Politik

Bericht zu vernachlässigten Tropenkrankheiten: Deutscher Forschungsbeitrag ausbaufähig

  • Freitag, 28. Juni 2024
/picture alliance, mylene Zizzo, Wostok Press
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Berlin – Trotz verstärkter Forschung zu vernachlässigten Tropenkrankheiten (Neglected Tropical Diseases, NTDs) in den vergangenen Jahren gehört Deutschland einer Untersuchung zufolge bisher nicht zur Weltspitze. Die Steigerung der deutschen Forschungstätigkeit liege unter dem Durchschnitt der zehn produktivsten Länder der Welt, geht aus einem Bericht hervor, der unter Federführung des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin (BNITM) erarbeitet wurde. Dieser ist gestern Abend in Berlin vorgestellt worden.

„Wir glauben, dass mehr Einsatz erforderlich ist, um die Ziele der nachhaltigen Entwicklung und die Kontrolle, Eliminierung und Ausrottung der NTDs zu erreichen“, sagte der BNITM-Vorstandsvorsitzende Jürgen May. Mehr Aufmerksamkeit für die Rolle von NTDs sei nötig, ihre Rolle für die Entstehung von Epidemien sei zu beachten.

Es sei entscheidend, gerade jetzt die Aufmerksamkeit für diese permanente Gesundheitsbedrohung aufrechtzu­er­halten, heißt es in der Untersuchung. Demnach ist auch der finanzielle Beitrag Deutschlands im Vergleich zu anderen Ländern „moderat“.

Zu den NTDs gehören bisher 21 Krankheiten, die hauptsächlich benachteiligte Gruppen in ärmeren Ländern betreffen – laut Untersuchung insgesamt eine Milliarde Menschen. 200.000 Menschen stürben jährlich an NTDs als Primärursache, sagte May. Er beschrieb einen häufigen Teufelskreis aus Armut und Krankheit.

Beispiele sind etwa die Chagas-Krankheit, Bandwurmerkrankungen und das Dengue-Fieber, aber auch Vergiftun­gen durch Schlangenbisse, Tollwut und Lepra. Die Erhebung enthält Einzeldarstellungen zu den NTDs, etwa zu Verbreitung, Epidemiologie und auch Bedarfsanalyse.

Angestrebt wird, die weltweite Verbreitung der NTDs bis 2030 zu beenden. Bisher gelten Anreize zur Förderung von Forschung und Produktentwicklung aber als rar, obwohl so viele Menschen betroffen sind. Hervorgerufen werden diese Krankheiten durch Bakterien, Viren, Parasiten oder Toxine.

Die Arbeit wurde von einer Gruppe aus rund 30 Fachleuten von 16 deutschen Forschungseinrichtungen und Organisationen zusammengestellt. Eine erste Ausgabe der NTD-Expertise hatte es 2018 gegeben.

Mehr Publikationen zum Thema aus Deutschland

Eines der Hauptergebnisse der Untersuchung ist, dass deutsche Forschungseinrichtungen entsprechend dem weltweiten Trend zwischen 2018 und 2022 die Zahl ihrer Veröffentlichungen zu NTD erhöht haben: um 8,5 Pro­zent im Vergleich zum Zeitraum 2013 bis 2017. Bei den zehn produktivsten Ländern ist allerdings ein durch­schnittlicher Anstieg von zwölf Prozent verzeichnet worden.

Insgesamt wurden die wissenschaftlichen Veröffentlichungen mit einem höheren Impact Factor veröffentlicht als im Zeitraum 2013 bis 2017, wie May sagte.

Im Vergleich zur Ausgabe von 2018 zeige sich ein stärkerer Beitrag deutscher Forschungseinrichtungen bei klinischen Studien und Patenten: 25 Patente werden für den untersuchten Zeitraum für Deutschland verzeichnet, damit sei es das führende Land bei der Umsetzung von Forschung in Patente innerhalb der europäischen Union, geht aus dem Bericht hervor.

Nach einem Peak 2019 sei 2022 eine Abnahme der Publikationen verzeichnet worden, sagte May. Das könne vielleicht mit der Coronapandemie und der Konzentration vieler Forschender auf SARS-CoV-2 zu erklären sein. Das betreffe insbesondere Open-Access-Publikationen. Der leichte Zugang zu Informationen ist für Fachleute in den von den NTDs betroffenen Ländern besonders wichtig.

Bislang schwieriger Überblick über Förderbeträge

Die Finanzierung von Forschung zu vernachlässigten Tropenkrankheiten ist der Arbeit zufolge aus mehreren Gründen schwer genau zu messen. „Wir empfehlen in Deutschland eine strukturiertere Datenbank für alle Aspekte der NTDs-Förderung einzurichten“, heißt es.

In der Arbeit wird von schwankenden Fördersummen für die deutsche NTD-Forschung ausgegangen. Das Niveau lag in den Jahren 2018 und 2019 bei zwischen zwölf und 13 Millionen Euro. Auf einen Rückgang im ersten Pan­demiejahr 2020 (11,6 Millionen) sei ein sprunghafter Anstieg auf mehr als 20 Millionen gefolgt, der aber auf eine außerordentliche Fördersumme von acht Millionen Euro für ein größeres Projekt zurückzuführen sei. 2022 weise dagegen den niedrigsten Wert seit fünf Jahren auf: 9,6 Millionen Euro.

Bisher profitiere die Forschung zum Thema in hohem Maße von öffentlichen Geldgebern, auf nationaler wie internationaler Ebene. Das berge auch Risiken und könne Abhängigkeiten bedeuten.

In Deutschland sind es der Analyse zufolge vor allem Universitäten und spezialisierte außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, die zu NTD publizieren. Eigenverantwortung und Gleichberechtigung der Partner in den betroffenen Ländern sei zu beachten, betonte May.

Deutschland bekennt sich zu Engagement gegen NTDs

Deutschland war Anfang 2022 der Kigali-Deklaration gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten beigetreten. Mit abgestimmten Maßnahmen wie dem Aufbau von Laborkapazitäten sollen dadurch die Gesundheitssysteme in betroffenen Ländern bis 2030 so ausgebaut werden, dass diese Krankheiten zurückgedrängt werden. Beitreten können betroffene tropische Staaten, aber auch andere Akteure wie Unterstützer, Nichtregierungsorganisationen oder Unternehmen.

Über den Beitritt sei man sehr froh gewesen, sagte May. Zu den wichtigen Aktivitäten gehöre es, substanzielle Finanzierung zu identifizieren und zur Verfügung zu stellen. An das Commitment müsse man die Geldgeber bei Veranstaltungen wie der Studienvorstellung, aber auch generell, immer wieder erinnern.

Was die Forschung erschwert

Unter anderem über die Gründe für die bisherige Rolle der deutschen NTDs-Forschung diskutierten bei der Veranstaltung mehrere Fachleute. Beate Kampmann, Direktorin des Instituts für Internationale Gesundheit der Charité in Berlin, sagte, dass es neben der Menge des Fundings auch an den Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen liege. Sie selbst hatte lange unter anderem am Imperial College London und der London School of Hygiene and Tropical Medicine gearbeitet, bevor sie 2023 nach Deutschland zurückkehrte.

In England gebe es, auch vor dem Hintergrund der Kolonialzeit, noch viele etablierte Strukturen, in denen Part­nerschaften auf Augenhöhe in anderer Form umgesetzt werden könnten, sagte Kampmann. Deutsche Kollegen würden international zwar nach wie vor als solide Partner gelten, aber es werde häufig die Bürokratie be­mängelt. Forschungsgelder könnten auch nicht ohne Weiteres an die afrikanischen Partner weitergeleitet werden, was in England anders sei.

Für einen Bürokratieabbau plädierte auch Achim Hörauf, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Parasitologie am Universitätsklinikum Bonn: Es sei wichtig zu überlegen, welche juristischen Fußangeln herausgenommen werden könnten. Teils mache man es sich in Deutschland zu schwer. Hörauf be­tonte, man müsse auch aufpassen, dass Experten mangels kontinuierlicher Förderung nicht ins Ausland ab­wanderten.

Die Fachleute betonten zudem, dass es Nachholbedarf dabei gebe, Partner aus afrikanischen Staaten als Autoren in Papern einzubeziehen. Bisher hänge der Erfolg von Studien ungerechterweise auch von den Affiliationen der Autoren ab, das sei ein grundsätzliches Problem, sagte May. Das Thema Autorschaft sei eine der Hauptfrustratio­nen der afrikanischen Partner, ergänzte Kampmann. Manche Journals mit höherem Impact Factor hätten das Problem aber bereits erkannt.

ggr

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