„Menschen mit hoher Resilienz sind in der Pandemie besser gewappnet“
Mainz – Durch die Coronapandemie sind insbesondere Ärzte und Pflegekräfte erhöhtem Stress ausgesetzt. Mehr und mehr Ärzte warnen derzeit vor den Folgen für das Gesundheitssystem, wenn die Helfer nicht selbst ausreichend Hilfe erhalten.
Der Wissenschaftliche Geschäftsführer des Leibniz-Instituts für Resilienzforschung (LIR), Klaus Lieb, erklärt im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ), wie eine hohe Resilienz die Menschen in der Coronapandemie schützt, wie sie erlernt werden kann und ob Ärzte eine höhere Resilienz haben als andere.

Fünf Fragen an Klaus Lieb, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Leibniz-Institut für Resilienzforschung
DÄ: Herr Professor Lieb, was versteht man unter Resilienz?
Klaus Lieb: Resilienz ist die Aufrechterhaltung oder rasche Wiederherstellung der psychischen Gesundheit während oder nach stressvollen Lebensereignissen. Resilienz heißt also nicht, immer frei von psychischen Belastungssymptomen zu sein, sondern in der Lage zu sein, in Reaktion auf Stress und widrige Lebensumstände entweder die psychische Gesundheit aufrechtzuerhalten oder nach einer relativ kurzen Phase der psychischen Belastung in einen psychisch gesunden Zustand zurückzukehren.
DÄ: Inwiefern kommen Menschen mit einer hohen Resilienz derzeit besser durch die COVID-19-Pandemie als andere?
Lieb: Für die Bewältigung der psychischen Belastungen der aktuellen Pandemie sind grundsätzlich Menschen mit einer hohen Resilienz besser gewappnet als Menschen mit einer niedrigen Resilienz.
Unsere Studien und insbesondere die systematische Analyse der sehr umfangreichen Literatur zu psychischen Belastungen in der Coronapandemie haben bestimmte Risikofaktoren für erhöhte psychische Belastung in der Pandemie identifiziert. Dazu gehören zum Beispiel weibliches Geschlecht und jüngeres Lebensalter, aber auch ein häufiger Medienkonsum, Sorgen und ständiges Grübeln über das Virus und Sorgen über finanzielle Auswirkungen der Krise.
Protektiv dagegen wirken soziale Kontakte, die Fähigkeit, in der Krise auch eine Chance zu sehen sowie höheres Lebensalter, hohe Bildung und gutes Einkommen. Es ist zu befürchten, dass sich auch in der Frage der psychischen Auswirkungen soziale Ungleichheiten verstärken werden. Es ist aber anzumerken, dass es auch positive Auswirkungen der Krise gibt.
So haben wir in einer Längsschnittstudie gesehen, dass 80 Prozent der 500 wöchentlich befragten Probanden insgesamt über eine geringere psychische Belastung während des ersten Lockdowns berichteten, die durch den Wegfall täglicher Stressoren wie zum Beispiel Straßenverkehr, Auseinandersetzung mit Kollegen et cetera bedingt war.
Etwa acht Prozent der Befragten zeigten jedoch nach initialer Adaption an die Krise im weiteren Verlauf eine Zunahme von Stress, psychische Belastung und Frustration. Solche Risikogruppen müssen besonders im Auge behalten werden.
DÄ: Wie hoch ist die Resilienz aus Ihrer Erfahrung bei Ärztinnen und Ärzten?
Lieb: Ärztinnen und Ärzte schätzen ihre eigene Resilienz grundsätzlich etwas höher ein als der Rest der Bevölkerung. Auch in der Bewältigung der Pandemie hat die Auswertung von mehr als 100 internationalen Studien aus der ersten Welle der Pandemie gezeigt, dass das Stresserleben der Ärztinnen und Ärzte gegenüber der Zeit vor der Pandemie zwar erhöht ist, die psychische Belastung aber nicht höher war.
Dies weist darauf hin, dass bei Ärztinnen und Ärzten, aber auch bei anderen Personen im Gesundheitswesen, die Fähigkeit zur Bewältigung von sehr stressvollen Lebensereignissen eher stärker ausgeprägt ist. Wahrscheinlich liegt das auch daran, dass der Beruf eher dann gewählt wird, wenn die eigene Resilienz als eher hoch eingeschätzt wird. Halten die Stressoren wie jetzt in der fortgesetzten Pandemie langfristig an, können aber auch grundsätzlich resiliente Personen an ihre Grenzen kommen. Gerade in der aktuell beginnenden dritten Welle der Pandemie sehen wir, dass die psychische Belastung zunimmt und sich die Kompensationsmöglichkeiten erschöpfen.
DÄ: Wie entsteht Resilienz? Und kann man Resilienz lernen?
Lieb: Früher hat man angenommen, dass Resilienz weitgehend angeboren ist. Heute geht man dagegen davon aus, dass es sich um etwas Dynamisches handelt, das heißt, dass Menschen, die eher wenig resilient sind, im Laufe des Lebens auch resilienter werden können. Denn Resilienz ist grundsätzlich erlernbar und kann trainiert werden.
Bisherige Interventionen zur Förderung von Resilienz setzen dabei am Training von bestimmten Resilienzfaktoren an. Unsere systematischen Reviews und Metaanalysen, die wir für die Cochrane Library gemacht haben, zeigen, dass solche resilienzfördernden Interventionen auch bei Ärztinnen und Ärzten, Pflegekräften und anderen Berufsgruppen im Gesundheitswesen gegenüber Vergleichsgruppen kleine bis mittlere Effekte zeigen.
Diese Interventionen müssen nicht zwangsläufig viele Sitzungen umfassen, sie sind besonders im Gruppenformat wirksam und werden zunehmend auch online angeboten, um die Betroffenen niedrigschwelliger zu erreichen.
Auf der Basis verhaltenstherapeutischer Techniken, die auch in der Psychotherapie angewandt werden, geht es dabei vor allem um das Trainieren bestimmter Resilienzfaktoren, etwa die kognitive Flexibilität, der Aufbau sozialer Kontakte, aktive Problemlösung, das Erleben positiver Emotionen oder die Förderung von Selbstwirksamkeitserleben.
Ziel der Arbeit am LIR ist es, neue, auf Resilienzmechanismen basierende Interventionen zu entwickeln. Zu kritisieren ist an den aktuellen Wirksamkeitsstudien, dass die Wirksamkeit der Interventionen nur über Resilienzskalen erfasst, aber nicht analysiert wird, ob die teilnehmenden Personen in der Auseinandersetzung mit konkreten Stressoren auch tatsächlich resilienter sind. Wir fordern daher neue Studiendesigns, die das Zusammenspiel zwischen Intervention, Stressoren und resilientem Outcome analysieren.
DÄ: Welche Rolle spielt Resilienz derzeit in der Therapie von Erkrankungen, zum Beispiel im Bereich der Rehabilitation?
Lieb: Die Förderung von Resilienz ist zunächst ein krankheitsübergreifender präventiver Ansatz, der als eine frühe Form der Prävention zum Ziel hat, die Entwicklung von Stressfolgeerkrankungen zu verhindern.
Gleichzeitig ist es sehr wahrscheinlich, dass auch bei der Verhinderung des Wiederauftretens psychischer Erkrankungen nach erfolgter Remission einer psychischen Erkrankung die Förderung von Resilienzfaktoren beziehungsweise resilienzfördernde Interventionen wirkungsvoll sind. Insofern haben entsprechende Interventionen auch im Bereich der Rehabilitation ihren Stellenwert. Viele der in solchen Programmen beziehungsweise in verhaltenstherapeutischen Interventionen trainierten Faktoren sind die schon genannten Resilienzfaktoren.
Der Prävention psychischer Erkrankungen kommt in der Medizin immer noch zu wenig Bedeutung zu. Seit den 1980er-Jahren haben sich die Suizide – von denen wir ausgehen, dass sie fast immer im Rahmen schwerer psychischer Erkrankung auftreten – zwar bis heute halbiert, es sterben aber immer noch dreimal mehr Menschen an einem Suizid als an einem Verkehrsunfall.
Wir gehen auch davon aus, dass chronische Stresszustände und damit das Risiko an einer psychischen Störung zu erkranken, zunehmen. Deshalb muss mehr Geld in die Prävention psychischer Erkrankungen gesteckt werden und diese Form der Prävention muss genauso selbstverständlich werden wie eine Darmkrebsvorsorge. Schließlich schützen viele präventive Ansätze, zum Beispiel Bewegung, gesunde Ernährung, ausreichender Schlaf, Verzicht auf Rauchen und mäßiger Alkoholkonsum, vor einem breiten Spektrum psychischer und körperlicher Erkrankungen.
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