Corona: Zunahme der Ketoazidosen bei der Diagnose eines Typ-1-Diabetes

Giessen – Die Angst vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 hat in Deutschland zu Verzögerungen in der Diagnose eines Typ-1-Diabetes geführt. Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, deren Erkrankung erst im Stadium einer Ketoazidose erkannt wurde, stieg im Vergleich zu den Vorjahren deutlich an. Dies ergab die Analyse eines Patientenregisters, deren Ergebnisse auf dem Diabeteskongress 2021 vorgestellt wurden.
Das DPV-Register (Diabetes-Patienten-Verlaufsdokumentation), an dem sich über 400 Behandlungseinrichtungen im deutschsprachigen Raum beteiligen, erfasst etwa 90 % aller pädiatrischen Neuerkrankungen am Typ-1-Diabetes. In den meisten Fällen veranlassen die Kardinalsymptome (Polyurie, Polydipsie, Gewichtsverlust und Abgeschlagenheit) einen frühzeitigen Arztbesuch, bei dem die Erkrankung erkannt wird, bevor es zu Komplikationen gekommen ist. Schwere Entgleisungen, die zu einer Ketoazidose führen, wurden in den Jahren vor der Coronapandemie nur bei etwa einem Viertel der Patienten beobachtet.
Im ersten Halbjahr 2020 ist es zu einem deutlichen Anstieg gekommen, auf den ein Team um Privatdozent Clemens Kamrath von der Universität Giessen bereits in einer früheren Publikation im Amerikanischen Ärzteblatt hingewiesen hat (JAMA, DOI: 10.1001/jama.2020.13445), die den Zeitraum bis Mai umfasste.
Inzwischen hat das Team die Untersuchung bis Ende Juni, also über das Ende des Lockdowns hinaus fortgesetzt. Die Zahl der Ketoazidosen ist im Juni mit der Abnahme der Erkrankungszahlen an COVID-19 wieder gesunken, hat jedoch das Niveau der Vorjahre nicht erreicht. Die Zahl der Ketoazidosen lag auch im Juni noch um 52 % über den Vorjahreswerten (relative Risiko RR 1,52; 95-%-Konfidenzintervall 1,11 bis 2,08).
Im Mai hatten die Zahlen noch um 89 % (RR 1,89; 1,42 bis 2,50) über dem langjährigen Durchschnitt von 2000 bis 2019 gelegen. Auf dem Höhepunkt der ersten Welle im April traten fast 2 mal so viele Ketoazidosen(RR 1,96; 1,48 bis 2,61) auf.
Es bestand eine enge Korrelation mit der wöchentlichen Inzidenz von COVID-19: Jeder Anstieg der Erkrankungszahlen um 50 Fälle pro 100.000 Einwohner oder jeder zusätzliche Todesfall an COVID-19 pro 100.000 Einwohner war mit einem Anstieg des relativen Risikos auf eine diabetische Ketoazidose um 44 % (RR 1,44; 1,09 bis 1,91) beziehungsweise um 24 % (RR 1,24; 1,10 bis 1,39) verbunden.
Die Ergebnisse deuten laut Kamrath darauf hin, dass die Angst, die durch die Pandemie verursacht wurde, zu einer Vermeidung von notwendigen Kinderarztkontakten und damit zu einer Verzögerung der Diagnose geführt hat.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: