Studie: Psychische Erkrankungen erhöhen Long-COVID-Risiko

Boston – Frauen, die vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 unter Depressionen, Angstzuständen, Stress oder Einsamkeit litten oder sich Sorgen um eine mögliche Infektion machten, erkrankten später häufiger an Long COVID. Dies kam in einer prospektiven Beobachtungsstudie in JAMA Psychiatry (2022; DOI: 10.1001/jamapsychiatry.2022.2640) heraus.
Es ist bekannt, dass psychische Erkrankungen die Abwehrkräfte gegen Infektionen schwächen können. So hatten in einer früheren Studie Forscher der Carnegie Mellon University in Pittsburgh 55 gesunde Probanden absichtlich mit dem Influenza A-Virus infiziert. Die Teilnehmer, die vorher in einem Fragebogen einen vermehrten psychischen Stress angegeben hatten, erkrankten schwerer und in ihren Nasenabstrichen wurden erhöhte Konzentrationen von Interleukin 6 gefunden, das vom Immunsystem für die Abwehr von Infektionen benötigt wird (Psychosomatic Medicine 1999; 61: 175-180).
Epidemiologen der Harvard School of Public Health in Boston haben jetzt untersucht, ob psychische Erkrankungen auch das Risiko auf Long COVID erhöhen. Dies geschah nicht in einer experimentellen Studie, was ethisch wohl bedenklich wäre, sondern in einer prospektiven Beobachtungsstudie.
Siwen Wang und Mitarbeiter hatten zu Beginn der Pandemie im April und Mai 2020 Fragebögen an mehr als 105.000 überwiegend weibliche (96,6 %) Teilnehmer der „Nurses Health Study“ 2 und 3 sowie der „Growing Up Today Study“ verschickt. Sie erkundigten sich unter anderem nach psychischen Störungen und nach den Ängsten und Sorgen, die die Pandemie bei ihnen auslöst.
Von 54.960 Teilnehmerinnen, die den Fragebogen zurückschickten, infizierten sich in den folgenden 19 Monaten 3.193 mit SARS-CoV-2, von denen 1.403 auch vier Wochen danach noch unter mindestens 1 Long COVID-Symptom litten. Am häufigsten waren Müdigkeit (56,0 %), Geruchs- oder Geschmacksprobleme (44,6 %), Kurzatmigkeit (25,5 %), Verwirrtheit/Desorientierung/„Brain fog“ (24,5 %) und Gedächtnisstörungen (21,8 %).
Ein Abgleich mit dem Fragebogen, den die Teilnehmerinnen vor der Infektion ausgefüllt hatten, ergab, dass depressive Störungen mit einem um 32 % erhöhten Risiko auf ein Long COVID assoziiert waren. Die von Wang ermittelte Risk Ratio (RR) von 1,32 war mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 1,12 bis 1,55 signifikant. Auch Angststörungen (RR 1,42; 1,23-1,65), Sorge um COVID-19 (RR 1,37; 1,17-1,61), erhöhter Stress (RR 1,46; 1,18-1,81 für das höchste im Vergleich zum niedrigsten Quartil) und Einsamkeit (RR 1,32; 1,08-1,61) waren jeweils mit Long COVID assoziiert.
Bei ihren Berechnungen konnte Wang eine Reihe von persönlichen Faktoren (Alter, Geschlecht, ethnische Herkunft, Beschäftigung im Gesundheitswesen und Ausbildung des Partners), Tabakrauchen und Body-Mass-Index sowie eine Reihe von Begleiterkrankungen (Diabetes, Bluthochdruck, hoher Cholesterinspiegel, Asthma und Krebs) berücksichtigen.
Das ist keine Gewähr dafür, dass der Assoziation eine Kausalität zugrunde liegt, unterstützt aber einen Zusammenhang, zumal es eine „Dosis-Wirkungsbeziehung“ gab: Personen mit 2 oder mehr Dystress-Symptomen hatten ein höheres Risiko (RR 1,49; 1,23-1,80) als Personen mit nur einem Dystress-Symptom (RR 1,28; 1,06-1,54).
Die Symptome waren keineswegs banal. Insgesamt 783 der 1.403 Personen klagten über eine Beeinträchtigung des täglichen Lebens, die durch alle Arten von Stress verstärkt wurde. Die Risk Ratios lagen hier zwischen 1,15 und 1,51.
Wang warnt davor, Long COVID als psychosomatische Erkrankung zu interpretieren. Abgesehen davon, dass mehr als 40 % der Betroffenen bei der ersten Befragung keine psychischen Belastungen angegeben hatten, würden sich die Long COVID-Symptome auch deutlich von psychischen Krankheitssymptomen unterscheiden.
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