US-Gesundheitsminister Kennedy verschärft Feldzug gegen Impfungen

Washington, D.C./Berlin – Seit seinem Amtsantritt sorgt US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. immer wieder mit Attacken auf die Impfpolitik für Schlagzeilen. Ob es um COVID-19, Kinderimpfungen oder Impfstoffe mit Aluminiumzusätzen geht – Kennedy stellt wissenschaftliche Standards infrage und schwächt damit das Vertrauen in etablierte Schutzprogramme. Fachleute warnen vor den Folgen seiner Linie für die öffentliche Gesundheit.
Ein aktuelles Beispiel für Kennedys Linie ist die Auseinandersetzung um eine dänische Langzeitstudie, die in den Annals of Internal Medicine (2025; DOI: 10.7326/ANNALS-25-00997) erschienen ist. Die Untersuchung an 1,2 Millionen Kindern in Dänemark kam zu dem Ergebnis, dass Aluminium in Impfstoffen nicht mit einem erhöhten Risiko für Erkrankungen wie Autismus, Allergien oder Autoimmunstörungen verbunden ist.
Für viele Fachleute war dies eine beruhigende Botschaft, doch Kennedy bezeichnete die Arbeit als „zutiefst fehlerhaft“ (das Deutsche Ärzteblatt berichtete) und forderte ihre Rücknahme. Die Fachzeitschrift wies den Vorstoß entschieden zurück – ein beispielloser Konflikt zwischen einem Regierungsmitglied und einem medizinischen Journal, der eine breite Debatte auslöste.
Aufregung um dänische Studie
So ließ etwa das Fachjournal Nature (2025; DOI: 10.1038/d41586-025-02682-9) in einem Bericht über die Kontroverse zahlreiche besorgte Stimmen zu Wort kommen. „Mit dieser Forderung hat Minister Kennedy gezeigt, dass er will, dass sich die wissenschaftliche Literatur seinem Willen beugt“, wird Ivan Oransky von Retraction Watch darin zitiert.
In den Kommentaren unter der Studie, aber auch auf der Seite TrialSite News, auf der Kennedy seine Kritik in einem Meinungsartikel veröffentlicht hatte, setzten sich Hauptautor Anders Hviid und andere Autoren der Studie mit der Kritik von Kennedy und anderen auseinander.
Einordnung durch das Paul-Ehrlich-Institut
Das Deutsche Ärzteblatt bat das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) um eine inhaltliche Einordnung der Studie, fernab der politischen Dimension der Debatte. Darin kommt das PEI zu einem klaren Ergebnis.
„Es zeigte sich, dass die kumulative Aluminumexposition aus Impfungen nicht mit einer erhöhten Häufigkeit einer der 50 Krankheiten assoziiert war.“ Lediglich für einzelne bei Kindern seltene Erkrankungen, wie zum Beispiel rheumatoide Arthritis oder Hashimoto-Thyreoiditis, könne ein stärkerer Effekt statistisch nicht ausgeschlossen werden.
Zu den Stärken der Studie gehöre eine hohe statistische Power und eine sehr gute Repräsentativität. „Außerdem sind die Analysen aufgrund der guten Datenverfügbarkeit für eine ganze Reihe von Störgrößen (Confoundern), wie zum Beispiel Rauchen in der Schwangerschaft, adjustiert worden“, heißt es weiter.
Das PEI geht in seiner Bewertung auch auf die Schwächen der Studie ein: So handele es sich um eine Beobachtungsstudie und keine randomisierte Studie. Auch könne „Residual Confounding“ (verbleibende Störfaktoren) oder „Unmeasured Confounding“ (nicht gemessene Störfaktoren) trotz Adjustierung für eine Vielzahl von Störgrößen nicht ausgeschlossen werden.
Als Beispiel für ein solches „Unmeasured Confounding“ nennt das Institut, dass die kontinuierliche Aluminiumhintergrundexposition aus Nahrung und Trinkwasser nicht berücksichtigt worden sei – diese sei quantitativ nicht unerheblich, so das PEI mit Verweis auf eine Studie des Bundesamts für Risikobewertung.
„Wichtig ist außerdem zu betonen, dass der Knochen als wesentliches Target- und Speicherorgan für Aluminiumtoxizität (neben ZNS und Leber) nicht in die untersuchten Outcomes einbezogen ist“, heißt es in der Einordnung weiter. Mögliche Auswirkungen von Aluminium auf die kurz- und langfristige Knochengesundheit (Knochendichte) hätten daher mit dieser Studie nicht entdeckt und damit auch nicht ausgeschlossen werden können.
Trotz dieser und weiterer Schwächen der Arbeit sei der Schlussfolgerung der Autoren zuzustimmen, dass das Ergebnis gegen ein moderat bis stark erhöhtes Risiko durch Aluminium aus Impfungen für die meisten der untersuchten Autoimmun-, allergischen und neurologischen Erkrankungen spricht, schließt das PEI: „Aus Sicht des Paul-Ehrlich-Instituts besteht weiterhin kein erhöhtes Risiko für die Anwendung aluminiumhaltiger Arzneimittel, so wie sie zugelassen sind.“
Weitere Expertinnen und Experten widersprechen Kennedy
Auch andere Expertinnen und Experten kommen zu diesem Ergebnis. „Wenn es einen Wirkmechanismus gäbe, durch den ein bestimmter Impfstoff Autismus verursachen würde, würden wir dies bei 80, 90 oder 100 % der geimpften Personen beobachten – was jedoch nicht der Fall ist“, erklärte der Virologe Gary Grohmann im Nature-Artikel. Der Epidemiologe Allen Cheng sprach im selben Beitrag von einem „weiteren Beweis dafür, dass aluminiumhaltige Impfstoffe sicher sind“.
Entsprechend wies die Chefredakteurin der Annals of Internal Medicine, Christine Laine, Kennedys Kritik entschieden zurück. „Wir korrigieren oder ziehen Studien dann zurück, wenn es Fehler gibt, die diesen Schritt erfordern. Dafür muss es aber Beweise geben“, betonte sie. Solche Belege gebe es nicht.
Für Laine ist die Studie gerade in den USA bedeutsam: „Die Studie ist wichtig – zumindest in den USA, wo es eine wachsende Impfskepsis gibt und Desinformation über schädliche Nebenwirkungen von Impfungen verbreitet werden – was dazu führt, dass Menschen krank werden und sogar einige Kinder an Masern gestorben sind“, betonte sie im Interview mit Roland Pease, Host des BBC-Podcasts „Science in Action“.
Kennedy verändert die Impfpolitik
Tatsächlich wird nicht nur Desinformation verbreitet: In den vergangenen Wochen und Monaten hat Kennedy den Kurs der US-Impfpolitik an mehreren Stellen grundlegend verändert. Er verkündete zum Beispiel Anfang August massive Kürzungen für die Entwicklung von mRNA-Impfstoffen, entließ zuvor sämtliche Mitglieder des Advisory Committee on Immunization Practices (ACIP) und besetzte die staatliche Impfkommission neu. Außerdem beschränkte er den Zugang zu COVID-19-Boostern für Schwangere und Kinder, über eine weitere Beschränkung in den kommenden Wochen wird bereits spekuliert.
Zudem kündigte er im April an, mit einer umfassenden Studie der Ursache von Autismus auf den Grund gehen. Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) hätten nach seinen Worten das Ausmaß einer „Epidemie“ angenommen. Tatsächlich vertrat der US-Gesundheitsminister in der Vergangenheit mehrfach die Theorie, Impfungen in der Kindheit führten zu Autismus.
Neue Autismus-Studie unter umstrittener Leitung
Für Besorgnis in der Fachwelt sorgt dabei auch, dass Kennedy David Geier für die Studie verpflichtete. Für viele Fachleute zeigt die Ernennung Geiers, wie sehr Kennedy bereit ist, auf diskreditierte Stimmen zurückzugreifen, wenn sie seine These stützen.
Der Biologe veröffentlichte in der Vergangenheit zusammen mit seinem Vater Mark Geier Studien, die einen Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus belegen sollten, von der Fachwelt aber weitgehend zurückgewiesen wurden.
Zudem behandelte er ohne medizinische Zulassung Patientinnen und Patienten und wurde dafür verurteilt; sein Vater Mark verlor seine medizinische Zulassung, nachdem er Kinder mit ASS falsch diagnostizierte und mit riskanten Therapien behandelt hatte.
Anlässlich der Ernennung David Geiers zum Leiter des Autismus-Forschungsprojekts veröffentlichte die New York Times einen Meinungsartikel der Wissenschaftlerin Jessica Steier, die im Bereich öffentliche Gesundheit forscht.
In dem Beitrag erläutert sie die methodologischen und ethischen Probleme in den Arbeiten der Geiers, darüber hinaus werden Anzeichen unsauberer Studien erklärt und ein Bild der bisherigen Forschung zum Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus gezeichnet.
Warum die Autismus-Zahlen steigen
Steier geht in ihrem Artikel auch auf den von Kennedy erwähnten Anstieg der Autismus-Fälle ein – ebenso wie ein kürzlich erschienenes Feature in Nature (2025; DOI: 10.1038/d41586-025-02636-1): Beiden Beiträgen zufolge ist dieser Anstieg vor allem auf veränderte Autismus-Kriterien, bessere Diagnostik und mehr Bewusstsein zurückzuführen.
Zu den Ursachen für Autismus-Spektrum-Störungen werden neben Genetik als Hauptfaktor zwar auch Umweltfaktoren (darunter ein höheres Alter der Eltern) genannt – diese spielten aber eine kleinere, komplexe Rolle.
Finanzielle Interessen und Netzwerke
Kennedys kritische Impfhaltung lässt sich bereits Jahrzehnte zurückverfolgen. Bis zu seiner Ernennung zum US-Gesundheitsminister arbeitete er als Anwalt für eine Kanzlei, die auf Klagen gegen Impfstoffhersteller spezialisiert ist, berichtet der Kognitionspsychologe Stephan Lewandowsky im Interview mit der Zeit.
Zudem habe er viele Freunde und Bekannte, die mit Wellnessprodukten und alternativmedizinischen, oft fragwürdigen Anwendungen Geld verdienen, so Lewandowsky: „Manchen Schätzungen zufolge ist diese Industrie inzwischen größer als die Pharmaindustrie in den USA. Sie blüht auf, wenn Kennedy statt Impfungen sogenannte natürliche Heilmittel gegen Erkrankungen wie die Masern empfiehlt.“
Das Urteil des Kognitionspsychologen fällt klar aus: „Kennedy läuft förmlich Amok und zerstört das System der öffentlichen Gesundheit in den USA – und zwar mithilfe von ein paar in der Pandemie berühmt gewordenen Twitter-Helden, die jetzt in führenden Positionen sitzen.“
Und: Die Aufregung geht weiter. So wurde gerade Susan Monarez, Chefin der US-Gesundheitsbehörde CDC, entlassen – weniger als einen Monat nach ihrer Senatsbestätigung. Monarez hatte sich geweigert, Kennedys umstrittene Impfpolitik umzusetzen. Ihre Anwälte warfen Kennedy vor, öffentliche Gesundheit für politische Zwecke zu instrumentalisieren und millionenfache Risiken für die Bevölkerung in Kauf zu nehmen.
Die Entlassung löste eine Protestwelle aus: 3 hochrangige Beamtinnen und Beamte, darunter Debra Houry und Demetre Daskalakis, traten aus Solidarität zurück. In einem Beitrag über die beispiellosen Vorgänge berichtet das Fachjournal Science (2025; DOI: 10.1126/science.zn7rnnt), dass sich CDC-Mitarbeitende vor dem Hauptsitz der Behörde versammelten, um diese zu verabschieden, und dabei Schilder hochhielten mit Aufschriften wie „Rettet die CDC“ und „Mut. Integrität. Helden.“
Ehemalige CDC-Angehörige zeigten sich im Gespräch mit Science entsetzt: „Seit 80 Jahren ist die CDC ein Leuchtturm des Gesundheitsschutzes für die Vereinigten Staaten und die Welt“, wird Tom Frieden, Arzt für Infektionskrankheiten und öffentliche Gesundheit, der von 2009 bis 2017 als Direktor der Behörde tätig war, zitiert.
„Dieser Leuchtturm ist nun in großer Gefahr, ausgelöscht zu werden, was unsere gesamte Gesundheit gefährdet.“ Die Situation sei „tragisch“, fügt die Ärztin und Epidemiologin Anne Schuchat, die bis 2021 stellvertretende Direktorin der CDC war, hinzu.
Berichten zufolge wurde unterdessen Jim O'Neill, ein enger Vertrauter Kennedys und bisheriger stellvertretender HHS-Sekretär, an die Spitze des CDC beordert.
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