Ausland

Erderwärmung auf 1,5 Grad könnte schneller kommen als angenommen

  • Dienstag, 31. Oktober 2023
/Sasa Kadrijevic, stock.adobe.com
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London – Die Einhaltung des 1,5-Grad-Zieles aus dem Klimaabkommen von Paris könnte noch schwieriger werden als bisher angenommen. Berechnungen mit neuen Daten und Modellen kommen zu einem ungünsti­gen Ergebnis.

Um dieses Ziel nicht zu verfehlen, darf die Menschheit demnach deutlich weniger Kohlendioxid (CO2) aussto­ßen als noch im Sechsten Weltklimabericht der Vereinten Nationen geschätzt. Bei weltweiten CO2-Emissionen auf dem Niveau von 2022 wäre diese Menge in etwa sechs Jahren aufgebraucht, schreibt eine Forschungs­gruppe um Robin Lamboll vom Imperial College London im Fachjournal Nature Climate Change (2023, DOI: 10.1038/s41558-023-01848-5).

Das Pariser Klimaabkommen von 2015 zielt darauf ab, die Erderwärmung einzudämmen: Eine Begrenzung der Treibhausgas-Emissionen soll dafür sorgen, den Temperaturanstieg möglichst auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.

In den vergangenen Jahren haben Klimaforscher immer wieder anhand von Computermodellen und Berech­nungen geschätzt, welche Menge an CO2 zu einer Erwärmung von maximal 1,5 Grad führt. Im Sechsten Weltklima­bericht von 2021 lag diese Schätzung bei 494 Milliarden Tonnen CO2.

Bei einer Neuberechnung kamen Lamboll und Kollegen nun zu einer verbleibenden CO2-Menge von 247 Milliarden Tonnen CO2 – also der Hälfte der früheren Schätzung. Allerdings bezog sich im Weltklimabericht die Restmenge auf die Zeit ab Anfang 2020, während die aktuelle Studie Bezug auf die Zeit ab Anfang 2023 nimmt.

Großen Anteil an dem Unterschied zur früheren Schätzung hat die Verwendung eines neuen Computermo­dells, das den durch Treibhausgase verursachten Klimawandel simuliert.

Zudem verwendete das Forschungsteam aktuellere Daten über tatsächliche CO2-Emissionen und über tau­ende Permafrostböden. Denn nach dem Rückgang des Ausstoßes im ersten Jahr der Coronapandemie – also 2020 – lag die Menge der weltweiten CO2-Emissionen 2022 wieder auf Vor-Corona-Niveau bei rund 40 Milliarden Tonnen pro Jahr.

Falls die Menschheit in den nächsten Jahren nicht mehr als 247 Milliarden Tonnen CO2 ausstößt, dann besteht eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent, dass die Erderwärmung nicht über 1,5 Grad steigt. Für die Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels wären es der Schätzung von Lamboll und Kollegen zufolge noch 1.220 Milliarden Tonnen bei einer Wahrscheinlich­keit von 50 Prozent.

In einem Kommentar, ebenfalls in Nature Climate Change, schreibt Benjamin Sanderson vom Centre for Inter­national Climate and Environmental Research in Oslo: „Die Arbeit von Lamboll und Kollegen ist für politische Entscheidungsträger eine unangenehme Lektüre.“ Ihm zufolge verdeutlichen die Studienergebnisse, dass sich jede noch so strenge Berechnung mit überarbeiteten Daten und Erkenntnissen ändern könne.

Die Klimaforscherin Tatiana Ilyina von der Universität Hamburg hält die Resultate des Teams um Lamboll für seriös und belastbar. Die Studie zeige erneut, wie dringend eine schnelle Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen sei. „Wir werden voraussichtlich in diesem Jahr wieder die höchsten CO2-Emissionen aller Zeiten haben.

Ich weiß nicht, was wir als Wissenschaftler noch tun sollen, damit die globale Politik sich wirklich anstrengt.“ Zwar gebe es immer weniger Klimawandelleugner; aber immer häufiger heiße es, man könne den Klima­wan­del ohnehin nicht verhindern, also könne man so weiterleben wie bisher. „Der Klimawandel lässt aber nichts wie bisher“, betont Ilyina.

Niklas Höhne, Leiter des New Climate Institutes in Köln, sagt, dass die Studienergebnisse keinesfalls so ge­deutet werden sollten, dass Anstrengungen zur Senkung der Treibhausgas-Emissionen aufgegeben werden könnten.

Im Gegenteil: „Selbst wenn 1,5 Grad im mehrjährigen Mittel überschritten werden, ist es gut, vorher so viele Emissionen wie möglich eingespart zu haben, da jede eingesparte Tonne zu geringerer globaler Temperatur­erhöhung führt und damit zu geringeren Schäden.“

dpa

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