Coronaberatungen: Verschärfte Regeln für Ostern, Lockdown bis Mitte April

Berlin – Bund und Länder greifen im Kampf gegen die Coronapandemie zu schärferen Mitteln: In der kommenden Woche soll das öffentliche Leben in Deutschland für fünf Tage weitgehend heruntergefahren werden.
Während des Oster-Lockdowns vom 1. bis 5. April soll ein generelles „Ansammlungsverbot“ im öffentlichen Raum gelten. Darauf verständigten sich die Spitzen von Bund und Ländern in rund zwölfstündigen Verhandlungen in der Nacht. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von „sehr unkonventionellen Maßnahmen“.
Sofern keine abweichenden Regelungen beschlossen wurden, gelten die bisherigen Vorgaben weiter. Neuerungen sollen die Länder bis zum 29. März in ihre Verordnungen übernehmen, sie gelten bis vorerst zum 18. April.
Mit ihren Beschlüssen vollziehen Merkel und die Ministerpräsidenten eine Kehrtwende. Hatten sie vor drei Wochen noch leichte Lockerungen und einen Öffnungsplan beschlossen, stehen die Zeichen nun ganz klar wieder auf Verschärfung. „Das Team Vorsicht hat sich durchgesetzt“, sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nach den Marathonberatungen.
Mit Blick auf den harten Lockdown Anfang April ist in dem Papier von einer „erweiterten Ruhezeit zu Ostern“ die Rede. „Die Regelung wird analog zu Sonn- und Feiertagen sein“, erläuterte Merkel. An Gründonnerstag sollen sämtliche Läden schließen, am Ostersamstag soll lediglich der Lebensmittelhandel „im engen Sinne“ öffnen dürfen.
Ostergottesdienste mit Präsenzpublikum soll es nicht geben. Bund und Länder wollten auf die Religionsgemeinschaften zugehen und diese bitten, nur virtuelle Veranstaltungen anzubieten, sagte Merkel. Impf- und Testzentren sollten geöffnet bleiben, bestimmte Unternehmen – analog zur Sonntagsarbeit – ebenso.
Merkel begründete die verschärften Maßnahmen vor allem mit der raschen Ausbreitung der gefährlichen britischen Virusmutation. „Wir haben ja im Grunde genommen eine neue Pandemie“, sagte sie. Das neue Virus sei „deutlich tödlicher, deutlich infektiöser“. Ohne Auftreten der Mutation könnte das Land bereits viel weiter sein: „Da wird man echt ein bisschen schwermütig, was wir hätten schon erreichen können“, sagte die Kanzlerin. Durch das mutierte Virus sei nun aber „der Erfolg im Grunde aufgegessen“.
Das Beschlusspapier weist auf ein „starkes Infektionsgeschehen und eine exponentielle Dynamik“ hin. „Das bedeutet, dass ohne deutlich einschränkende Maßnahmen die Zahl der Neuinfektionen so schnell steigen würde, dass bereits im April eine Überlastung des Gesundheitswesens wahrscheinlich ist“, heißt es darin.
Verschärfte Maßnahmen sollen insbesondere in Landkreisen mit einem Inzidenzwert von über 100 gelten – „wir müssen von der Notbremse Gebrauch machen“, sagte Merkel dazu.
Der Beschluss führt für diese Fälle eine Reihe von Optionen auf: etwa eine Tragepflicht medizinischer Masken von Mitfahrern auch im privaten Pkw, soweit diese nicht dem Hausstand des Fahrers angehören. Zudem werden „Ausgangsbeschränkungen“ und „verschärfte Kontaktbeschränkungen“ genannt – allerdings ohne Details.
Bund und Länder beschlossen zudem neue Hürden für den Urlaubsreiseverkehr ins Ausland. Fluggesellschaften sollen künftig alle Urlaubsrückkehrer bereits vor dem Abflug auf das Coronavirus SARS-CoV-2 testen. Für Reiserückkehrer aus Mallorca habe Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) bereits ein entsprechendes Abkommen mit den Airlines vereinbart, sagte Merkel.
Der Bund sagte in den Gesprächen zudem zu, eine generelle Testpflicht für Flugreisende nach Deutschland einführen – unabhängig vom Infektionsgeschehen im Startland. Das Infektionsschutzgesetz solle entsprechend geändert werden. Merkel appellierte an die Bürger, Reisen generell zu vermeiden.
Die Beratungen in der großen Runde aus Ministerpräsidenten und Kanzlerin waren am frühen Abend wegen großer Differenzen unterbrochen und zeitweise in kleine Runden fortgeführt worden – Söder und Berlins Bürgermeister Michael Müller (SPD) bezeichneten die Beschlüsse beide als „sehr schwere Geburt“.
Zäher Streit entzündete sich vor allem an dem Vorhaben von fünf Ländern, ihren Bürgern „kontaktarme“ Urlaubsreisen im eigenen Land zu ermöglichen. Dies wollte Merkel aber verhindern. Aus dem letztlich verabschiedeten Beschluss wurde der Passus zu den „kontaktarmen“ Reisen gestrichen.
Unterschiedliche Reaktionen
Die FDP ruft nun nach Erklärungen. Sie mahnte, Merkel dürfe ihre Regierungserklärung am Donnerstag nicht auf europäische Themen beschränken. Es wäre „ein Zeichen des Respekts für unsere Demokratie“, diese Regierungserklärung thematisch so zu erweitern, dass die Bundeskanzlerin darin auch die Maßnahmen der Ministerpräsidentenkonferenz vorstellt und begründet, heißt es in einem Schreiben an Kanzleramtschef Helge Braun.
Verfasst wurde es vom Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann, der warnt: „Selbst die besten Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung schlagen fehl, wenn das Vertrauen in der Bevölkerung verloren geht.“ Merkel will an diesem Donnerstag eine Regierungserklärung zu den Themen des am selben Tag beginnenden Europäischen Rates abgeben. Zu ihnen zählt auch das Vorgehen der Europäer in der Coronapandemie.
Buschmann wies auf die Bund-Länder-Beratungen vom Montag hin: „Wir bedauern, dass diese Beratungen erneut ohne Beteiligung des Parlaments stattfinden“, schrieb der FDP-Politiker. „Die parlamentarische Debatte wäre der richtige Rahmen, um so weitreichende Maßnahmen, die das Leben jeder Bürgerin und jedes Bürgers in unserem Land treffen, transparent zu diskutieren.“ Der Bundestag wäre der Ort, an dem die Bundesregierung ihre Ziele und Argumente noch vor den Entscheidungen darlegt. „Eine Regierungserklärung dazu im Parlament wäre nur angemessen.“
Intensivmediziner in Deutschland begrüßen vereinbarten Maßnahmen. „Die Politik hat erkannt, dass wir in einer schwierigen Phase der Pandemie sind und die Impferfolge nicht gefährden dürfen“, erklärte der Präsident der Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Gernot Marx.
Entscheidungen wie verstärkte Notbremsen, eine Ruhephase ohne Versammlungen über Ostern und geschlossene Gastronomien seien hart, aber wichtig. „Nur so können wir das derzeitige exponentielle Wachstum der Inzidenzen wieder verlangsamen - und auch nur so sehen wir Intensivmediziner in einigen Wochen wieder weniger Patienten auf den Intensivstationen.“
„Schon jetzt ist erkennbar, dass die Intensivstationen wieder voller werden und gleichzeitig die Verweildauer der Einzelfälle länger wird. Wenn wir den Kollaps des Gesundheitssystems verhindern wollen, müssen wir erneut das Ruder herumreißen“, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Sabine Dittmar. Sie betonte, Urlaubsreisen, größere Mobilität und das Hochfahren des öffentlichen Lebens befeuerten das Infektionsgeschehen. Die Entscheidung, eine erweitere Ruhepause zu Ostern zu machen sei „richtig und notwendig“.
Sie könne den Wunsch aller Bürger nach einer Rückkehr zu mehr Normalität sehr gut nachvollziehen, erklärte die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Karin Maag (CDU). „Dennoch ist die Notbremse gerade dort wichtig und richtig, wo besonders hohe Infektionszahlen gemeldet werden“, sagte sie.
„Wir müssen die beginnende dritte Welle schon jetzt abflachen, um eine Überforderung des Gesundheitswesens zu verhindern. Die von Bund und Ländern beschlossenen Maßnahmen können dabei helfen“, sagte Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK).
Er mahnte den breiten Einsatz von Coronaschnelltests an, die für „echte Entlastung sorgen“ könnten. Eine Teilöffnungen des gesellschaftlichen Lebens sei möglich, wenn ausreichend Schnelltests zur Verfügung stünden. Bund und Länder sollten Projekte zur schrittweisen Öffnung des gesellschaftlichen Lebens fördern, evaluieren und für andere Regionen anpassen. Sie wären eine „echte Alternative zu den zermürbenden Jo-Jo-Dauerlockdowns in Deutschland“.
Reinhardt erklärte auch, es müsse diskutiert werden, ob eine stärkere Nutzung digitaler Bewegungsdaten zur Kontaktnachverfolgung in Kauf genommen werden sollte, um die Pandemie effektiver bekämpfen zu können.
„Der Schutz persönlicher Daten hat in Deutschland aus nachvollziehbaren Gründen einen hohen Stellenwert“, sagte er. Angesichts der aktuellen Infektionslage und der seit Monaten andauernden Einschränkungen von Grundrechten sei aber jetzt der Zeitpunkt gekommen, Nutzen und Risiken einer natürlich zweckgebundenen Auswertung persönlicher Daten zur Unterbrechung von Infektionsketten gegenüber anderen persönlichen Freiheitsrechten abzuwägen.
Hamburgs Ärztekammerpräsident Pedram Emami nannte es „bedauerlich“, dass die Runde sich nicht mit Impfstoffbeschaffung, Umsetzung der Impfkampagne und Einbindung der Fach- und Hausärzte sowie der Teststrategie befasst hat.
In Deutschland sind unterdessen innerhalb eines Tages knapp 7.500 Coronaneuinfektionen gemeldet worden. Wie das Robert-Koch-Institut (RKI) heute Morgen unter Berufung auf Angaben der Gesundheitsämter mitteilte, wurden 7485 neue Ansteckungsfälle registriert. Die Sieben-Tage-Inzidenz erhöhte sich leicht. Bundesweit liegt sie den Angaben zufolge nun bei 108,1.
Die Sieben-Tage-Inzidenz, welche die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen angibt, stieg zuletzt stetig an, nachdem sie im Februar zwischenzeitlich auf unter 60 gefallen war. Am Wochenende hatte der bundesweite Inzidenzwert die Marke von 100 überschritten.
Das RKI meldete am Dienstag außerdem 250 neue Todesfälle im Zusammenhang mit einer Covid-19-Erkrankung. Die Gesamtzahl der verzeichneten Corona-Fälle in Deutschland seit Beginn der Pandemie erhöhte sich den Angaben zufolge auf 2.674.710. Insgesamt 74.964 Infizierte starben.
Die neuen Coronaregeln
Notbremse: Bund und Länder betonen, es sei notwendig, die Anfang März vereinbarte „Notbremse“ konsequent anzuwenden. Sie soll greifen, wenn die 7-Tage-Inzidenz pro 100 000 Einwohner in einem Land oder einer Region an drei aufeinanderfolgenden Tagen über 100 Neuinfektionen liegt. Dann gelten ab dem zweiten darauffolgenden Werktag wieder die Beschränkungen, die bis zum 7. März in Kraft waren. Weitere Öffnungen soll es nur geben, wenn die 7-Tage-Inzidenz unter 100 und stabil ist oder sinkt.
Inzidenz über 100: In Landkreisen, wo die 7-Tage-Inzidenz über 100 liegt, greifen härtere Maßnahmen. Diese können so aussehen: Pflicht zum Tragen besser schützender Masken im Auto für Mitfahrer, die nicht zum Hausstand des Fahrers gehören, Ausweitung einer Schnelltestpflicht auf Bereiche, wo Abstandsregeln und konsequentes Maskentragen erschwert sind, Ausgangsbeschränkungen, verschärfte Kontaktbeschränkungen.
Kontakte: Es dürfen sich maximal fünf Personen aus zwei Haushalten treffen. Paare sollen generell als ein Hausstand zählen. Kinder bis 14 Jahre zählen extra. Das gilt laut aktuellem Beschluss auch für die Osterzeit vom 1. bis zum 5. April. Die weiterhin geltende Notbremse wird in diesem Abschnitt nicht erwähnt. Diese sieht für Regionen oder Länder mit einer 7-Tage-Inzidenz von über 100 vor: Es dürfen sich nur ein Haushalt und eine weitere Person treffen, Kinder bis 14 Jahre wieder ausgenommen.
Impfschutz: Das Robert-Koch-Institut soll bis zur nächsten Bund-Länder-Runde am 12. April einen Bericht dazu vorlegen, ab welchem Zeitpunkt Geimpfte „mit so hinreichender Sicherheit nicht infektiös sind, dass eine Einbeziehung in Testkonzepte möglicherweise obsolet wird“.
Schnell- und Selbsttests: So bald wie möglich sollen Beschäftigte in Schulen und Kitas sowie Schüler zwei Mal pro Woche getestet werden.
Öffnungen in Modellprojekten: In „zeitlich befristeten Modellprojekten“ dürfen die Länder in ausgewählten Regionen ausprobieren, wie sich Bereiche des öffentlichen Lebens „mit strengen Schutzmaßnahmen und einem Testkonzept“ öffnen lassen.
Arbeitsplatz: Arbeitgeber sollen ihren Mitarbeitern weiterhin Homeoffice ermöglichen. Wo das nicht geht, sollen sie regelmäßige Tests anbieten, „mindestens einmal und bei entsprechender Verfügbarkeit zwei Mal pro Woche“. Anfang April sollen die Wirtschaftsberichte Bericht erstatten, wie viele Unternehmen sich beteiligen. Die Bundesregierung will dann mögliche schärfere Arbeitsschutzvorschriften prüfen.
Wirtschaftshilfen: Für Unternehmen, die besonders schwer und lange unter Schließungen leiden, will die Bundesregierung weitere Hilfen entwickeln.
Reisen: Bund und Länder appellieren „eindringlich“, auf nicht zwingend notwendige Reisen im In- und Ausland zu verzichten. Für Rückkehrer aus ausländischen Gebieten mit hohen Infektionszahlen oder mit einer starken Verbreitung von Virusvarianten gibt es schon eine Quarantänepflicht. Da insbesondere bei beliebten Urlaubszielen mit einer leichten Verbreitung von COVID-19-Varianten zu rechnen sei, „erwarten“ Bund und Länder von allen Fluglinien „konsequente Tests von Crews und Passagieren vor dem Rückflug und keine weitere Ausweitung der Flüge während der Osterferien“.
Die Bundesregierung will zudem einen Test vor dem Abflug für die Einreise nach Deutschland vorschreiben – dafür müsste aber der Bundestag einer Änderung des Infektionsschutzgesetzes zustimmen.
Krankenhäuser: Die Bundesregierung bekräftigt einen Erlösausgleich für das Jahr 2021 und die Ausweitung der anspruchsberechtigten Krankenhäuser für Ausgleichszahlungen. Zudem sollen Krankenhäuser mit coronabedingten Liquiditätsproblemen, die trotz eines Belegungsrückgangs im Jahr 2021 keine Ausgleichszahlungen erhalten haben, zeitnah unterstützt werden können. Die Umsetzung dieser Regelung soll im Rahmen des aktuell laufenden Rechtsverordnungsverfahrens erfolgen.
Senioren-, Pflege, Behinderteneinrichtungen: Ungeimpfte Bewohner sollen schnell ein Impfangebot erhalten. Das Angebot des Bundes, etwa mit Bundeswehrsoldaten beim Testen zu helfen, steht weiter.
Nächste Schritte: Bundeskanzlerin Angela Merkel will am 12. April wieder mit den Ministerpräsidenten beraten.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: