Alle Gesundheitsgesetze stehen nach Koalitionsbruch auf der Kippe

Berlin – Die Ampelkoalition ist am Ende. Doch was bedeutet das für die Arbeit im Bundestag und damit die Gesetzgebung im Gesundheitswesen? Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kündigte heute an, trotz allem noch mehrere wichtige Gesetzesvorhaben umsetzen zu wollen. Ob das realistisch ist, ist unklar.
„Die Krankenhausreform, sie wird und sie muss kommen“, sagte Lauterbach heute beim Deutschen Pflegetag in Berlin. In den Krankenhäusern könne nicht weiter wie in einem Hamsterrad gearbeitet werden. „Diese Reform werden wir nicht scheitern lassen und werden sie im Bundesrat durchsetzen.“
Käme sie nicht, würden in den nächsten zwei Jahren Hunderte Krankenhäuser in die Insolvenz gehen. Der Bundestag hat die Krankenhausreform Mitte Oktober bereits beschlossen. Im Bundesrat wird derzeit um die Frage gerungen, ob es einen Vermittlungsausschuss geben wird. Sollte dieser am 22. November angerufen werden, könnte die aktuelle Situation und die anvisierte Neuwahl diese Reform eventuell noch ganz stoppen.
Für die Umsetzung der Krankenhausreform werden noch drei Rechtsverordnungen benötigt, die das Bundesgesundheitsministerium (BMG) im Frühjahr mit der Zustimmung des Bundesrates erlassen will. Diese sollen die Kriterien der geplanten Leistungsgruppen sowie weitere Details zum Transformationsfonds definieren.
Auf die Frage, ob das BMG dieses Vorgehen weiter anstrebt, erklärte ein Pressesprecher: „Zunächst muss die Reform durch den Bundesrat. Für die Rechtsverordnungen bräuchte es danach theoretisch nur noch die Zustimmung des Bundesrates.“ Eine Beteiligung des Bundestags ist damit nicht nötig. Offen ist allerdings, ob Lauterbach und sein BMG die Rechtsverordnungen noch vor den Neuwahlen fertigstellen können.
Lauterbach nannte auch Gesetzespläne für die Pflege, etwa zu mehr Kompetenzen für dringend benötigte Pflegekräfte. „Pflege kann mehr, als sie in Deutschland darf.“ Diese Zielsetzung werde von allen demokratischen Parteien im Bundestag begrüßt. Er sei daher „optimistisch, dass wir an dieser wichtigen gemeinsamen Baustelle weiterkommen werden“.
Nach dem Ende der Ampelkoalition sind neue Wege im Parlament erforderlich, um Mehrheiten für Gesetzesvorhaben zu organisieren. Die FDP scheint dabei nicht mehr mit im Boot zu sein.
„Die Koalition ist Geschichte. Eine weitere Zusammenarbeit findet nicht statt. Entsprechend verhandeln wir die anstehenden Gesetzesvorhaben im Gesundheitsbereich nicht mehr mit“, sagte der gesundheitspolitischer Sprecher der FDP Bundestagsfraktion, Andrew Ullmann, dem Deutschen Ärzteblatt.
Er könne sich „nicht vorstellen“, dass man den Vorhaben von SPD und Grünen zustimmen könne. Allerdings schränkt er die Aussage auch ein. Die Entscheidung sei am Ende „ganz von der Sache abhängig und davon, inwiefern SPD und Grüne sinnvolle Vorschläge“ vorlegten oder aufnähmen. „Wir als FDP-Fraktion werden im Gesundheitsausschuss konstruktiv aus der Opposition mitarbeiten und verantwortungsvoll der parlamentarischen Arbeit nachkommen”, sagte Ullmann.
Aus Sicht der Union ist „für das Gesundheitswesen die Legislatur beendet“, wie der gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion, Tino Sorge, dem Deutschen Ärzteblatt sagte. Aus seiner Sicht werde „keines der verbleibenden Gesetze es durch den Bundestag schaffen“. Die Ampel sei „krachend gescheitert, und damit auch die letzten verbliebenen gesundheitspolitischen Vorhaben“.
Sorge betonte, eine projektbezogene Zusammenarbeit mit den Ampeltrümmern werde es in der Gesundheitspolitik nicht geben. „Dafür mangelt es am gemeinsamen inhaltlichen Konsens“, so Sorge. Er warf der Ampel vor, nie ein Interesse an ernsthafter inhaltlicher Zusammenarbeit mit der Opposition gehabt zu haben.
Für Sorge steht dem Gesundheitswesen nun eine neue Belastungsprobe bevor. Ein Regierungswechsel müsse nun so schnell wie möglich vollzogen werden. „Eine monatelange handlungsunfähige Minderheitsregierung können wir uns jetzt nicht leisten. Ohne Haushalt und ohne parlamentarische Mehrheit ist kein Staat zu machen – und ohne das Vertrauen der Bevölkerung erst recht nicht“, sagte er.
Daher fordere die Union den Bundeskanzler auf, sofort die Vertrauensfrage zu stellen und den Weg für Neuwahlen freizumachen. „Als Insolvenzverschlepper und Mehrheitsbeschaffer für eine rot-grüne Trümmerkoalition stehen wir nicht zur Verfügung“, sagte Sorge.
Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Heike Baehrens, teilte dem Deutschen Ärzteblatt mit, die SPD-Bundestagsfraktion werde „im Parlament alles dafür tun, Mehrheiten zu organisieren, um das Notwendige im Interesse des Landes auf den Weg zu bringen“.
Baehrens hob insbesondere den Gesundheits- und Pflegebereich hervor, in dem in diesem Jahr noch wichtige Entscheidungen für die Sicherung der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung getroffen werden müssten. „Wir erwarten, dass sich in der demokratischen Mitte des Landes Mehrheiten in staatspolitischer Verantwortung finden, um Entscheidungen zum Wohle unseres Landes zu treffen.“
Auch die Union trage nun Verantwortung für Deutschland, betonte Baehrens. „Hier nehmen wir den Oppositionsführer beim Wort, in zentralen Fragen zum Wohle des Landes zusammenzuarbeiten.“
Grund für das Aus der Ampel war ein erbitterter Richtungsstreit von FDP auf der einen und SPD und Grünen auf der anderen Seite – vor allem über den künftigen Kurs in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik. Gestern Abend kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an, Finanzminister Christian Lindner (FDP) aus dem Kabinett zu werfen.
Die FDP zog daraufhin alle ihre Minister aus dem Regierungsbündnis ab – und beendet somit effektiv die Ampelkoalition. Bundesverkehrsminister Volker Wissing kündigte heute an, aus der FDP auszutreten. Er bleibt nicht nur als Parteiloser dann Verkehrsminister, sondern wird auch neuer Bundesjustizminister in der neuen Minderheitsregierung.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) wurden heute wie Lindner von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier entlassen. Das Amt von Stark-Watzinger übernimmt zusätzlich Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne).
Der Bundestag solle am 15. Januar 2025 über eine Vertrauensfrage abstimmen, sagte Scholz. Erwartet wird, dass er diese verliert. In diesem Fall kann der Kanzler den Bundespräsidenten bitten, den Bundestag aufzulösen. Scholz sagte, der Bundestag könne den Weg für vorgezogene Neuwahlen freimachen. Diese könnten spätestens Ende März stattfinden.
Scholz bot Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU), rasch gemeinsam nach Lösungen zur Stärkung der Wirtschaft und der Verteidigung zu suchen. Er wolle Merz anbieten, in zwei oder gerne auch noch mehr Fragen, „die entscheidend sind für unser Land, konstruktiv zusammenzuarbeiten: Bei der schnellen Stärkung unserer Wirtschaft und unserer Verteidigung“, sagte der Kanzler. Das Gespräch findet zurzeit statt.
Die Wirtschaft könne nicht warten, bis Neuwahlen stattgefunden haben, ergänzte Scholz und fügte hinzu: „Und wir brauchen jetzt Klarheit, wie wir unsere Sicherheit und Verteidigung in den kommenden Jahren solide finanzieren, ohne dafür den Zusammenhalt im Land aufs Spiel zu setzen.“ Auch mit dem Blick auf die Wahlen in Amerika sei das „vielleicht dringender denn je“.
Nach dem Gespräch zwischen Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) und Scholz hieß es nach Angaben aus der Unionsfraktion: Merz habe Scholz angeboten, die Union sei jederzeit bereit, über anstehende Tagesordnungspunkte oder Gesetze im Bundestag zu sprechen – aber erst, wenn vom Bundeskanzler in den kommenden Tagen die Vertrauensfrage gestellt worden sei. Scholz wolle aber am Zeitplan für die Vertrauensfrage im kommenden Jahr festhalten.
Die große Frage ist nun, was aus dem Bundeshaushalt 2025 wird. Dafür gibt es keine Ampelmehrheit mehr. Es gilt als unwahrscheinlich, dass die Union von CDU und CSU nun für eine Mehrheit sorgt. Wird kein Haushalt beschlossen, würde ab Januar eine sogenannte vorläufige Haushaltsführung gelten.
Dann sind vorerst nur Ausgaben möglich, die nötig sind, um die Verwaltung aufrechtzuerhalten und rechtliche Verpflichtungen zu erfüllen. In der Praxis kann das Finanzministerium den Ministerien aber bewilligen, pro Monat einen Prozentsatz der Mittel des noch nicht verabschiedeten Haushaltsentwurfs zu nutzen.
Der Haushaltsausschuss hat heute Vormittag einstimmig beschlossen, nahezu sämtliche Punkte der Tagesordnung nicht zu behandeln und sich auf nächste Woche zu vertagen. Verabschiedet aus dem Gremium hat sich der bisherige Parlamentarische Geschäftsführer im Bundesfinanzministerium (BMF), Florian Toncar (FDP).
Anm. d. Red.: Der Artikel wird heute laufend ergänzt.
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