5 Fragen an...

„Wichtig ist es, alle Daten im Blick zu behalten und transparent zu machen“

  • Mittwoch, 18. August 2021

Berlin – Während die Zahl der Neuinfektionen im Rahmen der COVID-19-Pandemie wieder ansteigt, diskutieren Fachleute darüber, welchen Stellenwert die 7-Tage-Inzidenz für die künftige Bewertung des Pandemiegeschehens haben sollte.

Im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt () erklärt der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Kran­ken­hausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, weshalb die Betrachtung der Inzidenz als alleinige Größe nicht mehr sinnvoll ist, welche Daten künftig herangezogen werden sollten und wie er zu einem möglichen weiteren Lockdown steht.

Gerald Gaß /DKG
Gerald Gaß /DKG

5 Fragen an Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der DKG

DÄ: Bislang diente in erster Linie die Zahl der Neuerkrankungen als Grundlage politischer Entscheidungen im Rahmen der COVID-19-Pandemie. Ist das aus Ihrer Sicht jetzt noch angemessen?
Gerald Gaß: Die Zahl der Neuerkrankungen, also die Inzidenz, ist weiterhin eine Größe, aber nicht mehr die alleinige Größe.

Durch den großen Fortschritt, den wir bei den Impfungen erreicht haben, sind Inzidenz einerseits und Hospitalisierung und schwere Verläufe andererseits voneinander abgekoppelt. Gerade die beson­ders gefährdeten Gruppen sind durch die Impfung weitest­gehend geschützt.

Deswegen bedeutet eine höhere Inzidenz auch nicht mehr auto­matisch eine Überlastung des Gesundheitssystems. Auch die Inzi­denz als bisher einheitliche Kennzahl sollte zukünftig nach Alters­gruppen differenziert betrachtet werden.

DÄ: Welche Zahlen sollte die Politik statt der Inzidenz heranziehen?
Gaß: Wir müssen die drei großen Bereiche miteinander verknüpfen: die Infektionslage, die Hospitali­sierungssituation und das Impfgeschehen.

Es ist erforderlich, verschiedene Indikatoren zusammen in den Blick zu nehmen. Dazu gehören die Hospi­talisierungsrate, eine altersstratifizierte Impfquote, die Belegung von Intensivkapazitäten, die Positivrate an Tests und die Steigerungsquoten, sowohl der Inzidenz als auch der Hospitalisierungsraten.

Gerade die Altersstandardisierung ist notwendig, um Gefahren für das Gesundheitssystem schneller und besser ausloten zu können. Zudem ergibt sich beispielsweise ein klareres Bild, wenn wir steigende Inzi­denzen in geimpften Gruppen haben, also mehr Impfdurchbrüche, sodass eine dritte Impfung notwendig sein kann.

Es gibt nicht die eine „Formel“, mit der man aus den unterschiedlichen Kennzahlen einen gemeinsamen Leitwert berechnet. Wichtig ist es, all diese Daten im Blick zu behalten und transparent zu machen. Eine einzelne Kennzahl kann nicht die Erklärung für differenzierte und zielgerichtete politische Entschei­dungen sein. Dies würde der Komplexität der Lage auch nicht gerecht werden.

DÄ: Im Juli hat das Bundesgesundheitsministerium eine Verordnung über eine erweiterte Meldepflicht der Krankenhäuser erlassen. Wie bewerten Sie diese?
Gaß: Grundsätzlich lagen alle aus unserer Sicht notwendigen Daten auch ohne die Meldeverordnung vor. Zentral ist aber, dass die Daten nun endgültig transparent und für jeden zugänglich aufbereitet werden.

Wichtig ist ja, dass diese Daten nicht nur Grundlage für politische Entscheidungen sind, sondern vor allen Dingen auch Grundlage für eine Akzeptanz in der Bevölkerung sein können.

DÄ: Unter welcher Konstellation wären ein neuerlicher Lockdown oder neuerliche Schulschließungen aus Ihrer Sicht angemessen?
Gaß: Unter der Maßgabe, dass die Impfung weiter wirksam ist und keine Escape-Mutationen kommen, gibt es zum jetzigen Zeitpunkt keine Konstellation, die einen kompletten Lockdown oder eine Schul­schließung angemessen erscheinen lassen.

Die besonders gefährdeten Gruppen sind geschützt. Dass es vielleicht situativ, regional begrenzt beson­dere Einschränkungen geben könnte oder dass wir besondere Regeln für Nichtgeimpfte und Nichtge­tes­tete haben, ist aber trotz allem möglich.

DÄ: Wie ist der aktuelle Sachstand in den Krankenhäusern und auf den Intensivstationen? Welche Entwicklung erwarten Sie in den kommenden Wochen?
Gaß: Wir haben einen Anstieg an Hospitalisierungs- und Intensivfällen, aber auf einem sehr niedrigen Niveau. Ich erwarte, dass sich der Anstieg fortsetzt, wir aber zu keinem Zeitpunkt wieder das Niveau erreichen, das wir in der zweiten und dritten Welle hatten.

Auch die Daten aus anderen europäischen Ländern machen ja deutlich, dass auch bei steigender Inzi­denz Hospitalisierung nicht im gleichen Maß steigt, wie wir es noch in der zweiten und dritten Welle hatten.

fos

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