Coronaherbst 2023: Kein Vergleich zu Hauptpandemiejahren
Berlin – Seit fast 2 Monaten werden steigende Fallzahlen von COVID-19 gemeldet, insgesamt sind die Inzidenzwerte aber weiterhin niedrig. Auch in den Krankenhäusern ist die Lage noch stabil. Die geladenen Fachleute der heutigen Pressekonferenz des Science Media Centers warnen dennoch vor Versorgungsengpässen. Aufgrund struktureller Probleme könnte die Situation vergleichbar sein zum Herbst und Winter 2022, nicht aber zu den Pandemiejahren 2021/2020.
Denn auch diesen Herbst und Winter sollten wir wieder vermehrt mit Atemwegsinfektionen rechnen, sagte Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Es seien aber schon jetzt aufgrund des Personalmangels 25 % der Intensivbetten nicht nutzbar.
Leif Sander von der Uniklinik Charité in Berlin betonte: „Es geht nicht nur um COVID dieses Jahr.“ Saisonale Anstiege von Infektionskrankheiten könnten in Kombination mit Personalmangel wie im Vorjahr relativ schnell an Belastungsgrenzen führen. „Das wird, glaube ich, auch diesen Herbst wieder passieren.“ Insbesondere in der Kindermedizin und den Notaufnahmen drohten relativ schnell Engpässe.
Die wenigsten seien zurzeit wegen Corona im Krankenhaus, sondern mit Corona, erläuterte Kluge: „Momentan behandeln wir in Deutschland auf den Stationen 182 Patienten mit Corona.“ Etwa bei der Hälfte handle es sich um eine coronabedingte Lungenentzündung – was etwa 1 % aller Patienten auf der Intensivstation entspreche. Ein großer Teil der Corona-positiven Patienten sei wegen anderer medizinischer Probleme in Behandlung, so Kluge.
Neue Omikron-Subvarianten bisher kein Grund zur Sorge
Die neuen Omikron-Subvarianten EG.5/EG.5.1 (Eris) und BA.2.86 (Pirola) scheinen Kluge, Sander und Sandra Ciesek hingegen weniger Sorgen zu bereiten. „Solange es bei Omikron bleibt, bin ich relativ entspannt“, erklärte die Virologin Ciesek, Direktorin des Instituts für medizinische Virologie, Universitätsklinikum Frankfurt. Die meisten hätten bereits eine Infektion mit Omikron, manche seien mehrmals geimpft und somit vor schweren Verläufen geschützt.
Bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stehen die neuen Subvarianten unter Beobachtung. Neben der dominierenden Subvariante EG.5/EG.5.1 auch die mutierte Variante BA.2.86, die von BA.2 abstammt. Sie wurde bereits in Israel, Dänemark, dem Vereinigten Königreich, den USA, Südafrika und Thailand nachgewiesen (Thailand Medical News). In der Schweiz konnte BA.2.86 im Abwasser nachgewiesen werden (SRF).
Auch wenn es in Deutschland noch keinen bestätigten BA.2.86-Fall gibt, sei davon auszugehen, dass BA.2.86 bereits hier sei, sagte Ciesek. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir sie auch in Deutschland entdecken. Denn mit Sequenzierungen sind wir in Deutschland sehr zurückhaltend geworden und schauen eher auf die anderen Ländern.“ Virusisolate zur Untersuchung der neuen Subvariante stünden daher in Deutschland auch nicht zur Verfügung.
Bisher liegen nur Zellkulturdaten vor. Ob Pirola schwerer verlaufen würde, könne man noch nicht sagen, sagte Ciesek. Bei der Eris-Variante liegen hingegen aus Japan bereits erste Daten aus Hamstermodellen vor (BioRxiv; DOI: 10.1101/2023.08.31.555819). „Hier konnte kein Unterschied in der Pathogenität im Vergleich zu XBB1.5-Variante beobachtet werden. Was aber auffiel ist, dass die Lunge stärker betroffen war“, fasste Ciesek die Studienlage zusammen.
Solange Omikron zirkuliere, sieht die Virologin aus Frankfurt keine Gefahr, dass sich die Situation so sehr verändert, dass staatliche Maßnahmen noch mal nötig werden würden. Dennoch könnten Masken situationsbedingt sinnvoll sein, erklärten alle 3 Experten. Etwa dann, wenn ein Urlaub oder eine Hochzeit anstünde oder für Menschen, die auf eine Organtransplantation warten würden.
Mitte September soll zudem ein an XBB1.5 angepasster Impfstoff zur Verfügung stehen. Sander rief die Gruppen, die unter die Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) fallen, dazu auf, sich im Herbst eine Auffrischimpfung mit dem neuen angepassten SARS-CoV-2-Impfstoff geben zu lassen. Dazu zählen zum Beispiel Menschen ab 60, die nicht erst kürzlich mit SARS-CoV-2 infiziert waren. Die Grippeschutzimpfung könne man sich gleichzeitig abholen.
Die aktuelle Studienlage lässt den Schluss zu, dass die angepassten Impfstoffe die derzeit zirkulierenden Varianten (Eris) gut neutralisieren, sagte Sander. Bei den vorherigen an Omikron-angepassten Impfstoffen aus 2022 konnten Beobachtungsstudien zeigen, dass die Schutzwirkung im Vergleich zu einem nicht angepassten Impfstoff zusätzlich schützte, auch vor schwerer Erkrankung. Größere Studien zu den XBB1.5-angepassten Imfpstoffen stehen aber noch aus.
Den Ärger des Deutschen Hausärzteverbands über den von der EU-Kommission zugelassenen weiterentwickelten Impfstoff von Biontech/Pfizer (BNT/Pfizer), kann Sander nachvollziehen. Der Impfstoff soll im Gegenasatz zu anderen Impfstoffen zunächst nicht als Einzeldosis zur Verfügung stehen.
Dass es den angepassten Impfstoff von BNT/Pfizer nur als 6er-Vials gibt hält Sander für „unglücklich“, da es die Impflogistik insbesondere in den Praxen deutlich erschwere. „Ich finde es etwas enttäuschend, dass es dem Hersteller nicht gelungen ist hier praktischere Lösungen anzubieten“, so der Berliner Impfstoffforscher.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: