Politik

Bundestag berät über mögliche Neuregelung der Suizidhilfe

  • Mittwoch, 21. April 2021
/picture alliance, Eibner-Pressefoto
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Berlin – Mit einer zweistündigen Debatte begann der Bundestag heute Beratungen über neue Regeln für die Sterbehilfe. Das Bundesverfassungsgericht hatte vor gut einem Jahr das Verbot der geschäftsmäßi­gen Beihilfe zum Suizid aufgehoben und dabei auf das Grundrecht auf Selbstbestimmung abgehoben – dies macht eine Neuregelung der Sterbehilfe notwendig.

Rund um den Leitgedanken des Grundsatzurteils, wonach das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Aus­druck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst, entspann sich eine etwa zweistündige Debatte mit Beiträgen von 38 Bundestagsabgeordneten.

Erkennbare Einigkeit bestand dabei bezüglich der Notwendigkeit des Ausbaus von entsprechenden Be­ratungsangeboten, der Unterstützung in psychischen Krisen sowie der Palliativ- und Hospizversorgung. Zugleich wurden die verschiedenen Positionen zum Umgang mit der sich aus einer staatlichen Regelung der Suizidhilfe ergebenden Ambivalenz zwischen individueller Selbstbestimmung und dem Schutz des Lebens deutlich.

Bislang liegen bereits mehrere Vorschläge zur möglichen Regelung der Suizidhilfe vor, die jeweils von Abgeordneten verschiedener Fraktionen getragen werden. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) legte zudem einen eigenen „Diskussionsentwurf“ vor.

Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter Jens Spahn (CDU) erinnerte angesichts des bestehenden „ethischen Dilem­mas“ an die Fürsorgepflichten des Staates. Bei der Regelung der Sterbehilfe gelte es nun, das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu beachten und Beratungsangebote sowie Rechtssicherheit zu schaffen. Dabei müssten aus seiner Sicht die Hürden möglichst hoch gelassen werden, um jedweden „sanften Druck“ in Richtung Suizid zu unterbinden.

Ein Recht auf Sterben dürfe es nicht nur auf dem Papier geben, betonte die FDP-Bundestagsabgeordnete Katrin Helling-Plahr. Deshalb müsse es noch in dieser Legislaturperiode ein entsprechendes Gesetz ge­ben. Dies müsse verfassungsrechtlich sauber gestaltet werden, eine bevormundungsfreie Beratung ent­hal­ten sowie klarstellen, dass Hilfe in bestimmten Situationen erlaubt sei. Einen gegen die eigene Au­tonomie gerichteten Lebensschutz dürfe es nicht geben.

Ansgar Heveling (CDU) verwies darauf, dass nach seiner Auffassung das Grundgesetz eine „Verfassung für das Leben, nicht für den Tod“ sei. Dies müsse sich in den kommenden Regelungen widerspiegeln. Der frühere Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) verlieh seinem Bedauern über das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes Ausdruck. Nun müsse man die drohende Problematik einer „Gewöhnung an Selbsttötung“ auflösen – dies solle unter anderem mit einem auch im Strafrecht verankerten Schutzkon­zept erfolgen.

Das Bundesverfassungsgericht habe den Menschen in jeder Lebenslage das Recht auf die eigene und freie Entscheidung bezüglich des eigenen Todes zugestanden, betonte Renate Künast (Grüne). Man müsse deshalb einen „rechtlich klaren Weg“ eröffnen, um den Zugang zu Hilfen und auch tödlichen Präparaten zu Suizidzwecken „zumutbar“ zu gestalten. Es gelte, die individuellen Persönlichkeitsrechte umsetzbar zu machen und zugleich klare Regeln für eine Suizidbegleitung aufzustellen.

Vorschlag 1

Eine Gruppe um den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach und Helling-Plahr hat den Entwurf für ein „Gesetz zur Regelung der Suizidhilfe“ vorgelegt. Dieser formuliert „Voraussetzungen, damit sich Men­schen zukünftig einer Begleitung bis zum Lebensende sicher sein können und auch Zugang zu Medika­men­ten zur Selbsttötung erhalten“, wie es im Text heißt. Grundvoraussetzung ist ein „autonom gebilde­ter, freier Wille“ des Sterbewilligen. Der Entschluss zur Selbsttötung muss ohne unzulässige Einflussnah­me oder Druck gebildet worden sein.

Ein suizidwilliger Mensch muss beraten und dabei auch über Handlungsalternativen aufgeklärt werden. Die Länder müssen ein ausreichend plurales Angebot an wohnortnahen Beratungsstellen sicherstellen. Ein Arzt darf bei Erfüllung der Voraussetzungen ein Arzneimittel zum Zwecke der Selbsttötung verschrei­ben. Er ist verpflichtet, den Betroffenen mündlich und in verständlicher Form über sämtliche Umstände einschließlich Behandlungsmöglichkeiten und Möglichkeiten der Palliativmedizin aufzuklären.

Vorschlag 2

Eine Gruppe um den Abgeordneten Heveling und Gröhe will festlegen, dass die geschäftsmäßige Suizid­hilfe grundsätzlich strafbar sein soll, um die Autonomie der Entscheidung über die Beendigung des ei­genen Lebens vor inneren und äußeren Einwirkungen wirksam zu schützen. Nur unter sehr speziellen Voraussetzungen soll sie nicht unrechtmäßig sein. Dies sei notwendig, um die Umsetzung einer freiver­antwortlichen Suizidentscheidung und die Inanspruchnahme der Hilfe Dritter nicht faktisch unmöglich zu machen.

Um festzustellen, ob ein Suizidentschluss wirklich in freier Verantwortung getroffen wurde, sollen grund­sätzlich mindestens zwei Untersuchungen mit hinreichendem Abstand durch einen Facharzt oder eine Fachärztin für Psychiatrie Vorschrift sein. Auch eine Beratung, die individuelle Hilfeangebote er­öffnet, soll es geben. Eine Suizidhilfe für Minderjährige soll ausgeschlossen sein.

Vorschlag 3

Die Grünen-Abgeordneten Künast und Katja Keul legten einen Entwurf für ein „Gesetz zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben“ vor. Er sieht vor, den Betroffenen einen klaren Zugang zu Betäu­bungsmitteln zu eröffnen, die zur Verwirklichung ihres Suizidwunsches nötig sind. Dabei wird unter­schie­den, ob diese ihren Tod wegen einer schweren Krankheit oder aus anderen Gründen anstreben.

Im ersteren Fall soll den Ärzten eine entscheidende Rolle bei der Prüfung zukommen, ob das Hilfsmittel zur Verfügung gestellt wird. Im letzteren Fall soll es höhere Anforderungen geben, etwa eine Dokumen­tation der Dauerhaftigkeit eines selbstbestimmten Entschlusses zum Suizid.

Sterbewillige sollen ihren Sterbewunsch in einer schriftlichen Erklärung bekunden. Der Suizid muss vom Sterbewilligen selbst vollzogen werden. Er kann sich dabei von Ärzten sowie von Dritten begleiten und unterstützen zu lassen.

Sterbewillige müssen sich von einer zugelassenen privaten unabhängigen Stelle mindesten zwei Mal beraten lassen. Das Beratungsgespräch soll das Ziel verfolgen, dass den Sterbewilligen alle Umstände und Hilfsangebote bekannt werden, die ihre Entscheidung ändern könnten.

Diskussionsentwurf des BMG

Ziel des Entwurfs aus dem Hause des Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ters ist es, das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen als auch sein Leben zu schützen und sicherzustellen, dass eine zur Selbsttötung ent­schlos­se­­ne Person ihren Entschluss selbstbestimmt getroffen hat und nicht nur eine vorrübergehende Lebenskrise oder eine psychische Erkrankung vorliegt. Zudem soll einer gesellschaftlichen Normalisie­rung der Hilfe zur Selbsttötung entgegengewirkt werden.

Gelingen soll dies durch ein „abgestuf­tes Schutzkonzept“. Kern der Neuregelung soll zwar grundsätzlich ein strafrechtliches Verbot der Hilfe zur Selbsttötung sein. Gleichzeitig soll jedoch Hilfe zum Suizid aus­nahmsweise straflos sein, wenn das abgestufte Schutzkonzept eingehalten wird. Dieses soll Betroffene davor schützen, dass ein Entschluss zur Selbsttötung von außen gefördert wird.

dpa/aha

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