5 Fragen an...

Pharmaverband will den Nutzen von Arzneimitteln in den Mittelpunkt stellen

  • Montag, 24. September 2012

Köln – Am Mittwoch treffen sich die Mitglieder des Bundesverbandes der Arzneimittel­hersteller (BAH) in Berlin zu ihrer Jahresversammlung. Der mitgliederstärkste Branchen­verband, dem forschende Pharmaunternehmen, Generikahersteller und Hersteller von Selbstmedikationsarzneimitteln angehören, will sich diesmal in erster Linie mit dem Nutzen von Arzneimitteln beschäftigen.

Uploaded: 24.09.2012 11:36:07 by mis
Martin Weiser

5 Fragen an Martin Weiser, Apotheker und seit Oktober 2011 neuer BAH-Hauptgeschäftsführer

DÄ: Warum haben Sie für Ihre diesjährige Mitglieder­versammlung das Thema „Nutzen“ als Schwerpunkt gewählt?
Weiser: Wir tagen unter dem Titel „Der Stellenwert des Arzneimittels in einer modernen Gesundheitsver­sorgung“. Uns ist es wichtig, dass man nicht immer nur die Kosten und die Risiken in den Mittelpunkt stellt, sondern dass man auch über das Thema „Nutzen“ spricht.

Gerade im Zusammenhang mit OTC-Arzneimitteln, also Arzneimitteln der Selbstme­dikation, hört man vom Nutzen wenig. Die Ergebnisse unserer aktuellen Marktforschung belegen, dass die Patienten verunsichert sind, seit im Jahr 2004 OTC-Arzneimittel aus der Erstattungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen herausgenommen wurden. Solange das Arzneimittel vom Arzt verschrieben wurde, hat der Verbraucher das offenbar gleichgesetzt mit: „Es hat eine Wirkung“. Seit es nicht mehr verschrieben wird, kommt häufig als Botschaft an: „nicht wirksam“.

Deshalb halten wir die arztgestützte Selbstmedikation mit dem grünen Rezept für so wichtig. Sie gibt den Patienten wieder Sicherheit.

DÄ: Aber gerade in der Gruppe der OTC-Medikamente befinden sich auch solche mit umstrittener Wirksamkeit.
Weiser: Da ist unsere Position eindeutig: Jedes Arzneimittel, das in Deutschland zugelassen ist, hat einen Bewertungsprozess durchlaufen – unabhängig davon, ob es apothekenpflichtig ist, frei verkäuflich oder verschreibungspflichtig. Jedes zugelassene Arzneimittel hat damit seine Wirksamkeit nachgewiesen.

Auch der Gesetzgeber hat festgestellt, dass bei den verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, die sich dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) zufolge einer Nutzenbewertung stellen müssen, mit der Zulassung der Nutzen per se belegt ist. Zwar noch nicht der Zusatznutzen im Verhältnis zu einer Vergleichstherapie; aber der Nutzen gilt als belegt.

DÄ: Ist es nicht schwierig, bei Ihrer heterogenen Mitgliederschaft Themen zu setzen?
Weiser: Da muss man sich anschauen, wo der BAH im Konzert der Verbände steht. Was ist das Besondere am BAH? Was macht ihn aus? Zunächst konzentrierte sich der BAH seit seiner Gründung 1954 auf den Bereich der Selbstmedikation. 2003 hat der Verband sein Leistungsangebot auf den gesamten Bereich der Erstattung erweitert. Seine zentralen Aufgaben: Die politische Interessenvertretung in Berlin, aber auch im hohen Maße, für die Unternehmen im echten Sinne des Wortes ein Dienstleister zu sein. Gerade für seinen Service zu allen Fragen rund um das Arzneimittel wird der BAH sehr geschätzt. Wir arbeiten beispielsweise Regulatorisches auf, informieren, bewerten und sind Ansprechpartner für die Firmen. Dabei sind wir stets im Dialog mit der Politik und unseren Marktpartnern. Aktuelles Beispiel: die frühe Nutzenbewertung. Zu diesem wichtigen Thema haben wir eine eigene Arbeitsgruppe eingerichtet.

DÄ: Wie zufrieden sind denn ihre Mitglieder mit der frühen Nutzenbewertung?
Weiser: Ich verfolge die Gesundheitspolitik seit dem Jahr 2000 aktiv mit. Wenn man sich anschaut, was seit 1989 passiert ist – seinerzeit führte der damalige Arbeitsminister Norbert Blüm die Arzneimittelfestbeträge ein – hatten fast alle Gesetzgebungsverfahren nur ein Ziel: Kostendämpfung mit Fokus auf den Arzneimittelbereich. Einen echten Paradigmenwechsel hat es erst jetzt mit dem AMNOG gegeben, das die obligatorische Nutzenbewertung eingeführt hat.

Gut ist, dass erstmals der Nutzen im Vordergrund steht. Die Gefahr ist aber, dass auch hier über kurz oder lang die Kostendämpfung im Vordergrund steht. Denn unser Markt­partner, der GKV-Spitzenverband, fährt zurzeit eine Niedrigpreisstrategie. Das ist aber eigentlich nicht der Ansatz des Gesetzes. Das sagt: Wir wollen den Nutzen und den Zusatznutzen im Verhältnis zu einer zweckmäßigen Vergleichstherapie überprüfen. Aber hier fängt das Problem schon an.

Für die zweckmäßige Vergleichstherapie gibt es rationale Kriterien: Evidence based Medicine. Gibt es vergleichbare Therapien, ist die wirtschaftlichere zu nehmen. Zuerst kommt also die Nutzenbewertung, danach folgen die Preisverhandlungen. Das sind zwei verschiedene Dinge. Nur so, wie die Dinge zurzeit laufen, wird schon bei der Wahl der Vergleichstherapie auf den Preis geschaut, indem man Generika als Vergleichstherapie bevorzugt.

DÄ: Aber es war doch das Ziel des AMNOG, dass die Hersteller nachweisen müssen, dass ihr Arzneimittel besser sein muss als die Standardtherapie, um einen höheren Preis zu rechtfertigen. Wenn es nicht besser ist als ein Generikum, kann man auch keinen höheren Preis fordern.
Weiser: Verstehen Sie mich nicht falsch. Dass die Pharmaindustrie sich der Nutzenbe­wertung stellen muss, ist unstreitig. Es ist nur die Frage: Wie wird das Gesetz umgesetzt?

Anders als in anderen Ländern spielt in Deutschland das Thema Gesundheitsökonomie keine Rolle. Relevant sind die patientenrelevanten Endpunkte: Lebensqualität, Vermin­derung von Mortalität, Morbidität und von Nebenwirkungen. Insbesondere um eine Verminderung der Morbidität und Mortalität zeigen zu können, braucht es langjährige Studien, die zum Zeitpunkt der Zulassung nicht vorliegen können. Man muss sich fragen, ob die Suche nach dem per Gesetz definierten patientenrelevanten Nutzen möglicher­weise zu kurz greift und nicht auch der gesellschaftliche Nutzen einer Therapie einbezogen werden muss. Dazu gehört auch ein Blick auf die Versorgungsrealität.

Pharmaunternehmen sind Wirtschaftsunternehmen, denen man eine bestimmte Zeit zugesteht, ihre Produkte exklusiv zu vermarkten. Sie haben zehn Jahre lang Zeit, Geld zu verdienen. Danach ist Schluss. Deshalb muss die Frage erlaubt sein, ob die Kriterien, die an die Nutzenbewertung angelegt werden, die richtigen sind.

HK/Stü

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