Hochschulen

Netzwerk Universitätsmedizin hofft auf Verstetigung

  • Donnerstag, 18. Januar 2024
/ipopba, stock.adobe.com
/ipopba, stock.adobe.com

Berlin – Das Netzwerk Universitätsmedizin (NUM) positioniert sich neu. Bei der „NUM Convention 2024: Gemeinsam forschen für Gesundheit“, die gestern und heute in Berlin stattfand, tauschte sich die NUM-Community mit Gästen aus Politik, Medizin, Wissenschaft und Wirtschaft über künftige Herausforderungen sowie die Frage aus, welche Rolle das von der Charité – Universitätsmedizin Berlin koordinierte NUM auch nach der Pandemie in der deutschen Wissenschafts- und Gesundheitslandschaft spielen kann und sollte.

Denn entstanden war das NUM ad hoc in der Pandemiesituation im April 2020 als vom Bund gefördertes Kooperationsprojekt der deutschen Universitätskliniken zur COVID-19-Forschung. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) stellte dafür zunächst 150 Millionen Euro und ab 2022 in einer zweiten För­derperiode 240 Millionen Euro bereit.

Die Förderung läuft jedoch nächstes Jahr aus. Eine Verstetigung wäre denkbar, ist aber keineswegs sicher. Die Teilnehmenden der Convention waren sich jedoch einig, dass dies aufgrund vieler positiver Effekte der aufge­bauten NUM-Strukturen sinnvoll und wünschenswert wäre.

Das NUM habe Steuerungsfähigkeit erreicht, betonte Heyo Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité - Uni­versitätsmedizin Berlin. „Wir haben in erheblichem Umfang Forschungs- und Dateninfrastrukturen aufgebaut, um die standortübergreifende Forschungszusammenarbeit, Datengewinnung und Datennutzung zu ermögli­chen.“

Dabei habe das NUM auch auf bereits vorhandene Infrastrukturen aufgesetzt, wie der klinischen Studienplatt­form des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK), dem Notaufnahmeregister AKTIN oder den Datenintegrationszentren der Medizininformatik-Initiative (MII).

Eine weitere Errungenschaft: „NUM hat die Zusammenarbeit in der Universitätsmedizin maßgeblich verän­dert“, so Kroemer. Tatsächlich hat das Netzwerk in den vergangenen vier Jahren das Kooperationsverständnis der deutschen Universitätsmedizin umgekrempelt.

Viele sprechen gar von einem Kulturwandel. Denn hier arbeiten erstmalig Ärztinnen und Ärzte sowie Wissen­schaftlerinnen und Wissenschaftler aller 36 Standorte der Universitätsmedizin in einer übergreifenden Platt­form in interdisziplinären klinischen Forschungsprojekten zusammen. Kooperation statt Wettbewerb ist das Credo“, so Kroemer. „Und dieses wird auch konsequent umgesetzt.“

Anfangs sei das in der Tat schwierig gewesen, räumte er ein. Denn der typische deutsche Wissenschaftler sei eben „wettbewerblich in der Wolle gefärbt“. „Die Kooperation untereinander hat auch zwischendurch schon mal geholpert“, so Kroemer. Aber es sei ein Lerneffekt eingetreten, der übrigens auch international zu beob­achten wäre. Viele Forschende würden erkennen, dass diverse Probleme nicht mehr allein zu lösen seien.

Einen Kulturwandel in der deutschen Gesundheitsforschung bestätigte auch Judith Pirscher, Staatssekretärin im Bundesforschungsministerium. „Die Pandemie war wichtig für die deutsche Gesundheitsforschung“, sagte sie mit Blick auf das NUM. Als Netzwerk garantiere dieses nun Handlungsfähigkeit bei künftigen Krisen. „Das ist ein großer Erfolg.“

Rolf-Dieter Jungk, Ministerialdirektor und Amtschef des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst, räumte ein, zunächst nicht erfreut über die Gründung des NUM gewesen zu sein. Die Finanzierung durch den Bund sowie die Koordination durch die Berliner Charité hätten ihn 2020 abgeschreckt. „Es war aber das richtige Konzept zum richtigen Zeitpunkt“, erklärte er jetzt. „Man hätte es nicht besser machen können.“

Eine Verstetigung des Netzwerkes versprach Pirscher der NUM-Community auf der Veranstaltung nicht, aber ihr Haus „werde sich dafür einsetzen“, sagte sie. Dabei hoffe sie auch auf Unterstützung der Länder. Deutsch­land stehe mit dem NUM auf einer soliden Basis.

„Das ist der Anfang. Wir wollen und können aber noch viel mehr“, sagte sie. So könnten Daten und Methoden noch stärker harmonisiert werden und Gesundheitsdaten für die Forschung besser nutzbar gemacht werden. „Dies stärkt auch die Wettbewerbsfähigkeit des Forschungsstandorts Deutschlands.“

Das NUM sei ein „Möglichmacher“ und könne Deutschland als Standort für klinische Studien stärken und da­für sorgen, dass Erkenntnisse schnell in die Versorgung einfließen, meinte Pirscher. Dem pflichtete Kroemer bei: „Wir haben Strukturen aufgebaut, die auf alles applizierbar sind“, betonte er. Man könne sie beliebig über­tragen und ausweiten. „Ich bin überzeugt, dass es funktioniert.“ Nach Ansicht des Charité -Chefs gibt es sehr viele Themen, bei denen Forschende nur im Verbund erfolgreich sein könnten.

„Die Universitätsmedizin hat endlich die Chance der Kooperation ergriffen, als sie ihr gegeben wurde“, sagte Jens Scholz, Vorsitzender des Verbands der Universitätsklinika Deutschlands (VUD) und Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein. Er sei beeindruckt gewesen, dass die Idee, das Netzwerk zu gründen, damals nicht zerredet worden sei. „Das ist eigentlich gar nicht typisch deutsch.“

Vorher sei das System nicht auf Kooperation angelegt gewesen, aber die Universitätsmedizin habe gelernt, dass ihre Standorte sich keine Konkurrenz machen, sagte der VUD-Vorsitzende. Vielmehr sei es nur gemein­sam möglich, Deutschland auch für die Industrie wieder attraktiver zu machen. „Mehr und mehr steht nicht mehr der Wettbewerb zwischen den Standorten im Vordergrund, sondern der internationale Wettbewerb. Das ist eine Erfolgsstory“, so Scholz. Durch das Netzwerk habe man Datensätze, auf die die Welt schaue.

Junge Forschende wünschten sich mittlerweile auch explizit Forschungsstrukturen, die digital und kooperativ angelegt seien, sagte Blanche Schwappach-Pignataro, Dekanin der Medizinischen Fakultät Hamburg. Die her­kömmlichen Strukturen würden teilweise bereits an ihre Grenzen stoßen. „Das NUM ist ein Experiment, das die Forschung an entscheidenden Stellen ändert“, erklärte sie. Eine leistungsbezogene Bewertung sei trotz­dem noch möglich und nötig. „Der Wettbewerb wird uns nicht verlassen.“

Als künftige Ziele benannte die NUM-Community die Weiterentwicklung des bundesweiten, umfassenden Studien- und Datenraums für die klinische Forschung, der sowohl Daten aus der Routinedokumentation der Patientenversorgung als auch Daten aus prospektiven klinischen und klinisch-epidemiologischen Studien umfasst. Zudem könne das NUM ein zentraler Ansprechpartner zu klinischer Forschung auf nationaler Ebene sein. Ferner bereite das Netzwerk Deutschland auf künftige Pandemien und andere große Krisen der Öffentlichen Gesundheit optimal vor.

Diesen Zielen entsprechend diskutierten die Teilnehmenden am zweiten Tag der NUM-Convention 2024 vier große Herausforderungen. Zu diesen gehört erstens die Pandemic Preparedness. Dabei stelle eine künftige Pandemie nur einen Anwendungsfall im Rahmen möglicher globaler Krisen dar, demgegenüber sich das Ge­sundheitsforschungssystem resilient zeigen müsse.

Wichtig sei die Resilienz von Forschungsstrukturen, also die Aufrechterhaltung der Forschung einerseits sowie schnelle und effiziente Organisation, Priorisierung, Kooperation, Transfer und Kommunikation wissenschaftli­cher Evidenz an relevante Akteursgruppen andererseits.

Eine weitere große Herausforderung ist eine bessere Gesundheitsversorgung durch Routinedaten. Denn diese stellten den größten medizinischen Datensatz im Gesundheitssystem dar. Ihre Nutzung für Forschung und Entwicklung biete in vielen medizinischen Forschungsbereichen ein großes Potenzial, das jedoch durch regu­latorische und technische Hürden eingeschränkt werde. Hier gelte es, Lösungen zu finden.

Dies gelte drittens auch für die strukturelle Unterstützung der klinischen Forschung in Deutschland. Es brau­che organisatorische Ansätze, die Kompetenzen bündelten ohne Redundanzen zu schaffen. Und schließlich könnten die großen Zukunftsfragen und Herausforderungen in der biomedizinischen Forschung nur beant­wortet werden, wenn man über Standortgrenzen hinweg in der Lage sei, die Kräfte zu bündeln. Es gelte, künftig Wissenschaft anders zu leben.

ER

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung