Medizin

Long COVID: Forscher finden Veränderungen im Immunsystem

  • Mittwoch, 17. August 2022
/skd, stock.adobe.com
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New Haven/Connecticut – Die Spät- oder Langzeitfolgen, unter denen einige Menschen nach einer überstan­denen Infektion mit SARS-CoV-2 leiden, gehen offenbar häufig mit niedrigen Cortisolkonzentrationen einher.

Bei einer ausgedehnten Untersuchung des Immunsystems in medRxiv (2022; DOI: 10.1101/2022.08.09.22278592) wurden auch Hinweise auf die mögliche Reaktivierung einer Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus gefunden. Da die Ergebnisse bisher nicht bestätigt wurden, bleibt die klinische Be­deutung unklar.

Die Ursachen von Long COVID sind weiterhin unbekannt. Die Vermutungen reichen von einer persistierenden Infektion bis hin zu einer gestörten Immunreaktion, die über das Ende der Infektion andauert. Auch eine Auto­immunreaktion, bei der Antikörper gegen SARS-CoV-2 körpereigene Strukturen angreifen, gehört zu den der­zeitigen Arbeitshypothesen.

Forscher der Yale School of Medicine in New Haven und der Icahn School of Medicine in New York haben jetzt bei 99 Long-COVID-Patienten und 106 Kontrollen (Gesunde sowie geimpfte und ungeimpfte SARS-CoV-2 Infizierte ohne Long COVID) ausführliche immunologische Tests durchgeführt.

Dazu gehörte neben den üblichen Labortests die Zählung unterschiedlicher Abwehrzellen mit der Durchfluss­zytometrie, eine Bestandsanalyse aller Bluteiweiße sowie die Suche nach Antikörpern gegen und Antigenen von möglichen anderen Erregern, die am Krankheitsbild beteiligt sein könnten.

Eine solche umfangreiche Immuntypisierung, die eine Vielzahl von möglichen Biomarkern untersucht, birgt immer das Risiko von Zufallsbefunden. Deshalb ist es wichtig, die Ergebnisse in einer weiteren Gruppe zu validieren.

Zu den auffälligen Befunden gehörte einmal ein niedriger Cortisol-Spiegel. Die Serumkonzentration war bei den Long-COVID-Patienten nur etwa halb so hoch wie bei den Kontrollen. Niedrige Cortisolwerte werden laut der Immunologin Akiko Iwasaki von der Yale Universität auch bei Menschen mit chronischem Fatigue-Syn­drom (CFS) gefunden, das auch als Myalgische Enzephalomyelitis (ME) bezeichnet wird und Ähnlichkeiten mit Long COVID hat.

CFS/ME tritt typischerweise nach Infektionen auf und gilt mittlerweile als eigenständiges Krankheitsbild. Beim CFS/ME wurde bereits versucht, den Patienten durch eine niedrig-dosierte Gabe von Steroiden zu hel­fen. Nach einem Bericht im amerikanischen Ärzteblatt (JAMA 1998; DOI: 10.1001/jama.280.12.1061) wurden zwar einige Symptome gelindert, es kam aber zu einer Suppression der körpereigenen Cortisolproduktion, die eine dauerhafte Behandlung als zu riskant erscheinen ließ.

Eine weitere Auffälligkeit war der Nachweis von Antikörpern gegen Herpesviren wie dem Epstein-Barr-Virus (EBV). Die Seroprävalenz war zwar nicht höher als in den Kontrollgruppen. Sie lag bei weit über 90 %, weil die meisten Menschen sich in der Kindheit mit EBV infizieren.

Da die Herpesviren ihre Gene permanent in den Zellen ablegen, kommt es zu einer lebenslangen Infektion. Bestimmte Trigger können die Viren reaktivieren. Bei den Long-COVID-Patienten wurden häufiger Antikörper gegen EBV-Antigene gefunden, die auf einen solchen Ausbruch der EBV-Infektion hindeuten.

Eine andere Vermutung konnten die Forscher nicht bestätigen. Bei Patienten mit aktiver COVID-19-Erkran­kung waren Autoantikörper gefunden worden, was auf die Gefahr einer Autoimmunerkrankung hindeutete. Bei den Long-COVID-Patienten fehlten diese Autoantikörper jedoch weitgehend.

Dafür scheint die Antikörperreaktion auf SARS-CoV-2 bei den Patienten mit Long COVID länger anzuhalten als bei den Patienten, die sich erholt haben. Welche Bedeutung dieser Befund hat, ist unklar.

Die Ergebnisse wurden bisher nicht in einer weiteren Kohorte validiert. Sollten sich die Ergebnisse bestäti­gen, könnte sich daraus ein Bluttest für die Diagnose von Long COVID ergeben. Tatsächlich war der Nachweis eines niedrigen Cortisolspiegels ein wichtiger Prädiktor für ein Long COVID.

Der AUC-Wert betrug 0,96, was einer sicheren Diagnose (AUC 1,0) schon recht nahe kommt. Der Cortisoltest könnte durch andere Biomarker wie IL-8 und Galectin-1 erweitert werden, die ebenfalls bei den Long-COVID-Patienten stärker erhöht waren. Ob es zu solchen Tests kommt, hängt wie erwähnt davon ab, ob andere Gruppen die Ergebnisse bestätigen können.

rme

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