Studie: COVID-19 könnte Alterung des Gehirns beschleunigen

Boston – Bei einem schweren Verlauf von COVID-19 kann es im Gehirn zu Veränderungen kommen, die auf eine vorzeitige Alterung hindeuten. Dies zeigt eine Untersuchung der Hirnzellen von Verstorbenen in Nature Aging (2022; DOI: 10.1038/s43587-022-00321-w).
Viele Menschen erleiden im Verlauf von COVID-19 kognitive Störungen, die über das Ende der Erkrankung hinaus anhalten können und dann ein häufiges Symptom von Long COVID sind. Betroffen sind in erster Linie, aber nicht nur Patienten, die auf Intensivstation behandelt wurden.
Die Pathogenese der Störungen ist derzeit völlig unklar. Die Neurobiologin Maria Mavrikaki vom Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston konnte mit Mitarbeitern jetzt das Gehirn von 21 Menschen untersuchen, die bei ihrem Tod an schwerem COVID-19 litten. Ein weiterer Patient war zum Zeitpunkt des Todes asymptomatisch mit SARS-CoV-2 infiziert.
Das Forscherteam führte in den Hirnzellen des Frontallappens, der wesentlich an kognitiven Prozessen beteiligt ist, eine RNA-Sequenzierung einzelner Zellen durch. Die RNA der Zellen besteht im Wesentlichen aus der Boten-RNA der Gene, die in den Zellen aktiv sind. Die Analyse gibt deshalb einen allgemeinen Überblick über die Funktion der einzelnen Zellen.
Die Forscher führten dieselbe Untersuchung an 22 Personen durch, die bei ihrem Tod nicht mit SARS-CoV-2 infiziert waren. Eine weitere Kontrollgruppe umfasste 9 Personen, die nicht mit SARS-CoV-2 infiziert waren, aber aus anderen Gründen auf einer Intensivstation behandelt und dort teilweise maschinell beatmet wurden.
Der Vergleich ergab, dass bei COVID-19 vermehrt Gene aktiviert werden, die an Entzündungs- und Stressreaktionen beteiligt sind. Gene, die für kognitive Leistungen und die Bildung neuer Verbindungen zwischen Gehirnzellen benötigt werden, waren dagegen vermindert aktiv.
Auffällig war auch, dass in den Zellen Gene aktiv waren, die mit Alterungsveränderungen des Gehirns in Verbindung gebracht werden. Ein Vergleich mit einer weiteren Gruppe von 20 Personen, von denen jeweils 10 vor und 10 nach dem 38. Lebensjahr gestorben waren, bestätigte diese Vermutung.
Dies beweist nicht sicher, dass eine Erkrankung an SARS-CoV-2 zu einer Alterung des Gehirns führt. Die Untersuchung stellt nur eine Momentaufnahme dar. Wenn sich die Patienten erholen, könnte sich auch die Genaktivierung wieder normalisieren. Untersuchen lässt sich dies kaum, da hierzu eine Hirnbiopsie erforderlich wäre.
Das Virus selbst hat die Neurobiologin übrigens bei keinem der Verstorbenen im Gehirn nachweisen können. Die Veränderungen lassen sich deshalb nicht auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 zurückführen. Mavrikaki vermutet, dass die starken Entzündungsprozesse im Gehirn die Ursache für die kognitiven Störungen sind.
Ihr Verdacht fällt auf Interferone und den Tumornekrosefaktor (TNF), deren Serumwerte bei einigen Patienten vor dem Tod deutlich erhöht waren. Vor allem die TNF-Konzentration korrelierte mit einem Altersindex, den die Forscher aufgrund der Genaktivierung aufgestellt haben.
Im Frühjahr hatten Gwenaëlle Douaud von der Universität Oxford und Mitarbeiter in Nature (2022; 10.1038/s41586-022-04569-5) berichtet, dass es bei Personen nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 zu einer Verringerung der grauen Substanz und des Gewebekontrasts im orbitofrontalen Cortex und im Gyrus parahippocampalis kommt.
Die Forscher hatten Magnetresonanztomografien von 401 Teilnehmern der UK Biobank verglichen, die vor und nach einer Infektion gemacht wurden. Die Kontrollgruppe bildeten 384 weitere Teilnehmer der UK Biobank, die sich nicht infiziert hatten. Veränderungen wurden auch bei Patienten gefunden, die nur mild an COVID-19 erkrankt waren.
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