Britain-Brain-Blog

Fixierungen – die hässliche Seite der Psychiatrie

  • Donnerstag, 14. März 2013

Entsetzte Blicke – als wäre die deutsche Psychiatrie im 19. Jahrhundert stecken geblieben – schlugen mir entgegen. Es war einer meiner ersten Arbeitstage in England, als wir auf Fixierungen zu sprechen kamen. Entsetzen rief bei meinen englischen Kollegen hervor, dass ich von Gurten berichtete, die sehr selten, aber wenn notwendig zum Einsatz kommen. Gurte werden in England nicht benutzt, was wiederum für erstaunte Blicke bei mir sorgte. Wie geht man also um mit Patienten, die sich akut selbst oder andere gefährden?

Mit Fixierungen durch Menschen und „Seclusion“ wie ich lernte. Prinzipiell wird ja auch in Deutschland jemand, der beispielsweise mit Pflanzenkübeln nach anderen schmeißt (schon erlebt), zunächst durch Menschen davon abgehalten, dann aber, im Falle, dass ein psychischer Ausnahmezustand anhält, ggf. mit Gurten in einem Bett fixiert.

In England würde in so einem Fall die Person zunächst einmal länger von Menschen fixiert, in der Hoffnung, dass Beruhigung eintritt. Das heißt unter Umständen: Ein Team von 5 und mehr Personen auf einem Menschen (Kopf, Arme, Rumpf, Beine). Endet der psychische Ausnahmezustand nicht, und akute Gefährdungen halten an, gibt es die Möglichkeit der „Seclusion“. Dabei handelt es sich um einen reizarmen Raum mit Matratze, in den jemand eingeschlossen und von außen beobachtet werden kann. Nach einem recht dramatischen Nachtdienstwochenende kann ich daran kaum Vorteile oder mehr Menschlichkeit erkennen.

Die prolongierte Fixierung durch Personal ist sowohl für das Personal, als auch für Patienten traumatisch. Letzteres natürlich bei jeder Art der Fixierung, allerdings erscheint die Freiheitsberaubung durch Berührung gerade für Missbrauchsopfer unerträglich. Im „Seclusion“ Raum selbst drohen weiterhin Gefahren, wenn beispielsweise ein Patient den Kopf gegen die Wand schlägt (auch schon mehrfach erlebt) oder dadurch, dass Vitalparameter (wichtig z.B. bei intoxikierten Patienten) nur mit großem Aufwand erhoben werden können, weil erst ein Team gesammelt werden muss, um den Raum gemeinsam zu betreten.

Beim Betreten des Raumes drohen wiederum Gefahren für das Personal, wenn ein Patient aggressiv ist. Wichtiger Nachteil an der Nutzung von Gurten wiederum ist, dass sie oft Personal sparen sollen. Während bei der „Seclusion“ immer jemand zur Beobachtung (durch Glas) vor Ort ist, werden Patienten in Fixierung zeitweise allein gelassen. Für Patienten selbst sind solche Erwägungen wahrscheinlich einerlei – für sie handelt es sich um ungewollte Zwangsbehandlungen auf die eine oder andere Weise. Die hässliche Seite der Psychiatrie eben, die auch mir sehr schwer fällt.

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung