Bundestag beschließt Krankenhausreform

Berlin – Der Bundestag hat die Krankenhausreform heute in zweiter und dritter Lesung beschlossen. 373 Abgeordnete stimmten in namentlicher Abstimmung für das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG). Dagegen stimmten 285 Abgeordnete. Es gab eine Enthaltung.
Neben der Abstimmung zum KHVVG gab es noch Anträge der AfD, der BSW und der Union zur Krankenhauspolitik. Alle Anträge wurden heute abgelehnt.
Die hitzige Debatte zeigte heute auf, um wie viel es geht. Den Ampelfraktionen zufolge wird das KHVVG zu einer bessere Krankenhausversorgung führen. Die Opposition warnte vor weiteren Krankenhausschließungen und unabsehbaren Folgen für den stationären Sektor.
Zu Gast im Bundestag waren zudem der Gesundheitsminister aus Nordrhein-Westfalen, Karl-Josef Laumann (CDU), und die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU). Der heutige Beschluss sorgte zudem für Lob aber auch viel Kritik.
Die Krankenhausreform sieht 65 Leistungsgruppen vor, die künftig bundeseinheitlich Strukturvorgaben zu Personal und technischer Ausstattung definieren sollen. Eine Vorhaltevergütung soll künftig 60 Prozent der bisherigen diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRG) ausmachen.
Zudem sind sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen vorgesehen, die die wohnortnahe Versorgung sicherstellen sollen. Mit diesen Maßnahmen soll eine Zentralisierung und Spezialisierung von Kliniken angestrebt werden, um die Qualität der Patientenversorgung zu verbessern.
„Nach zweieinhalb Jahren Beratung stimmen wir heute über ein wichtiges Gesetz ab“, erklärte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) heute im Bundestag. Der Krankenhaussektor befinde sich in einer Krise, betonte er. Trotz der teuersten Krankenhausversorgung in Europa, gebe es nur noch mittelmäßige Qualität bei vielen Behandlungen, insbesondere bei der Behandlung von Krebs.
Über-, Unter- und Fehlversorgung in Deutschlands Kliniken
In Deutschland gebe es parallel Über-, Unter- und Fehlversorgung, bemängelte Lauterbach weiter. Insbesondere in der Geburtshilfe, in der Kinderheilkunde und in der Schlaganfallversorgung bestünde im Krankenhausbereich eine Unterversorgung. Teilweise brauche es 50 Minuten, bis eine Person mit Schlaganfall in der richtigen Struktur versorgt werde, kritisierte Lauterbach.
Vor allem bei der Behandlung von Krebs bestehe zudem Fehlversorgung. So würden etwa 85 Kliniken in und um Köln Darmkrebs behandeln. Viele seien allerdings nicht spezialisiert, sagte Lauterbach. „Kein Arzt würde sich in einer solchen Klinik selbst behandeln lassen.“
Ziel der Reform sei, dass jeder Standort so gut werde, dass sich auch Ärztinnen und Ärzte dort behandeln ließen, sagte Lauterbach. Die Reform werde auch von vielen medizinischen Fachgesellschaften sowie dem Verband der Unikliniken unterstützt.
Weiter sei die Kliniklandschaft in Deutschland auch von einer Überversorgung gekennzeichnet. So gebe es etwa bei der Versorgung mit Knieprothesen Lauterbach zufolge zu viele Kliniken. Manche Menschen werden von den Kliniken als sogenannte „Cash Cow“ gesehen, die eine Prothese hauptsächlich deshalb erhielten, weil es für die Kliniken ein lukrativer Eingriff sei.
Dieses Vorgehen könne nicht richtig sein, monierte Lauterbach. Krankenhäuser müssten auch ohne diese Anreize überleben können. Für die Sicherung von kleinen Kliniken auf dem Land seien zudem etwa zusätzliche Zuschläge vorgesehen, so Lauterbach weiter.
Auch die Umstellung weg von den Fallpauschalen hin zu einer Vorhaltefinanzierung von 60 Prozent könne das Nebeneinander von Über- , Unter- und Fehlversorgung beseitigen, erklärte Lauterbach. Die Länder könnten mit den neuen Möglichkeiten zusätzliche Kapazitäten aufbauen oder überflüssige abbauen und so dem „Wildwuchs“ etwas entgegensetzen. Er machte deutlich: „Wir haben zu viele Krankenhäuser, das ist einfach so.“ Deutschland habe ein paar 100 Kliniken zu viel, so Lauterbach.
Anrufung des Vermittlungsausschusses könnte Kliniken gefährden
Lauterbach verdeutlichte in Richtung der Gäste auf der Länderbank: „Wenn wir die Reform nicht beschließen oder die Länder sie im Deutschen Bundesrat blockieren, werden Häuser aus der Versorgung ausscheiden, die gute Qualität anbieten.“
Unterstützung gab es von den Ampelfraktionen. Der SPD-Abgeordnete und Berichterstatter für Krankenhauspolitik, Christos Pantazis, erklärte, die neuen geplanten Leistungsgruppen schafften klare Strukturvorgaben. Damit könne man Leben retten und unnötige medizinische Verfahren vermeiden.
Auch Armin Grau, Berichterstatter für Krankenhauspolitik bei den Grünen, unterstützte Lauterbach. Die Krise, die Lauterbach skizziert habe, sei deshalb entstanden, weil Vorgängerregierungen es verpasst hätten, rechtzeitig Reformen durchzuführen, erklärte Grau.
Diese Reform werde deshalb in „größtem Tempo“ nachgeholt. Er nannte das geplante Vorhaltebudget einen „Paradigmenwechsel“ und kündigte an, dass die geplanten Leistungsgruppen künftig weiterentwickelt werden sollen. „Es ist ein lernendes System“.
Grau wehrte sich zudem gegen Vorwürfe aus der Opposition: „Oft wird so getan, als wäre die Reform ein wild gewordener Rasenmäher, der die Kliniklandschaft umpflügt.“ Das Gegenteil sei der Fall. So sei im parlamentarischen Verfahren etwa eine schnellere Auszahlung der Vorhaltebudgets für die Kliniken vereinbart worden, erklärte Grau. Diese würden fallzahlunabhängig ausgezahlt werden, sofern sich die Patientenzahl nicht um mehr als 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr unterscheide.
Für sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen werde eine Grundversorgung mit tagesgleichen Pflegesätzen gewährleistet, sagte Grau weiter. Und: Sicherstellungshäuser dürften künftig dauerhaft von den geplanten Vorgaben der Leistungsgruppen abweichen und erhielten höhere Zuschläge.
Investitionsstau der Länder
Schuld an der Misere der Krankenhäuser sind der FDP-Abgeordneten Christine Aschenberg-Dugnus zufolge vor allem die Bundesländer. Es habe sich ein Investitionsstau von 30 Milliarden in den Bundesländern aufgetürmt, erklärte sie heute.
„Deswegen stehen wir vor einem unkontrollierten Krankenhaussterben.“ Die Krankenhausreform mache Schluss „mit dem Hamsterrad der Fallpauschalen“. Weiter sorge die Krankenhausreform für reduzierte Bürokratie, so Aschenberg-Dugnus. „Das sollte im Sinne von uns allen sein.“
Der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen, Janosch Dahmen, ergänzte zudem, man habe im parlamentarischen Verfahren das Gesetz mit mehr als 50 Änderungsanträgen nochmal angepasst. „Wir haben Kritik ernst und gute Anregungen aufgenommen.“
So seien etwa aus der Union auch gute Vorschläge etwa zum Ausbau hebammengeleiteter Kreißsäle oder der Stärkung von Bundeswehrkrankenhäusern gekommen, sagte Dahmen. Gleichzeitig habe man sich an die Vereinbarung mit den Ländern und den Eckpunkten gehalten, die Bund und Länder im Sommer 2023 gemeinsam zur Krankenhausreform verfasst hatten.
Deutliche Kritik gab es von der Opposition. So argumentierte vor allem die CDU/CSU-Fraktionen, dass man die Reform „im Blindflug“ beschließe. Hintergrund sei die mangelnde Auswirkungsanalyse, die Lauterbach den Abgeordneten vor dem Beschluss versprochen habe. Gestern im Gesundheitsausschuss hatte Lauterbach offenbar das geplante Simulationsmodell, dass den Ländern zur Verfügung gestellt werden soll, vorgestellt.
Für die Opposition war dies jedoch unzureichend. Es sei eine „Frechheit“, dass die Regierungsfraktionen das Tool bereits Wochen zuvor vorgestellt bekommen habe, kritisierte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Tino Sorge.
Auswirkungsanalyse liegt zu spät vor
Mit dem Simulationstool können die Länder die Auswirkungen der Reform auf ihr Bundesland einsehen und mit der Zuordnung der Leistungsgruppen zu Krankenhausstandorten experimentieren und verschiedene Szenarien ausprobieren. Auch die Auswirkung der geplante Finanzierungsänderung kann mit dem Instrument analysiert werden.
Auch der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann kritisierte die Reihenfolge. Zunächst werde das Gesetz beschlossen und dann die Auswirkungsanalyse vorgelegt. „Das wäre so, wie wenn man mit dem Taxi zum Stammtisch und auf dem Rückweg selbst fahren würde“, sagte Laumann.
Im Moment habe er die Daten vom Bund dafür noch nicht erhalten. Er kündigte aber an, dass NRW in der Lage sei, in kurzer Zeit für jedes Krankenhaus auszurechnen in Euro und Cent, was die Reform bedeuten würde.
Janosch Dahmen erklärte hingegen, die Länder würden Zugang zu diesem Instrument in der kommenden Woche erhalten. Auch Grau betonte, dass die Länder mit der Reform alle Freiheiten hätten, ihre Krankenhausplanung so zu gestalten, wie sie es wünschen würden. Damit hätten die Länder auch die Auswirkungen der Reform in der Hand.
Die Länder seien zudem selbst daran schuld, dass es so lange dauere, bis sie Zugang zu dem Instrument bekommen, erklärte auch der SPD-Abgeordnete und Berichterstatter für Krankenhauspolitik, Christos Pantazis.
Denn durch ihre Blockade des Krankenhaustransparenzgesetzes Ende 2023 hätten die Länder die Beauftragung der Erstellung des Groupers verzögert. Dieser Grouper ist sozusagen die Grundlage für die Zuordnung aller stationärer Fälle zu den geplanten, neuen Leistungsgruppen. Er wird vom Institut für das Entgeltwesen im Krankenhaus (InEK) entwickelt.
Lauterbach begehe Wortbruch
NRW-Minister Laumann warf Lauterbach in seiner Rede zudem „Wortbruch“ vor. Lauterbach hatte zunächst im engen Austausch mit den Ländern ein zustimmungspflichtiges Gesetz versprochen.
Nachdem die Länder den ersten Baustein der Reform, das Krankenhaustransparenzgesetz, Ende 2023 im Bundesrat blockiert hatten, änderte Lauterbach aber das Vorhaben und gestaltete das KHVVG als zustimmungsfreies Gesetz.
Damit müssen die Länder im Bundesrat nicht mehr aktiv zustimmen, stattdessen können sie aber den Vermittlungsausschuss anrufen. Dieses Vorgehen hatten die Länder in der Vergangenheit immer wieder kritisiert.
Zudem habe der Bund das Planungsrecht im Laufe des Gesetzgebungsverfahren beschnitten und stärkere Qualitätsvorgaben vorgegeben, bemängelte Laumann. Er wolle das Gesetz nicht stoppen, aber er wolle ein Gesetz, in dem Landesplanung und Finanzierung zusammenpassen würden.
„Deswegen fände ich es eine gute Sache, wenn wir im Vermittlungsausschuss darüber sprechen und es noch besser machen würden“, so Laumann. Bereits in einem kürzlich versandten Brief an seine Länderkolleginnen und -kollegen hatte er neben weiteren fünf Bundesländern verkündet, den Vermittlungsausschuss im Bundesrat anrufen zu wollen.
Auch seine Länderkollegin Judith Gerlach (CSU), nannte das KHVVG kritisch die „euphemistische Beschreibung eines politischen Blindfluges“. Das Gesetz werde zu inakzeptablen Verwerfungen der Krankenhausversorgung führen, betonte sie. Zentrale Forderungen der Bundesländer seien nicht aufgegriffen worden, kritisierte Gerlach.
Zwar habe die Ampelfraktionen einige Forderungen der Länder untergebracht, beispielsweise die Möglichkeit, dass Kliniken künftig ohne wettbewerbsrechtliche Prüfung fusionieren dürften. Das ändere aber nichts an der Tatsache, dass eine Schablone des Bundes über alle Bundesländer gelegt, nicht funktioniere. Die Reform gebe zu starre Vorgaben vor, die keine Rücksicht auf die Versorgung nehmen würde, kritisierte Gerlach.
Keine Übergangsfinanzierung vorgesehen
Der CDU-Abgeordnete Sorge bemängelte zudem, dass die Krankenhausreform ohne Übergangsfinanzierung für die Kliniken geplant sei. Die Häuser in der Fläche würden mit der Reform nicht gestützt, sondern deren Lage noch verschlechtert werden, befürchtet er.
„Die Reform soll auch deshalb im Schweinsgalopp durch das Parlament, weil Sie nicht wissen, ob Ihre Koalition morgen noch im Amt ist“, rief Sorge zudem in Richtung Lauterbach und spielt damit auf die Unstimmigkeiten und Konflikte innerhalb der Ampelregierung der vergangenen Monate an.
Deutliche Kritik kam auch von der Gruppe die Linke. „Bis gestern hat die Regierung dem Sterben der Krankenhäuser zugesehen, ab jetzt zerstört sie die Krankenhauslandschaft nach Plan“, sagte der Abgeordnete Ates Gürpinar.
Mit dem „fallabhängigen Bürokratiemonster, das durchökonomisiert ist“, werde die Krankenhausversorgung nicht verbessert, sondern verschlechtert, warnte er. Die Linke schlage statt der vorgesehen „profitorientierte Finanzierung“ eine „selbstkostendeckende Finanzierung“ wie bei der Feuerwehr vor. Beschäftigte müssten zudem ent- statt belastet werden, forderte Gürpinar.
Die AfD befürchtet ebenfalls, dass die Krankenhausreform zu „weiterem Krankenhaussterben“ beitragen werde. Das erklärte die Abgeordnete Christina Baum. Die AfD fordere schon lange die Abschaffung des DRG-Systems, um dem finanziellen Druck entgegenzuwirken, so Baum. Zudem forderte die AfD-Politikerin die Bundesregierung auf, Steuermittel für die Krankenhausreform aufzuwenden. „Gesundheitsversorgung ist Daseinsfürsorge und damit die Aufgabe des Staates“, erklärte sie.
Zu hohe Kosten für gesetzlich Versicherte
Auch die Gruppe BSW argumentierte ähnlich. Das KHVVG werde den kalten Strukturwandel nicht beseitigen, sondern beschleunigen, sagte der Abgeordnete Andrej Hunko. Er kritisierte zudem schwammige Aussagen zur geplanten Beteiligung der privaten Krankenversicherung beim Transformationsfonds. „Sie greifen damit erneut tief in die Taschen der gesetzlich Versicherten“, warf Hunko der Ampelregierung vor.
Es sei mit weiteren Beitragserhöhungen der Krankenkassen zu rechnen. Hunko spielt auf die geplante Finanzierung des Transformationsfonds an. Bund und Länder sollen für entsprechende Umstrukturierungen von Kliniken im Zeitraum von 2026 bis 2035 jeweils 25 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Die Bundesmittel sollen aus dem Gesundheitsfonds kommen, der wiederum hauptsächlich von Beiträgen gesetzlich Versicherter gespeist wird. Dieses Vorhaben ist umstritten.
Voraussichtlich am 22. November wird sich der Bundesrat mit dem Gesetz beschäftigen. Möglich ist, dass dieser den Vermittlungsausschuss - ein Gremium mit 16 Ländervertreterinnen und -vertretern sowie 16 Bundestagsabgeordneten - anruft. Dieser Ausschuss könnte eine mögliche Einigung verhandeln. Sechs Länder haben bereits angekündigt, den Ausschuss anrufen zu wollen.
Lauterbach hatte immer wieder betont, das KHVVG solle zum 1. Januar 2025 in Kraft treten. Dieser Zeitplan ist aber nur zu halten, wenn der Bundesrat das Gesetz durchwinkt. Sollte es zu einem Verfahren im Vermittlungsausschuss kommen, könnte das Inkrafttreten deutlich verzögert werden. Möglich ist damit auch, dass das Gesetz gar nicht in Kraft treten könnte.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: