Politik

Pränataldiagnostik: Interfraktionelle Gruppe trägt erneute Debatte über vorgeburtliche Bluttests ins Parlament

  • Mittwoch, 24. April 2024
/picture alliance, Hendrik Schmidt
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Berlin – Eine interfraktionelle Bundestagsgruppe aus 121 Abgeordneten von SPD, CDU/CSU, Grünen, FDP und der Gruppe Die Linke will die Folgen der Kassenzulassung des nichtinvasiven Pränataltests (NIPT) systema­tisch auswerten lassen.

Einen entsprechenden Antrag mit dem Titel „Kassenzulassung des nichtinvasiven Pränataltests – Monitoring der Konsequenzen und Einrichtung eines Gremiums“ hat die Gruppe heute in erster Lesung in den Bundestag eingebracht.

Hintergrund ist die Tatsache, dass seit Juli 2022 Schwangere nach Rücksprache mit ihrer behandelnden Gynä­kologin oder des behandelnden Gynäkologen NIPT auf Trisomie 13, 18 und 21 als Kassenleistung erhalten können.

„Es gibt gute Gründe, warum sich der Deutsche Bundestag erneut mit dem Thema auseinandersetzen muss“, sagte Corinna Rüffer (Grüne) heute vor der Presse. Es gäbe Hinweise, dass Schwangeren unabhängig von einer medizinischen Relevanz empfohlen werde, einen NIPT vornehmen zu lassen. Dies zeigten die Abrechnungs­zahlen zum NIPT in den ersten zwölf Monaten seit Kassenzulassung – von Juli 2022 bis Juni 2023.

„Danach kommt auf weniger als drei Geburten ein NIPT“, so Rüffer. „Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass der vorgeburtliche Trisomienbluttest nicht nur in begründeten Einzelfällen zum Einsatz kommt, wie es die Mutterschaftsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) vorsieht, sondern bereits zur Routine­untersuchung in der Schwangerschaft geworden ist.“

Zudem deuteten Daten darauf hin, dass seit der NIPT-Kassenzulassung risikoreichere invasive Untersuchun­gen, wie die Amniozentese, zur Abklärung eines positiven Befunds zugenommen hätten, sagte heute Silke Koppermann, Frauenärztin und Sprecherin des Netzwerks gegen Selektion durch Pränataldiagnostik.

Das eigentliche Ziel, diese zu reduzieren, werde nicht erreicht. Ferner regele der G-BA weder in den Mutter­schaftsrichtlinien noch in der „Versicherteninformation Bluttest auf Trisomien/Der nicht invasive Pränataltest (NIPT)“ ausreichend klar, wann ein NIPT zur Anwendung kommen sollte, kritisierte sie. „Durch die unklare Be­schreibung wird der Test zum Screening.“

Dieser Ansicht ist auch Arne Frankenstein, Landesbehindertenbeauftragter der Hansestadt Bremen. „Die Kassenzulassung war ein Fehler“, sagte er heute mit Verweis auf Untersuchungen der Initiative „Bremer Weg“. Seit 2022 sei die Zahl der Inanspruchnahmen der NIPT in Bremen deutlich gestiegen.

Jetzt müsse eine systematische Auswertung zeigen, ob dies flächendeckend in Deutschland der Fall sei. Des­halb habe das Land Bremen nach einem interfraktionellen Antrag der Bremischen Bürgerschaft im vergange­nen Jahr im Bundesrat einen Antrag eingebracht, nach dem die Folgen der Kassenzulassung bundesweit er­hoben und ausgewertet werden sollen.

Der Bundesratsantrag wurde im Juni vergangenen Jahres angenommen und dient jetzt als Vorlage für den interfraktionellen Antrag, mit dem die Abgeordneten die Bundesregierung auffordern wollen, ein Monitoring zu den Folgen der Kassenzulassung des NIPT zu veranlassen und ein Expertengremium einzurichten, das die ethischen, rechtlichen und gesundheitspolitischen Grundlagen der Zulassung prüfen soll.

Konkret sollen zeitnah belastbare Daten der in der Mutterschaftsrichtlinie geforderten ausführlichen medizi­ni­schen Beratung Schwangerer vor und nach der Inanspruchnahme eines NIPT erhoben werden sowie Daten zu Bedarfen und Angeboten nicht medizinischer Beratungsangebote und zur Qualität ihrer Vernetzung.

Evaluiert werden soll zudem die Inanspruchnahme des NIPT sowie deren Gründe, die Inanspruchnahme einer anschließenden invasiven Abklärung und die Entwicklung der Geburtenrate von Kindern mit Trisomie 21.

Die Gründe, warum sich die Mitglieder der interfraktionellen Gruppe Pränataldiagnostik, die sich im Juli 2022 konstituierte, für diesen Antrag einsetzen, sind im Detail leicht unterschiedlich. Alle eint jedoch die Überzeu­gung, dass die vorgeburtliche Untersuchung auf die Trisomien 13, 18 und 21 nicht zur Routine in der Schwan­gerschaft werden darf. Nach Auffassung der Gruppe widersprechen der Trisomienbluttest und selektive Präna­taldiagnostik grundsätzlich der Idee einer inklusiven Gesellschaft und Artikel 8 der UN-Behindertenrechts­konvention.

„Zum einen geht es uns darum, zu verhindern, dass der NIPT zu einer Routineuntersuchung wird, nur weil er Kassenleistung geworden ist“, sagte der Arzt Stephan Pilsinger (CDU/CSU) heute. Eine solche Tendenz erlebe er im Gespräch mit Schwangeren in seiner hausärztlichen Praxis.

„Zum anderen – und das geht über den An­trag hier hinaus – sollten wir in Zukunft neuartige Pränataltests gesetzgeberisch verbieten, die irgendwelche Indizien für angebliche spätere Erkrankungen des Ungeborenen liefern können sollen.“ Diese Form der Vorabselektion von vielleicht nicht perfekten Menschen sei für ihn unethisch und untergrabe das Recht auf Nichtwissen.

Hubert Hüppe (CDU/CSU) betonte, dass er generell Schwierigkeiten mit der Zulassung der Tests hätte, nicht nur mit der Kassenfinanzierung. „Ich kenne Menschen mit Down-Syndrom. Deswegen kann ich nicht akzeptie­ren, dass es einen Test gibt, der keinem therapeutischen Ziel dient.“ Die häufigste Konsequenz eines positiven Testergebnisses sei nämlich eine Abtreibung.

„NIPT bergen die Gefahr falsch-positiver Ergebnisse, insbesondere bei jüngeren Schwangeren, was zu unnö­tigen Sorgen und möglicherweise vorschnellen Entscheidungen führen kann. Wir wollen, dass werdende Mütter und Eltern die Unterstützung und umfassende Informationen erhalten, die in dieser besonderen Phase des Lebens benötigt wird“, erläuterte Stefan Schwartze (SPD).

Ethische Begleitung ist auch für Jens Beeck (FDP) das A und O: Es gehe grundsätzlich um Inklusion in unserer Gesellschaft. „Wir brauchen eine Gesellschaft, die jeden annimmt, wie er ist“, sagte er heute.

„Kinder mit Down-Syndrom sind keine Menschen zweiter Klasse“, betonte auch Dagmar Schmidt (SPD). Es gelte über die nach wie vor bestehenden Vorurteile, insbesondere bei Trisomie 21, aufzuklären und deutlich zu machen, dass die Lebensrealität von Familien mit Kindern mit Down-Syndrom ebenso erfüllend ist. In dieser Hinsicht fühlten sich viele Eltern von der Gesellschaft alleingelassen, ergänze Kathrin Vogler von der Gruppe Die Linke.

Nach der heutigen Bundestagsdebatte will sich die interfraktionelle Gruppe Pränataldiagnostik übermorgen mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Jürgen Dusel, treffen, um über die inhaltliche Ausgestaltung der beiden Forderungen zu sprechen.

ER

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