COVID-19-infizierte Schwangere mit Diabetes verdienen Spezialbetreuung

Berlin – Diabetes mellitus gilt inzwischen als ein Risikofaktor, der den Verlauf, die Morbidität und die Mortalität einer COVID-19-Infektion erhöhen kann. Schwangere werden deshalb zu einer besonders vulnerablen Patientengruppe, wenn sie an einem Diabetes leiden und zusätzlich mit dem neuen Pandemievirus infiziert sind.
Helmut Kleinwechter, niedergelassener Diabetologe in Kiel und ehemaliger Sprecher Leitliniengruppe „Diabetes und Schwangerschaft“ der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), fasst in einem aktuellen Update zu Diabetes und Schwangerschaft zusammen, was dies für die Diagnostik und die Betreuung einer solchen Patientin in der Sprechstunde bedeutet.
„Wir können zwar sagen, dass sich hierzulande die Lage im internationalen Vergleich deutlich positiver darstellt, als dies manche Publikation in Ländern mit weniger Ressourcen im Gesundheitssystem vermuten lässt“, so Kleinwechter, der regelmäßig Kollegen im Umgang mit diabeteskranken Schwangeren schult.
Dennoch möchte er den zuständigen AGs der Fachgesellschaften DDG und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) ein eigens auf dieses Problemkollektiv zugeschnittenes, temporäres Update ihrer Empfehlungen vorschlagen.
In einer aktuellen Publikation in Der Diabetologe (DOI: 10.1007/s11428-020-00669-w) erläutert er, wie man Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Gestationsdiabetes verbessern könnte – und hofft auf positive Resonanz.
2 jüngste Beobachtungen lassen nämlich die erhöhten Risiken für diese Schwangeren erkennen: Die jüngste Auswertung des ARDS-Registers (Acute respiratory distress syndrome) aus dem Gesundheitsministerium in Brasilien zeigte eine Mortalitätsrate von 12,7 % unter Schwangeren, entweder intra Gravidum oder postpartal (DOI: 10.1002/ijgo.13300).
Bei 33,8 % der verstorbenen Frauen lag ein Diabetes vor, bei den Überlebenden kam er in 20,8 % vor. Das weist auf eine deutliche Aggravation der Gefahr durch eine Diabetesdiagnose hin. Allerdings sind die Daten zum Teil lückenhaft.
Bestätigt werden sie dennoch in einem Report der Centers of Disease Control (CDC) in den USA, wonach 31,5 % der COVID-19-infizierten Schwangeren hospitalisiert werden mussten, aber nur 5,8 % der nicht infizierten. Nach chronischen Lungenerkrankungen war bei den hospitalisierten Schwangeren ein Diabetes mit 15,3 % die zweithäufigste Komorbidität.
„Schwangere müssen sich daher rigoros vor Ansteckung schützen“ mahnt Kleinwechter. Sie sollten peinlich auf die Abstandsregeln achten, wann immer möglich, Menschenansammlungen meiden, einen Mund-Nasenschutz in der Öffentlichkeit tragen und sich den unumstrittenen Nutzen häufigen Händewaschens stets vergegenwärtigen. Weitere einschlägige Regeln hält das Robert Koch-Institut auf seinen Seiten ebenso bereit wie die WHO.
Eingängige Informationsgrafiken zur Illustration der Vorsichtsmaßnahmen wurden vom amerikanischen Fachjournal American Journal of Perinatology (DOI: 10.1055/s-0040-1714387) übernommen und adaptiert. Sie können aus der Publikation kopiert und vergrößert als Praxisposter verwendet werden.
„Nicht zuletzt“, so Kleinwechter, „möchten wir auf die besondere Schutzbedürftigkeit unserer Kolleginnen und aller anderen weiblichen Fachbetreuer im reproduktiven Alter hinweisen, die in den Kliniken und Praxen bei der Betreuung von COVID-19-Patienten einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt sind“.
50g-Screening-Test aussetzen und Telemedizin nutzen
Für die Dauer der Pandemie kann zumindest auf den 50g-Glukosebelastungstest für das Screening auf einen Gestationsdiabetes (GDM) verzichtet werden. Da ohnehin mehr als die Hälfte aller Fälle von Gestationsdiabetes allein über den Nüchternblutzuckerwert diagnostiziert wird, sollte zunächst nur dieser bestimmt werden. Ist er normal, bestehen aber Verdachtsmomente, kann immer noch überlegt werden, ob der sonst übliche orale Glukosetoleranztest über 2 Stunden (75-g-2-h-oGTT) vorgenommen werden sollte.
Mit diesem abwägenden Vorgehen sollen den Schwangeren Infektionsrisiken erspart werden, die die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln und das Abwarten in Praxen, Polikliniken und Ambulanzen mit sich bringen würde. Manche Fachgesellschaften haben Ihre Leitlinien bereits dahingehend für die Dauer der Pandemie abgeändert.
Da ein therapeutischer Benefit von einer Senkung einer reinen Hyperglykämie ohne manifesten Diabetes nicht eindeutig nachgewiesen ist, kann auf die Diagnostik eines so genannten frühen GDM verzichtet werden. Bei einem Alter über 40 Jahre, einer Adipositas, diabetesassoziierten Symptomen, einem anamnestisch früher durchgemachten GDM mit Insulintherapie sowie einem Diabetes der Eltern sollte dies hinsichtlich eines bisher unerkannten manifesten Diabetes diagnostisch abgeklärt werden.
Bei der Betreuung eines Gestationsdiabetes helfen telemedizinische Settings, Arztbesuche zu ersetzen. Ergebnisse von kapillaren Selbstmessungen der Blutglukosespiegel (SMBG) oder der kontinuierlichen subkutanen Glukosemessung (CGM) können hierfür genutzt werden.
Das automatisierte telemedizinische Überwachungssystem „COVID-watch“ von der University of Pennsylvania löst zum Beispiel bei Alarmsymptomen Interventionen durch eine Fachkraft aus – entsprechende deutsche Lösungen gibt es jedoch noch nicht.
Nachsorge vereinfachen und Zeitfenster erweitern
In Deutschland nehmen weniger als die Hälfte der Frauen nach der Geburt an einem weiteren oGGT teil. Daher kann im Rahmen der Nachsorge ebenfalls für die Dauer der Pandemie verzichtet werden.
Eine inzwischen mit Evidenz belegte Alternative mit fast 100 % Adhärenz bestünde darin, dass die Mütter den oGGT am zweiten postpartalen Tag in der Klinik vornehmen lassen. Besteht später dann ein Verdacht auf einen manifesten Diabetes oder treten entsprechende Symptome auf, kann der Nüchternblutzucker bestimmt, bei Gelegenheit die Plasmaglukose gemessen und der HbA1c-Wert erhoben werden.
Um die Mutter unter den derzeitigen Umständen von Termindruck zu entlasten, sollte die Nachsorge vorübergehend ein größeres Zeitfenster (von 6 Wochen bis 6 Monaten) erhalten.
Kleinwechter hofft, dass durch das neue Update, die Ärzte frühzeitig vor der Herbstsaison über Möglichkeiten informiert werden, die Versorgung der Schwangeren so einfach wie möglich aber doch so sicher wie nötig gestalten zu können.
„Wenn demnächst wieder die Aufenthalte draußen beschränkt sind, Wege kaum mehr mit dem Fahrrad absolviert werden können und die Fenster wieder geschlossen werden müssen, ist es wichtig, in puncto Ansteckungsgefahr und Behandlung für diese vulnerable Gruppe noch besser Vorsorge zu tragen als bisher“, so der Diabetologe.
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