Politik

Ausweitung von pränatalen Bluttests im Fokus

  • Mittwoch, 9. Oktober 2024
/angellodeco, stock.adobe.com
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Berlin – Die Folgen der Kassenzulassung der nicht invasiven Pränataltests (NIPT) auf Trisomie 13, 18 und 21 im Jahr 2022 sollten systema­tisch ausgewertet werden. Dieser Ansicht war heute ein Großteil der Sachverständi­gen bei einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses des Bundestages.

Viele von ihnen plädierten gleichzeitig dafür, ein Expertengremium einzurichten, das die ethischen, rechtlichen und gesundheitspolitischen Grundlagen der Zulassung und Finanzierung von vor­geburtlichen Tests aus mütter­li­chem Blut auf Trisomien des Ungeborenen prüfen soll.

Anlass für die Anhörung war der Antrag einer interfraktionellen Bundestagsgruppe von 121 Abgeordneten von SPD, CDU/CSU, Grünen, FDP und der Gruppe Die Linke mit dem Titel „Kassenzulassung des nicht invasiven Pränataltests – Monitoring der Konsequenzen und Einrichtung eines Gremiums“, die diese bereits im Frühjahr in den Bundestag eingebracht hatte.

Mit diesem stellt die Gruppe nicht die NIPT grundsätzlich infrage, sondern will vielmehr die Folgen der Finan­zierung der Tests durch die Krankenkassen seit 2022 beleuchten. Es gebe Hinweise, dass Schwangeren unab­hängig von einer medizinischen Relevanz und nicht nur in begrün­deten Einzelfällen – wie es die Mutterschafts­richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) vorsehe – em­pfohlen werde, einen NIPT vornehmen zu lassen, so die interfraktionelle Gruppe.

Zudem deuteten Daten darauf hin, dass seit der NIPT-Kassenzulassung risikoreichere invasive Untersuchun­gen, wie die Amniozentese, zur Abklärung eines positiven Befunds zugenommen hätten. Es bestünde die Gefahr, dass sich die Tests zu einem Screening ausweiteten. Ein solches Screening einzuführen, sei keineswegs die Intention des G-BA gewesen, betonte heute Josef Hecken, Unparteiischer Vorsitzender des G-BA, ganz klar.

Nach dem Beschluss des G-BA aus dem Jahr 2019 zur Aufnahme des NIPT in die Mutterschaftsrichtlinie von 2021 zur Aufnahme einer Versicherteninformation und dem Beschluss des Bewertungsausschusses (BA) von 2022 könne seit dem 1. Juli 2022 der Test nur „dann durchgeführt werden, wenn er geboten ist, um der Schwan­geren eine Auseinandersetzung mit ihrer individuellen Situation hinsichtlich des Vorliegens einer Trisomie im Rahmen der ärztlichen Begleitung zu ermöglichen“.

Ein statistisch erhöhtes Risiko für eine Trisomie allein reiche für die Anwendung dieses Tests nicht aus, stellte Hecken klar. Die Anwendung des NIPT zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sei zudem eng an die intensive ärztliche Beratung entsprechend des Gendiagnostikgesetzes (GenDG) und des Schwanger­schafts­konfliktgesetzes (SchKG) unter verpflichtender Verwendung der vom G-BA beschlossenen Versicherten­infor­mation gekoppelt.

Dass eine interfraktionelle Gruppe an Bundestagsabgeordneten nun die möglichen gesellschaftlichen Konse­quenzen der nicht invasiven molekulargenetischen Pränataldiagnostik wissenschaftlich untersuchen wolle, befürwortete Hecken ausdrücklich.

Damit griffen die Antragsteller endlich die mehrfach vom G-BA an den Bundestag gerichtete Bitte auf, sich zu den fundamentalen ethischen Grundfragen zu verhalten, ob und in welchem Umfang künftige molekulargene­tische Testverfahren in der Schwangerschaft zur Anwendung gelangen könnten, so Hecken.

Bereits lange vor Aufnahme des NIPT in die Mutterschaftsrichtlinien (Mu-RL) hätten die Unparteiischen Mit­glie­der des G-BA und die Vorstände der Trägerorganisationen gefordert, Grenzen und Bedingungen für die Durch­führung solcher molekulargenetischer Testverfahren zu definieren. „Das müssen wir gesellschaftlich klären“, forderte er mit Nachdruck.

Hecken stellte ferner klar, dass der Gegenstand des Beschlusses des G-BA zur Aufnahme des NIPT in die Mu-RL nicht die Einführung einer neuen Testung gewesen ist. Invasive Testungen, auch auf Trisomien, seien bereits seit 1975 Bestandteil der Mu-RL.

Sowohl die Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese) und die Plazentabiopsie (Chorionzottenbiopsie seien bereits GKV-Leistungen gewesen. Sie seien aber mit zum Teil schwerwiegenden Komplikationen verbunden. Zudem sei seit Ende 2012 der NIPT schon als sogenannte individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) erhältlich gewesen.

Sachverständige besorgt

Dass der NIPT jetzt explizit Kassenleistung sei, sahen die Sachverständigen zwiespältig. „Die Kosten­übernahme suggeriert etwas Nützliches und Positives“, erklärte Alexander Weichert, Arzt in einer Praxis für Pränatale Diagnostik.

Marion Baldus von der Hochschule Mannheim gab zu bedenken, dass der niederschwellige Test von den Frauen als geprüfte und sinnvolle Maßnahme eingeschätzt werde. „Der NIPT wird zur Norm“, sagte sie. Dies sei zu be­ob­achten. Je mehr ein Test als Kassenleistung zur Routine werde, umso schwieriger sei es für Schwangere, diesen nicht durchführen zu lassen.

Marina Mohr von der Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle Cara im Land Bremen berichtete von Verände­rungen der psychosozialen Beratung zu Pränataldiagnostik seit der Einführung des NIPT. Mit einem auffälligen Testergebnis gerieten die Schwangeren in Schockzustände und umfassende Krisen.

„Wir erleben eine große Hoffnungslosigkeit“, sagte sie. Der erste Impuls sei dann, einen Schwangerschafts­ab­bruch vornehmen zu lassen, um „diesem Albtraum zu entkommen“. Ein unauffälliger NIPT sei zur Chiffre für einen gesunden Fötus geworden.

Der Berufsverband der Frauenärzte begrüßt es zwar, dass sich der Bundestag mit den Rahmenbedingungen der Kassenzulassung des nicht invasiven Pränataltests befassen will. Einen kausalen Zusammenhang zwischen späten Schwangerschaftsabbrüchen und der Kassenzulassung von NIPT sieht er jedoch nicht.

Die Beratung und Aufklärung zu NIPT-GKV finde auf gesichertem hohem Niveau statt, hieß es. Die Inanspruch­nahme hat nach Ansicht der Frauenärzte keinen Bezug zu einer unterstellten sogenannten Absicherung der beratenden Ärztinnen und Ärzten, sondern sei eine freie Entscheidung der Schwangeren für oder gegen den Test.

Jeanne Nicklas-Faust von der Bundesvereinigung Lebenshilfe warnte indes davor, dass der NIPT mehr und mehr zur Reihenuntersuchung werde. Die Zahlen zur Inanspruchnahme des NIPT zeigten, dass bereits in etwa 40 Pro­zent der Schwangerschaften ein NIPT durchgeführt werde.

„Dies widerspricht sowohl der Überzeugung des Parlamentes, die in der Orientierungsdebatte zum Ausdruck kam, als auch der Intention des Gemeinsamen Bundesausschusses, der die Inanspruchnahme des NIPT ohne finanzielle Hürden nur in den durch die Indikation gerechtfertigten Einzelfällen ermöglichen wollte“, betonte sie.

Die Akzeptanz eines Lebens mit Behinderung werde möglicherweise durch die aktuelle Praxis einer fast flä­chen­deckenden Anwendung von NIPT auf Trisomien gefährdet. Dies unterstrich Carina Kühne, Schauspielerin mit Down-Syndrom. Sie empfinde die Praxis der vorgeburtlichen Diagnostik als ausgrenzend und diskriminie­rend, sagte sie.

Arne Frankenstein, Landesbehindertenbeauftragter in Bremen, forderte, mit der Einrichtung eines interdiszipli­nären Gremiums insbesondere die Perspektive behinderter Menschen und ihrer Familien in den Blick zu neh­men. „Dies folgt bereits aus dem Partizipationsgebot, das in der UN-Behindertenrechtskonvention verankert ist“, betonte er.

ER

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