„Wir brauchen ein Sofortprogramm, um 25.000 neue Pflegestellen im Krankenhaus zu schaffen“
Berlin – Am 24. September ist Bundestagswahl. Das Deutsche Ärzteblatt hat die gesundheitspolitischen Sprecher der Parteien, Länderminister, Verbände und Ärzte aus der Patientenversorgung befragt, wie es mit der Gesundheitspolitik in der kommenden Legislatur weitergehen sollte.

Fünf Fragen an Maria Klein-Schmeink, gesundheitspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
DÄ: Viele Ärzte und Pflegekräfte im Gesundheitswesen leiden unter Zeitdruck, Personalmangel und zu viel Bürokratisierung. Welche konkreten Rezepte haben Sie, um diese Situation in der kommenden Legislaturperiode zu verbessern?
Maria Klein-Schmeink: Wir wollen attraktive Arbeitsbedingungen in unserem Gesundheitswesen. Wir wollen, dass alle Gesundheitsberufe Zeit für ihre Patientinnen und Patienten haben. Dafür müssen die Vergütungssysteme verändert werden, damit nicht der Technikeinsatz, sondern der Einsatz für die Patientinnen und Patienten belohnt wird. Beim Thema Qualität darf das Ziel einer guten Versorgung nicht durch Formularkram und Bürokratie verdrängt werden. Ganz wichtig ist mir die Pflege. Hier brauchen wir ein Sofortprogramm, um 25.000 neue Pflegestellen im Krankenhaus zu schaffen. Zugleich müssen wir den Pflegeberuf attraktiver machen, damit mehr Menschen diesen wichtigen und verantwortungsvollen Beruf wählen.
DÄ: Die Digitalisierung wird eines der Top-Themen der nächsten Legislaturperiode sein. Welche drei Punkte sind bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens nach der Wahl vordringlich anzugehen?
Klein-Schmeink: Die Potenziale der Digitalisierung sind groß und noch lange nicht ausgeschöpft. Damit die Chancen genutzt werden können, müssen diese drei Punkte angegangen werden:
Wir brauchen mehr strategische Weitsicht und systematisches Handeln bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Das reaktive, kurzsichtige und allein von den Interessen der Selbstverwaltung bestimmte Agieren muss aufhören.
Die Patientinnen und Patienten dürfen bislang bei der Entwicklung meist nur als Zuschauer dabei sein. Wir wollen, dass sie die Richtung der Entwicklung stärker bestimmen können.
Die Gesundheitsdaten gehören in die Hand der Patientinnen und Patienten. Die elektronische Patientenakte muss zügig aufs Gleis gesetzt werden. Hierzu müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Wettbewerb und Innovationen ermöglichen sowie Datensilos verhindern. Wir wollen eine Patientenakte, die Sektorengrenzen überwindet und so abgestimmte Behandlungswege ermöglicht.
DÄ: Welches sind die drei größten Fehlentwicklungen in der medizinischen Versorgung in den vergangenen Jahren?
Klein-Schmeink: Hinter vielen Fehlentwicklungen stehen grundlegende Strukturprobleme in unserem Gesundheitswesen. Ein Problem ist die mangelnde Wertschätzung etwa von Pflegekräften und anderen Gesundheitsberufen. Das manifestiert sich durch den Mangel beim Pflegepersonal im Krankenhaus oder einer überholten Arbeitsteilung zwischen den Gesundheitsberufen. Ein weiteres Problem ist die Sektorentrennung mit unter anderem unterschiedlicher Sicherstellung, Versorgungsplanung, Budgets sowie Vergütungen. Das erschwert eine abgestimmte Versorgung im Interesse der Patientinnen und Patienten. Und ein drittes Problem sind die ökonomischen Fehlanreize in unserem Gesundheitswesen. Wir haben zu viele Ärztinnen und Ärzte am Starnberger See, in der Altmark aber zu wenig. Wir geben immer mehr Geld für stationäre Leistungen aus, aber gesünder sind wir dadurch nicht. Wir müssen diese Fehlentwicklungen angehen und die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten in den Mittelpunkt stellen.
DÄ: Blick in die nahe Zukunft: Was sind die drei ersten gesundheitspolitischen Anträge, die Sie nach der Wahl stellen wollen?
Klein-Schmeink: Wir wollen in der kommenden Legislaturperiode das konkrete Regierungshandeln mitbestimmen und uns nicht mit Anträgen aufhalten. Das sind Punkte, mit denen gestartet werden muss: Wir müssen eine gerechtere Finanzierung unseres Gesundheitswesens erreichen. Ein erster Schritt ist eine fairere Lastenteilung zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten bei den Gesundheitskosten. Zumindest müssen wir dafür sorgen, dass die Schere nicht immer weiter aufgeht. Zweitens müssen wir bei den kleinen Selbständigen eine faire Lösung schaffen, damit sie gut abgesichert sind und von den Beiträgen für die Krankenversicherung nicht überfordert werden. Und drittens brauchen wir ein Sofortpaket, das die Situation bei den Haftpflichten in der Geburtshilfe angeht. Nicht nur Hebammen, auch zum Beispiel Belegärzte müssen inzwischen gewaltige Summen zahlen.
DÄ: Das deutsche Gesundheitswesen genießt einen guten Ruf. In welchen drei Bereichen läuft es so gut, dass momentan keine Korrekturen notwendig sind?
Klein-Schmeink: Wir haben ein gutes Gesundheitswesen. Die gesetzliche Krankenversicherung erstattet nahezu alles, was medizinisch sinnvoll ist. Die Akutversorgung ist auf einem hohen Niveau. Da sehe ich wenig Handlungsbedarf. Auf Entwicklungen wie die Zunahme chronischer Erkrankungen ist unser Gesundheitswesen aber nicht gut eingestellt. Die notwendige Versorgung Hand in Hand durch unterschiedliche Gesundheitsberufe wird eher behindert. Über die Perspektive der Patientinnen und Patienten wird zwar häufig geredet. Wenn es konkret wird, fällt sie aber unter den Tisch und es dominieren die Interessen von Leistungserbringern und Kostenträgern. Für das Krankenversicherungssystem benötigen wir mehr Gerechtigkeit, Stabilität und Verlässlichkeit. Das wollen wir durch ein integriertes Krankenversicherungssystem, eine Bürgerversicherung erreichen.
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