Medizin

Ophthalmologie: Künstliche Intelligenz erkennt Papillenödem auf Fundusfoto

  • Donnerstag, 28. Mai 2020
/picture alliance
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Singapur − Die wenigsten Hausärzte sind in der Spiegelung des Augenhintergrundes so versiert, dass sie eine Stauungspapille sicher erkennen. Eine Digitalkamera und eine spezielle Computersoftware könnten sie künftig bei der Diagnose des Papillenödems unterstützen, das eine wichtige Ursache für dauerhafte Sehstörungen ist. Die Grundlage legt eine Studie im New England Journal of Medicine (2020; 382: 1687-1695).

Die Bedienung eines Ophthalmoskops erfordert Erfahrung und regelmäßige Übung, über die die meisten Hausärzte nicht verfügen. Hinzu kommt, das die Untersuchung am besten an einer medikamentös erweiterten Pupille durchgeführt werden sollte, auf die der Hausarzt in der Regel verzichtet.

Einfacher anzufertigen sind Fotografien vom Fundus, die heute mit handlichen Geräten (notfalls auch mit einem Zusatzgerät für das Smartphone) möglich sind. Die Unter­suchung erfordert keine medikamentöse Dilatation, doch die Beurteilung der Bilder ist schwieriger als bei der konventionellen Untersuchung mit dem Augenspiegel.

Ein Team um Wong Tien Yin vom Singapur National Eye Center hat jetzt untersucht, ob eine Software auf der Basis des maschinellen Lernens in der Lage wäre, ein Papillen­ödem auf einer Fotografie zu erkennen. Beim maschinellen Lernen wird die Software mit einer Reihe von Fotos von Papillenödemen, anderen Erkrankungen und Normalbefunden „gefüttert“.

In einer ersten Trainingsphase erhält die Software Angaben zur Diagnose. Sie ermittelt dann eigenständig (und ohne jeglichen medizinischen Sachverstand) einen Algorithmus, mit den sie am Ende in der Lage ist, die Diagnose eigenständig zu stellen. Die Zuverlässigkeit der Diagnose steigt mit der Zahl der Fälle, hier die Fundusfotos, die die Software bereits analysiert hat.

In einer zweiten Validierungsphase werden die Fähigkeiten der Software an einem zweiten Datensatz überprüft. In der BONSAI-Studie („Brain and Optic Nerve Study with Artificial Intelligence“) umfasste die Trainingsphase 14.341 Fundusfotografien von 6.779 Patienten, von denen 2.148 Augen ein von Ophthalmologen diagnostiziertes Papillen­ödem hatten.

Auf 3.307 Bildern waren andere Störungen zu sehen, während die übrigen 9.156 Augen einen Normalbefund hatten. In der Validierungsphase musste die Software dann zeigen, was sie eigenständig gelernt hatte.

Die Ergebnisse stellen die Forscher weitgehend zufrieden. Die Software erzielte eine Sensitivität von 93,2 % und eine Spezifität von 95,1 % in der Unterscheidung eines Papillenödems von einem Normalbefund oder einer anderen Erkrankung der Papille. Der AUC-Wert („area under the curve“), der Sensitivität und Spezifität kombiniert, betrug sogar 0,99 (95-%-Konfidenzintervall 0,98 bis 0,99), was nahe am Idealwert von 1,0 ist (0,5 wäre ein reiner Zufall).

Zur Sicherheit wurde noch eine zweite externe Validierung an Fundusfotografien aus 4 Zentren (darunter Universität Freiburg/Breisgau) durchgeführt. Die Sensitivität betrug hier 96,4 % und die Spezifität 84,7 %. Die Zahl der falsch positiven Ergebnisse betrug demnach fast 15,3 %. Der AUC-Wert von 0,96 war jedoch weiterhin günstig.

Die wichtigste Einschränkung der Studie ist, dass sie an Fotos durchgeführt wurde, die von Augenärzten bei dilatierter Pupille gemacht worden waren. Dass Hausärzte bei nicht dilatierten Pupillen die gleiche Bildqualität erzielen, muss wohl bezweifelt werden.

Wenn die Software die Ärzte jedoch überhaupt motivieren würde, regelmäßig bei ihren Patienten eine Fundusuntersuchung durchzuführen, könnte dies zumindest in Regionen mit einer geringen Facharztdichte ein Vorteil sein. Der klinische Nutzen müsste jedoch noch in weiteren Studien überprüft werden.

rme

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