SARS-CoV-2: Impfstoff von Biontech/Pfizer verhindert in Phase-3-Studie mehr als 90 % der bestätigten Infektionen

Bonn/New York – Der vom deutschen Hersteller Biontech entwickelte und zusammen mit dem US-Konzern Pfizer klinisch geprüfte Impfstoff BNT162b2 hat in einer Phase-3-Studie offenbar eine gute Schutzwirkung erzielt, ohne dass es zu schweren Komplikationen kam, wie die jetzt bekannt gegebenen Zwischenergebnisse der laufenden Studie zeigen. Die Firmen wollen sich um eine baldige Zulassung bemühen.
Die klinische Phase-3-Studie war am 27. Juli an weltweit 154 Zentren (deutsche Beteiligung: Berlin, Essen, Frankfurt/Main, Hamburg, Stuhr bei Bremen) begonnen worden. Ursprünglich waren 30.000 gesunde Erwachsene geplant. Inzwischen wurde die Zahl auf etwa 44.000 Personen erhöht.
Dabei wurden nach Mitteilung der Hersteller zusätzlich weitere Bevölkerungsgruppen einbezogen einschließlich Personen im Alter von 12 Jahren und Personen, die mit dem HI-Virus, dem Hepatitis C-Virus oder dem Hepatitis B-Virus infiziert sind.
Zu den Einschlusskriterien gehörte ein überdurchschnittliches Risiko auf eine COVID-19-Infektion, sei es durch die Nutzung von Massentransportmittel, durch andere „relevante demografische Daten“ oder durch eine Exposition mit Infizierten am Arbeitsplatz, gemeint sind Beschäftigte im Gesundheitswesen „an vorderster Front“.
Die Teilnehmer wurden auf eine Behandlung mit BNT162b2 oder Placebo randomisiert. Die Studie war doppelblind, auch die Prüfärzte wussten nicht, ob die Spritze den Impfstoff enthielt. Die Impfung bestand aus 2 Injektionen im Abstand von 21 Tagen.
Die entscheidenden Endpunkte waren die Verträglichkeit/Sicherheit des Impfstoffs und die Effektivität. Die Effektivität wurde durch die Zahl der bestätigten Infektionen mit SARS-CoV-2 bewertet, wobei alle Infektionen gezählt wurden, die später als 7 Tage nach der zweiten Impfdosis auftraten.
Knapp 40.000 Probanden haben zweite Dosis erhalten
Eine Zwischenauswertung vom 8. November umfasste 43.538 Teilnehmer, von denen 38.955 die zweite Dosis des Impfstoffkandidaten erhalten haben. Die Zwischenauswertung wurde nach Rücksprache mit der US-Arzneimittelbehörde FDA für den Zeitpunkt festgelegt, an dem 94 bestätigte Erkrankungen aufgetreten sind.
Nach den jetzt vorgestellten Ergebnissen sind die meisten Fälle im Placeboarm der Studie aufgetreten. Laut dem Hersteller liegt die Effektivität bei mehr als 90 %. Genauere Angaben werden nicht gemacht. Angesichts der Teilnehmerzahl dürfte das Ergebnis jedoch signifikant sein.
Eine Effektivität von mehr als 90 % spricht für eine hohe Schutzwirkung ähnlich wie bei Masern, Mumps und Röteln, wo 93 bis 99 % der geimpften eine protektive Immunität erreichen.
Die Effektivität der saisonalen Grippeimpfung ist (selbst in einem Jahr mit einer guten Übereinstimmung mit den kursierenden Virusstämmen) wesentlich geringer. Abzuwarten bleibt, wie die Ergebnisse in den einzelnen Altersgruppen sind. Im Alter nimmt die Erfolgsrate wegen einer zunehmenden Immunseneszenz erfahrungsgemäß ab.
Der zweite wichtige Endpunkt ist die Verträglichkeit und die Sicherheit. Die Verträglichkeit ist eine Voraussetzung für eine hohe Akzeptanz in Bevölkerungsgruppen, die wenig von einer Infektion mit SARS-CoV-2 zu befürchten haben. Die Sicherheit, also die Abwesenheit von schweren, unter Umständen lebensgefährlichen Komplikationen ist Voraussetzung für eine Zulassung (außer bei Erkrankungen mit einer hohen Case-Fatality-Rate wie Ebola, zu denen Infektionen mit SARS-CoV-2 nicht gehören).
10 Impfstoffe in der der klinischen Prüfung der Phase 3
Laut der Pressemitteilung sind bei der Zwischenanalyse keine ernsthaften Sicherheitsbedenken beobachtet worden. Ob dies tatsächlich der Fall ist, bleibt abzuwarten. Der Hersteller steht im Wettbewerb mit zahlreichen anderen Firmen. Dies könnte sich auf die Darstellung der Ergebnisse auswirken. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) befinden sich derzeit 47 Impfstoffe in der klinischen Prüfung, davon 10 in der Phase 3.
Vorsicht ist sicherlich geboten, da BNT162b2 zu einer neuen Gruppe von Impfstoffen gehört, die bisher klinisch nicht im Einsatz sind. Die Vakzine besteht aus einer modifizierten Boten-RNA, die den Bauplan für das Spike-Protein des Virus enthält. Die Produktion des eigentlichen Impfstoffs sollen nach einer intramuskulären Injektion die Zellen des menschlichen Körpers übernehmen. Damit die Boten-RNA diese Zellen erreicht, ist sie in Lipid-Nanopartikel verpackt.
Intramuskuläre Injektionen führen erfahrungsgemäß zu lokalen Reaktionen an der Injektionsstelle, die in Schmerzen oder einer Verhärtung des Gewebes bestehen können. Die Immunreaktion, sprich die Generierung von Antikörper bildenden B-Zellen und unterstützenden T-Zellen, kann mit Fieber, Schüttelfrost, Müdigkeit, Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen oder Kopfschmerzen einhergehen. Eine positive Voraussetzung könnte sein, dass BNT162b2 ohne ein Adjuvans auskommt.
Die Sicherheit eines Impfstoffes kann durch Reaktionen gefährdet werden, die durch die Antikörper selbst ausgelöst werden, wenn sie versehentlich gesunde Körperstrukturen angreifen. Bei einem Impfstoff gegen die Schweinegrippe Influenza A/H1N1 wurde über Fälle von Narkolepsie berichtet. Sie waren möglicherweise durch eine Antikörperreaktion gegen die Rezeptoren des Orexin-Hormons im Wachzentrum des Gehirns gerichtet.
Solche Reaktionen sind meistens selten, oft werden sie erst nach der Einführung des Impfstoffes entdeckt. Sie könnten dann aber die Akzeptanz der Impfung in der Bevölkerung gefährden, die bei SARS-CoV-2 besonders wichtig ist.
Die Hersteller wollen die Studie weiter fortsetzen, bis 164 bestätigte COVID-19-Fälle aufgetreten sind. Zudem werde geprüft, in welchem Maß die Impfung nicht nur vor COVID-19 schützt, sondern auch vor schweren Verläufen der Krankheit.
Impfstoff kann in kurzer Zeit in großer Menge hergestellt werden
Ein Vorteil des Impfstoffes ist, dass er innerhalb kurzer Zeit in größerer Menge hergestellt werden kann. Pfizer sieht sich in der Lage, bis Ende des Jahres bis zu 50 Millionen Impfstoffdosen zu liefern. Im nächsten Jahr könnten bis zu 1,3 Milliarden Dosen hergestellt werden.
Die ersten Reaktionen der Experten waren durchgehend positiv. Der Infektiologe Gerd Fätkenheuer von der Uniklinik Köln sprach von „großartigen und vielversprechenden Daten“.
„Ich denke, das wird unseren Umgang mit der Pandemie entscheidend beeinflussen, und ich hoffe, dass rasch große Mengen des Impfstoffes zur Verfügung stehen werden.“ Bernd Salzberger vom Universitätsklinikum Regensburg rechnet mit einer baldigen Zulassung.
Allerdings geben Experten auch zu bedenken, dass die Daten zunächst nur aus einer Pressemitteilung stammen und nicht aus einer wissenschaftlichen Publikation. So fehlten etwa Daten zum Schutzeffekt in bestimmten Altersgruppen.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte, die Ergebnisse zeigten, „dass dieser Impfstoff einen Unterschied macht“. Es freue ihn sehr, dass ein deutsches Unternehmen zu den ersten mit solchen Erfolgen zähle. Gleichwohl müssten natürlich weitere Erfahrungen abgewartet werden. Das heiße noch nicht, dass morgen die Zulassung erfolgt.“
Wie lange die Arzneimittelbehörden für eine Bewertung brauchen, bleibt abzuwarten. Sowohl die FDA als auch die EMA haben für Anträge mit einer besonderen Dringlichkeit einen beschleunigten Zulassungsprozess.
Bei der EMA gibt es ein „Rolling-Review-Verfahren“, bei dem die Hersteller ihre Daten nach und nach einreichen, bevor sie einen kompletten Zulassungsantrag stellen. Das Verfahren hat neben Biontech auch das britisch-schwedische Unternehmen AstraZeneca bereits vor einiger Zeit für seinen Impfstoffkandidaten gestartet.
AstraZeneca hat bisher noch keine Phase-3-Daten veröffentlicht. Zum Zeitplan dafür lasse sich noch nichts sagen, teilte eine Sprecherin gegenüber den Nachrichtenagenturen mit.
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