Politik

Bundestag will weitreichende Änderungen für Krankenhäuser beschließen

  • Mittwoch, 16. Oktober 2024
/picture alliance, Daniel Bockwoldt
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Berlin – Auf die Krankenhäuser in Deutschland kommen große Veränderungen zu. Rund 240 Seiten umfasst der Gesetzentwurf zur Krankenhausreform (Krankenhausversorgungsverbesserungsge­setz (KHVVG)), den der Bun­destag am morgigen Donnerstag verabschieden will. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) spricht von der größten Gesundheitsreform seit 20 Jahren.

Der Gesundheitsausschuss des Bundestags hat heute den Gesetzentwurf und zahlreiche Änderungsanträge be­schlossen. Für die Vorlage votierten die Ampelfraktionen von SPD, Grünen und FDP, die Oppositionsabgeord­ne­ten von Union, AfD, Linke und BSW stimmten gegen den Entwurf.

Ärger gab es allerdings erneut im Gesundheitsausschuss. Tino Sorge, der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, kritisierte, dass die Ampelfraktionen bereits in der Vergangenheit Simulationen zur Auswirkung der Reform gezeigt bekommen hätten. „Das Verhalten des Ministers ist ein feiger Umgang mit der Opposition, der er bei der Reform eine konstruktive Zusammenarbeit zugesagt hatte.“

Offensichtlich unterscheide Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zwischen Abgeordneten erster und zweiter Klasse, sagte der CDU-Politiker. „Dieser Umgang ist eines Bundesministers und einer Regierungskoali­tion unwürdig.“ Bereits vergangene Woche hatte sich Sorge über den Umgang Lauterbachs und der Ampelre­gierung mit der Opposition beschwert.

Aus Regierungskreisen erfuhr das Deutsche Ärzteblatt, dass die Ampelfraktionen in den vergangenen Wochen bei Beratungen zum KHVVG tatsächlich das Simulationstool gezeigt bekommen hatten. Dies sei für die Bera­tung wichtig gewesen. Lauterbach hat heute – auf Wunsch der Opposition – das Simulationstool dem gesamten Gesundheitsausschuss vorgestellt und gezeigt, was damit möglich ist.

Das Instrument soll die Auswirkungen der Reform auf die Klinikstandorte und die vorgesehenen Leistungsgrup­p­en aufzeigen. Das Tool kann etwa die geplanten Personalvorgaben der Leistungsgruppen berechnen. Weiter kann damit auch die Auswirkung der vorgesehenen Vorhaltefinanzierung simuliert werden. Die Bundesländer sollen das Tool vor der Befassung des Gesetzes im Bundesrat an die Hand bekommen, um die Klinikreform für ihre Region zu analysieren.

Es beruht allerdings auf einem nicht zertifizierten Grouper, der alle Krankenhausfälle berücksichtigen und in die geplanten 65 Leistungsgruppen sortieren kann. Der zertifizierte Grouper, entwickelt vom Institut für das Ent­gelt­system im Krankenhaus (InEK), sollte eigentlich im September vorliegen, dies hatte Lauterbach immer wie­der versprochen. Dieser ist für die Umsetzung der Krankenhausreform zwingend notwendig, bislang ist er aber noch nicht fertig.

Änderungen vom Ausschuss bewilligt

Bei den heute vom Ausschuss beschlossenen Änderungen im parlamentarischen Verfahren geht es unter ande­rem um eine künftige ärztliche Perso­nalbemessung im Krankenhaus, die Einbindung von Bundeswehrkranken­häu­sern in die Versorgung und die Qualitäts­anforderungen für hebammengeleitete Kreißsäle in Kranken­häu­sern.

Darüber hinaus sind die Streichung der Stichprobenprüfung und Entbürokratisierung der Einzelfallprüfung bei der Krankenhausabrechnung, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Transformationsfonds ein­schließlich einer Beteiligung der Privaten Krankenversicherung (PKV) und die geplante Evaluation des Gesetzes vorgesehen.

Kernstück der Reform ist eine stärkere medizinische Spezialisierung. Vor allem die kleineren Krankenhäuser sollen künftig weniger Leistungen anbieten und sich auf jene Eingriffe beschränken, die sie gut beherrschen. Patientinnen und Patienten werden künftig also bisweilen längere Wege bis zum nächsten zuständigen Krankenhaus in Kauf nehmen müssen – sollen dafür aber eine bessere Behandlung bekommen.

Die einzelnen Behandlungsarten werden durch das Gesetz in 65 Leistungsgruppen eingeteilt – wie etwa Herz­chirurgie, Leukämie oder Darmtransplantation. Welches Krankenhaus künftig welche Leistungsgruppen anbieten darf, entscheiden die Behörden der Länder. Die Kliniken müssen dafür ein bestimmtes Qualitätsniveau sowie ausreichend Personal nachweisen können. Nur wenn sie diese Kriterien erfüllen, sollen sie für die Behandlung bezahlt werden können.

Die schlechte Finanzlage der Kliniken hatte den Anstoß zu der Reform gegeben. Etwa 30 Prozent der Kliniken schreiben rote Zahlen. Die Reform soll eine „Entökonomisierung“ des Krankenhauswesens bringen, sagte Lau­terbach.

Wichtigste Änderung: Die bisherige Vergütung über diagnosebezogene Fallpauschalen (DRG) soll eingeschränkt werden, weil sie erheb­liche Fehlanreize setzt. Sie kann dazu führen, dass Kliniken Behandlungen ausführen, die medizinisch gar nicht erforderlich sind – nur um diese dann finanziell abrechnen zu können.

Lauterbachs Lösung: Künftig sollen die Kliniken vor allem dafür bezahlt werden, dass sie bestimmte Leistungen anbieten. Dafür erhalten sie eine sogenannte Vorhaltepauschale, die 60 Prozent ihrer Kosten decken soll. Die übrigen 40 Prozent sollen wie bislang über die Fallpauschalen kommen.

Unabhängig von der Vorhaltepauschale sollen die Kliniken für wichtige Kernbereiche zusätzliche Mittel erhal­ten. Das soll etwa für Pädiatrie, Geburtshilfe, Schlaganfallbehandlung, Traumatologie und Intensivmedizin gelten.

Die Reform wird auch dazu führen, dass es Krankenhausfusionen geben wird und Krankenhausstandorte weg­fallen. Für die aktuell 1.719 Krankenhäuser gebe es bereits jetzt nicht genug Personal, viele Kliniken schrieben rote Zahlen und seien von Insolvenz bedroht, argumentiert Lauterbach.

Mit seiner Reform will er das erwartete Kliniksterben begrenzen. „Wenn es am Ende 20 Prozent Krankenhäuser weniger gibt, diese aber bessere Versorgung bieten, dann ist das aus meiner Sicht richtig“, sagte er. Ob das Per­sonal bei dieser Rechnung am Ende mitspielt und Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte auch tatsächlich an die Häuser wechseln, die erhalten bleiben, ist aber völlig offen.

Eine Reihe von Regelungen soll vor allem kleinen Kliniken in ländlichen Regionen helfen: In solchen Häusern sollen Fachärztinnen und -ärzte ihre Leistungen künftig auch ambulant für Patientinnen und Patienten anbieten dürfen. Der mancherorts weite Weg in eine Fachpraxis entfällt damit.

Zudem dürfen so genannte Sicherstellungshäuser in ländlichen Regio­nen, die für die Grundversorgung unver­zichtbar sind, geringfügig von den strengen Qualitätsvorgaben der Leistungsgruppen abweichen. An der Regelung gibt es deutliche Kritik aus der ambulanten Versorgung.

Am Ende steht dann noch die Frage, wie sich die Bundesländer verhalten. Die Bundesregierung hat das Gesetz als nicht zustimmungsbedürftig definiert. Das war im Vorfeld auf Kritik gestoßen, weil die Länder unmittelbar durch das Gesetz betroffen sind. Juristisch ist das umstritten. Die Frage könnte am Ende vor dem Bundesver­fassungsgericht geklärt werden müssen.

Stand jetzt bleibt den Bundesländern die Möglichkeit, den Vermittlungsausschuss anzurufen, wenn sie mit den Plänen des Bundes nicht einverstanden sind. Letztlich könnte die Länderkammer damit auch das Gesetz blockieren oder verzögern. Einige Länder haben heute bereits angekündigt, den Vermittlungsausschuss anrufen zu wollen.

Die Bundesländer sind skeptisch, ob die Reform das befürchtete Kliniksterben im ländlichen Raum abwenden kann. Zudem fürchten sie hohe Kosten. Das Gesetz sieht vor, die Kliniken für die Phase der Reformumsetzung zehn Jahre lang mit einem sogenannten Transformationsfonds im Volumen von 50 Milliarden Euro abzusichern – die Hälfte der Gelder soll von den Ländern kommen.

Die andere Hälfte soll die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) aufbringen. Lauterbach hat zugesagt, zur Finanzierung nun auch die private Krankenversicherung (PKV) hinzuzuziehen. In welchem Umfang und auf welchem gesetzlichen Weg, bleibt aber noch unklar. Auch in diesem Punkt droht eine Klärung vor dem Bun­desverfassungsgericht, denn sowohl PKV als auch GKV sehen sich für diese Art der Krankenhausfinanzierung nicht zuständig.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) verschaffte sich heute noch einmal Luft und ließ kaum ein gutes Haar an den Plänen und dem Vorgehen aus der Regierung. „Die Abgeordneten müssen im Blindflug über eine Reform abstimmen, die die Krankenhauslandschaft massiv umstrukturieren wird“, sagte DKG-Chef Gerald Gaß.

Kein Abgeordneter könne die Folgen dieser Reform insgesamt und für die Patientenversorgung im eigenen Wahlkreis abschätzen. Hintergrund ist eine von Lauterbach seit Monaten versprochene Möglichkeit, die Auswirkungen der Reform analysieren, auswerten und abschätzen zu können.

Dieser Gesetzentwurf und seine Genese seien ein Zeichen für die Missachtung von parlamentarischen Ge­pflo­genheiten und Verfahren, so Gaß. Die Reform sei längst überfällig, aber der vorliegende Entwurf dürfe nicht umgesetzt werden. An wesentlichen Kritikpunkten habe sich nichts getan, stattdessen seien vor wenigen Tagen mehr als 100 Seiten kleinteilige Änderungsanträge nachgeschoben worden.

Die geplante Finanzierungsreform verfehle zudem das Ziel, die wirtschaftliche Lage der Kliniken zu stabilisie­ren. „Seit zwei Jahren stößt die Kritik an dieser Form der Vorhaltefinanzierung auf taube Ohren im Ministerium, obwohl wir schon vor mehr als 18 Monaten ihre negativen Auswirkungen wissenschaftlich analysiert und dem Ministerium übermittelt haben“, so Gaß.

kna/afp/may/cmk

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