen zu klären?
Daten sind notwendig, damit Decision-Support-Systeme entwickelt werden können, die letztendlich dazu beitragen, das mehr oder weniger perfekte Knie zu rekonstruieren. In unserer Klinik werden von jedem Patienten und jeder Patientin vor und nach dem Eingriff Daten, auch mit Wearables, erfasst.

So können wir sehen, wie eine Operationstechnik, eine Alignmentphilosophie bei einer bestimmten Anatomie den Erfolg beeinflusst. So haben wir zum Beispiel prä- und postoperative Röntgen- oder CT-Bilder sowie intraoperative Daten. Liegen genügende Daten vor, können diese analysiert und in Decision-Support-Systeme eingebracht werden.

Wichtig ist, dass wir verantwortungsvoll mit den Daten umgehen. Daher sehe ich diese Daten am liebsten in den Händen der behandelnden Ärzte. Solche Daten müssen sorgfältig erhoben und interpretiert werden und es muss stets nachvollziehbar sein, warum eine künstliche Intelligenz jetzt genau in der Sekunde so gehandelt hat. Die Auswertung, Interpretation und Therapieempfehlung sollten daher durch Ärzte und nicht durch Krankenkassen oder die Industrie erfolgen.

aks

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