Politik

Cannabisfreigabe könnte mehrere Jahre dauern

  • Montag, 3. April 2023
/dpa
/dpa

Berlin – Eine umfassende Freigabe und Regulierung von Cannabis als Genussmittel sind aus Sicht der SPD weiterhin möglich, könnten aber mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Einem Papier des Partievorstands zufolge soll in mehreren Schritten auf eine umfassende Legalisierung hingearbeitet werden – indem eine Phase die Datengrundlage schafft, um die folgende Phase zu begründen.

Die geplante Legalisierung von Cannabis als Genussmittel ist ein hoch komplexes Unterfangen, betonte Bun­des­gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) seit Amtsantritt immer wieder. Aufgrund der massiven Beden­ken in Brüssel könnte das Gesetzesvorhaben nun aber noch komplexer werden als ohnehin geplant.

Denn die SPD hat sich von ihrem ursprünglich geplanten Vorhaben verabschiedet. „Eine umfassende Legalisie­rung ist aus europarechtlichen Gründen offensichtlich kurzfristig nicht umsetzbar“, heißt es in dem Papier, das dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt. Deshalb unterstütze die Partei Lauterbach und die Bundesregierung „bei praktikablen Schritten hin zur Legalisierung“.

Dies könnten demnach Modellprojekte, eine Entkriminalisierung und die Ermöglichung des Eigenanbaus sein. Dadurch könne nicht nur der Schwarzmarkt zurückgedrängt werden. Vielmehr sollen diese Schritte helfen, „eine solide Datengrundlage für Wissenschaft und Gesellschaft“ zu schaffen – also belastbare Argumente für die umfassende Legalisierung zu generieren.

„Diese Erkenntnisse fehlen bislang und sind notwendig, um die Thematik weiterhin mit Fakten zu behandeln und Prävention zu stärken“, schreibt der Parteivorstand. „Unser Ziel bleibt eine auch den Anbau und Vertrieb umfassende, europarechtskonforme Legalisierung.“ Und an anderer Stelle: „Aus unserer Sicht kann die Entkri­minalisierung daher bereits vorzeitig in einem gestuften Prozess im Parlament beschlossen werden.“

Das heißt, aus SPD-Sicht könnte auf eine Entkriminalisierung eine Phase folgen, in der die Auswirkungen eines kontrollierten und regulierten Verkaufs von Cannabis in Modellregionen untersucht werden. Aus der Evaluie­rung dieser Modellprojekte würde dann im Idealfall die nötige Datengrundlage für eine umfassende Freigabe generieren.

Dabei denkt die SPD auch europäisch: Nach der nationalen Entkriminalisierung könnten zusammen mit den sozialdemokratischen Freundinnen und Freunden weitere Schritte auch europäisch oder international umge­setzt werden. Demnach wäre denkbar, nach Entkriminalisierung des Konsums den Versuch zu unternehmen, auf höherer Ebene gemeinsam eine umfassende regulierte Freigabe zu organisieren. Diese Vorgehensweise hatte auch der Rechtswissenschaftler und SPD-Europaabgeordnete René Repasi ins Gespräch gebracht.

Bis es so weit ist, sollen aber über Entkriminalisierung und Ermöglichung des Eigenanbaus hierzulande zu­mindest der Schwarzmarkt geschwächt und so durch die Verringerung des Anteils von Schwarzmarktcannabis mit potenziell schädlichen Beimischungen ein Beitrag zum Gesundheitsschutz geleistet werden.

Zentraler Bestandteil sollen dabei sogenannte Cannabis Social Clubs (CSC) sein, die als genossenschaftlich organisierte Vereine oder Gesellschaften dem gemeinsamen Anbau dienen. So könne Menschen ohne eigene Anbaumöglichkeiten der Zugang zu legalem Cannabis ermöglicht werden.

„Diese Form des gemeinschaftlichen Anbaus soll daher als weitere Maßnahme dienen, den Gesundheitsschutz zu gewährleisten und den Schwarzmarkt zurückzudrängen“, schreiben die Sozialdemokraten.

Gerade einkommensschwache Menschen hätten nämlich meist gar nicht den Raum für ausreichenden Eigen­an­bau. Die CSC seien deshalb „die Antwort auf die soziale und gerechte Frage in der Drogenpolitik“, heißt es im Papier. „Nicht allein Menschen mit hohem Einkommen dürfen Zugang zu legalem Cannabis haben.“

Auch müsse es grundsätzlich möglich sein, eigenständig angebautes Cannabis unter bestimmten Bedingungen auch zu teilen oder zu verschenken. Pro Person sollen bis zu fünf Pflanzen erlaubt sein.

Auch will die SPD offenbar die Tür für Menschen offenhalten, die bereits wegen geringer Cannabisdelikte vor­bestraft sind: Wenn es um eine mögliche Lizenzvergabe zur Produktion oder Vertrieb von legalem Cannabis geht, sollen Straftäter, die mit leichten Vergehen nach dem Betäubungsmittelgesetz verurteilt wurden, nicht pauschal ausgeschlossen werden.

Ein Lizenzsystem ist zum Verkauf von legalem Cannabis nach einer umfassenden Legalisierung also weiterhin vorgesehen. Diese Lizenzen könnten nach den bisherigen Plänen sowohl an Fachgeschäfte als auch an Apo­theken vergeben werden.

Die Pläne sollten nach Ansicht des SPD-Vorstands aber noch weiter gehen: Mittels eines Straffreiheitsgesetzes soll eine Amnestie solle denjenigen zugutekommen, die sich durch Konsum oder andere Taten strafbar ge­macht haben, die nach den geplanten Neuregelungen nicht mehr illegal wären.

Entsprechende laufende Verfahren sollen dann beendet, bereits abgeschlossene Verfahren aufgehoben und einschlägige Einträge aus polizeilichen Führungszeugnissen gestrichen werden.

Der Kinder- und Jugendschutz sowie die allgemeine Suchtprävention sollen dabei höchste Priorität haben. Deshalb begrüße der SPD-Parteivorstand die Idee der Bundesregierung im öffentlichen Raum eine Obergrenze von 25 bis 50 Gramm Cannabis einzuführen.

Anders sieht es bei einer möglichen THC-Obergrenze aus: Die sei zwar aus gesundheitlichen Gründen nach­vollziehbar, dürfe aber nicht dazu führen, dass sie den illegalen Verkauf von Cannabis fördert. „Daher stehen wir Obergrenzen nicht ablehnend aber grundsätzlich kritisch gegenüber“, schreibt der Parteivorstand.

Zwar soll der Konsum grundsätzlich an Orten möglich sein, an denen auch Tabakprodukte konsumiert werden dürfen, allerdings solle es im Sinne des Kinder- und Jugendschutzes Schutzzonen geben, die um sensible Orte wie Schulhöfe, Kindertagesstätten und andere Plätze, an denen sich vermehrt Kinder aufhalten, möglich sein.

Die Steuereinnahmen nach einer erfolgten umfassenden Freigabe sollten demnach vor allem in Sucht- und Präventionsangebote investiert werden, die über die Droge, ihre Wirkungen und einen verantwortungsvollen Konsum aufklären. Es sei klar, „dass junge Menschen Aufklärung auf Augenhöhe benötigen, um einen ver­antwortungsvollen Umgang mit Cannabis zu entwickeln, statt Belehrungen und Verbote, die ihrerseits falsche Anreize schaffen.“

lau

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung