Medizin

Atemwegs­erkrankungen: Wann es Zeit für eine Maskenpflicht und andere Maßnahmen ist

  • Mittwoch, 18. Januar 2023
/unBUNT, stock.adobe.com
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Guangzhou/Hongkong – In der Coronapandemie haben Regierungen nicht pharmazeutische Interventionen (NPI) eingesetzt, um die Verbreitung von COVID-19 einzudämmen – zum Beispiel eine Maskenpflicht, soziale Distanzierungen, die Schließung von Schulen und Unternehmen sowie Reisebeschränkungen.

Diese Maßnahmen haben auch die Ausbreitung anderer Erreger verlangsamt, zum Beispiel des Influenzavirus und des Respiratory Syncytial Virus (RSV). Durch die Aufhebung der Coronamaßnahmen breiten diese sich jetzt wieder aus.

Eine chinesische Arbeitsgruppe hat daher ein Modell entwickelt, anhand dessen sich bestimmen lassen soll, wann Länder oder Regionen NPI wieder hochfahren sollten, um die Gesundheitssysteme nicht durch das An­steigen von Grippe, RSV und anderem zu überlasten. Die Arbeit ist im Fachmagazin Chaos erschienen (2023, DOI: 10.1063/5.0123870).

Die Forschenden nutzten für ihr Modell Daten aus Hongkong aus den Jahren 2014 bis 2021 für andere Atem­wegserkrankungen als COVID-19. Zu den untersuchten Krankheiten gehörten RSV, Rhinovirus/Entero­virus, Adenovirus, Influenza A und B sowie Parainfluenza.

Modell für Hongkong: Erster Schwellwert liegt bei 600 hospitalisierten Fällen

„Wir haben 4 kritische Schwellenwerte für die Wiedereinstellung von NPIs identifiziert, die eine ausreichende Versorgung mit Krankenhausbetten sicherstellen“, erläuterte Qingpeng Zhang von der School of Data Science in Hongkong – diese Schwellenwerte sind 600, 2.400, 2.700 und 7.400 Fälle, welche die Bettenknappheit erheblich beeinflussen.

Die Ergebnisse zeigen laut der Forschungsgruppe, dass milde NPIs die Bettenbelegungskurve bei keinem dieser 4 Schwellenwerte vollständig auf 0 drücken können.

Führt die Regierung NPI-Maßnahmen spätestens dann wieder ein, wenn in Hongkongs Kranken­häu­sern 600 schwere Fälle von Atemwegserkran­kungen behandelt werden, sollten schwer erkrank­te Patienten das System nicht überlasten.

Wenn die Gesundheitsbehörden nicht rechtzeitig reagieren und vor Erreichen des Schwellenwertes von 600 hospitalisierten Fällen Maßnahmen er­greifen prognostiziert das chinesische Autoren­team 2 Wellen von Ausbrüchen von Infektions­krankheiten der Atemwege für die Jahre 2023 und 2024. Diese werden die Kapazität des Krankenhaussystems in Hongkong übersteigen.

„Durch die Umsetzung strikter oder sogar milder Maßnahmen, bevor 600 Krankenhausbetten belegt sind, kann der Ausbruch von anderen Atemwegsinfektionskrankheiten als COVID vollständig auf ein für die Krankenhäuser sicheres Niveau zurückgedrängt werden“, so Zhang.

Dies sieht Andreas Schuppert vom Institut for Computational Biomedicine an der Rheinisch-Westfälisch Tech­nischen Hochschule Aachen kritisch: „Die Studie zeigt, dass eine dynamische, an die jeweilige Infektionsbelas­tung angepasste Kontaktstrategie eine Überlastung der Krankenversorgung verhindern kann – bei maximaler Freizügigkeit unterhalb eines Schwellwerts“, erläuterte der Modellierer auf Anfrage des Deutschen Ärzte­blattes. Dabei hätten die Forschenden ein sehr einfaches Modell genutzt, das an die Situation in Hongkong angepasst wurde.

Allerdings sei das Modell vergleichsweise klein und viele Einflussfaktoren auf die Infektionsdynamik seien noch nicht enthalten. „Daher ist die Studie auch eher als eine interessante Potentialanalyse zu sehen und noch nicht als eine konkrete Handlungsanleitung“, so Schuppert.

Die Zahlen auf Deutschland zu übertragen, sei auch nicht sinnvoll: „In Deutschland liegt eine vergleichsweise sehr hohe räumliche Heterogenität vor, so dass eine direkte Übertragung der Ergebnisse skeptisch zu sehen ist“, so der Experte.

Die Methoden der Studie aus China seien nicht neu, erläuterte Schuppert: „Auch in Deutschland wurden Simulationen von Krankenhausbelastungen durch COVID-19 durchgeführt, bei denen der Effekt der Intensität von NPI und des Zeitpunkts berechnet wurden.“

Interessant an der Studie sei aber die Integration sehr unterschiedlicher Infektionswellen und der NPI-Maß­nahmen in Kombination mit einer an das Infektionsgeschehen adaptierten Optimalsteuerung. Das könnte auch in Deutschland ein Baustein eines künftigen Managements von Infektionswellen sein, regte Schuppert an.

hil/gie

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