Mutmaßlich erhöhtes Reinfektionsrisiko nach Long COVID

Beijing – Long-COVID-Betroffene könnten sich womöglich häufiger erneut mit dem SARS-CoV-2 anstecken. Allerdings sind die erhobenen Daten laut Expertenmeinung wohl nicht stark genug für diese Interpretation. Eine derartige Hypothese sollte aber weiter untersucht werden (The Lancet Respiratory Medicine; 2023, DOI: 10.1016/S2213-2600(23)00387-9).
„Diese Studie ist ein weiterer, kleiner Mosaikstein um das Wissen zu den Langzeitfolgen einer COVID-19-Infektion, dem Long-COVID-Syndrom, oder einer COVID-19-Omikron-Reinfektion besser abschätzen zu können“, kommentierte Julian Schulze zur Wiesch, Leitender Oberarzt der Sektion Infektiologie und Leiter des Ambulanzzentrums Virushepatologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE).
In dieser monozentrischen Längsschnittstudie wurden COVID-19-Überlebende aus dem Frühjahr 2020 nach der Entlassung aus einem Krankenhaus in Wuhan bis zu 3 Jahre lang nachbeobachtet. Bei der 3-Jahres-Nachuntersuchung wurde die Infektionen durch die Omikron-Variante (B.1.1.529) miterfasst.
In der Omikronwelle steckten sich Teilnehmer mit Long COVID häufiger an, als jene ohne Long COVID (76 % versus 67 %, p = 0,0004). Allerdings unterschieden sich die Reinfektionsraten mit 39 und 40 % kaum noch voneinander, wenn die Omikroninfektion eindeutig mit einem molekularen Test nachgewiesen wurde.
Für Long-COVID-Betroffene wurde mittels klinischen Verdachts- und Patientengeschichte in 76 % der Fälle eine Omikroninfektion vermutet, aber nur in 39 % aller Long-COVID-Betroffenen ein positiver spezifischer Antigen- oder RT-PCR-Test gefunden. Dahingegen wiesen Non-Long-COVID-Betroffene in 40 % einen positiven spezifischen Antigen- oder RT-PCR-Test auf, aber klinisch wurde nur in 67 % aller Non-Long-COVID-Betroffenen eine Omikroninfektion vermutet.
„Offensichtlich erlaubt ein spezifischer Antigen- oder RT-PCR-Test eine objektivere – und somit ,fairere' – Diagnose als die klinische Beurteilung bei einer Person, die entweder bereits eine COVID-19-bezogene Diagnose wie Long COVID hat, was den beurteilenden Arzt beeinflussen kann, oder nicht“, erläuterte Onur Boyman, Direktor der Klinik für Immunologie am Universitätsspital Zürich (Schweiz).
Darüber hinaus fiel Boyman auf, dass die Kontrollgruppe der „Community controls“ eine höhere klinische Omikroninfektionsrate von 83 % als die Long-COVID-Betroffenen (76 %) aufwiesen, was die Behauptung der höheren Anfälligkeit für Reinfektionen mit SARS-CoV-2 von Long-COVID-Betroffenen wiederum infrage stelle.
Damit Bezieht sich Boyman auf die Schlussfolgerung der chinesischen Arbeitsgruppe, die besagt, dass sich Long-COVID-Betroffene sich häufiger reinfizierten als jene ohne Long COVID.
Auch für Schulze zur Wiesch lassen die Daten nur ein eingeschränkt eine solche Interpretation zu. „Die Autoren haben dieses Resultat – für welches es verschiedene Erklärungen geben mag – aus meiner Sicht schon etwas zu pointiert interpretiert.
Aber zumindest die Hypothese sollten wir weiter testen. Im Alltag würde ich aber warnen, dass Patienten mit Long-COVID-Symptomen nach dem Lesen dieser Studie nunmehr zusätzliche Befürchtungen hegen.
Ich denke, der allgemeine doch benigne Langzeitverlauf einiger der somatischen Folgeerscheinungen einer frühen COVID-19-Infektion mit dem Wild-Typ bei damals ungeimpften Patienten, wie zum Beispiel der Lungenfunktion, sollten aus meiner Sicht mehr betont werden“, so die Einschätzung von Schulze zur Wiesch.
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