Curevac: Impfstoffkandidat weniger wirksam als erhofft

Tübingen – Im Rennen um die Markteinführung eines weiteren hochwirksamen Impfstoffs gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 hat die Tübinger Biopharmafirma Curevac einen empfindlichen Dämpfer publik gemacht.
Das Unternehmen musste gestern Abend in einer Pflichtbörsenmitteilung einräumen, dass der eigene Impfstoffkandidat CVnCoV in einer Zwischenanalyse nur eine vorläufige Wirksamkeit von 47 Prozent gegen eine COVID-19-Erkrankung „jeglichen Schweregrades“ erzielt habe. Damit habe er die vorgegebenen statistischen Erfolgskriterien nicht erfüllt, hieß es.
Curevac teilte weiter mit, dass die Wirksamkeit des Impfstoffkandidaten von der untersuchten Altersgruppe und den Virusstämmen abhänge. In die Analyse sei die Wirksamkeit gegen mindestens 13 COVID-19-Varianten eingegangen.
Zur Frage, wie es mit dem bisherigen Impfstoffkandidaten nun weitergehen soll, äußerte sich Curevac in der Mitteilung nicht im Detail. Curevac-Vorstandschef Franz-Werner Haas teilte heute mit, man habe auf stärkere Ergebnisse in der Zwischenanalyse gehofft. Man wolle die laufende Studie aber dennoch bis zur finalen Analyse fortsetzen. „Die endgültige Wirksamkeit könnte sich noch verändern.“
Der Curevac-Impfstoffkandidat befindet sich seit Dezember 2020 – also seit rund einem halben Jahr – in der finalen und damit zulassungsrelevanten 2b/3-Studienphase. Während zahlreiche Konkurrenten ihre Vakzine bereits auf den Markt gebracht haben, sammelt Curevac nach wie vor Daten. Ob Curevac nun überhaupt absehbar – und wenn, wann – liefern kann, bleibt vorerst unklar.
Keine Folgen für Impfkampagne
Die Bundesregierung hatte den Curevac-Impfstoff Berichten zufolge lange für die zweite Jahreshälfte eingeplant, auf der jüngst vom Bundesgesundheitsministerium veröffentlichten Liste der Impfstoff-Lieferplanungen fehlte das Unternehmen aber bereits.
Zuletzt hatte die Plattform Business Insider berichtet, es habe noch Ende Mai in internen Lieferprognosen der Bundesregierung geheißen, dass von Curevac bis Jahresende eine zweistellige Millionenmenge an Impfstoffdosen erwartet werde. Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums hat der Rückschlag aber keine Auswirkungen auf das Tempo der Impfkampagne in Deutschland.
EU-Kommission zeigt sich entspannt
Aus Sicht der EU-Kommission stellt der Rückschlag keine Bedrohung für das Ziel dar, bis Ende Juli 70 Prozent der erwachsenen EU-Bevölkerung zu immunisieren. „Wir haben von Anfang an auf ein breites Portfolio an Impfstoffen gesetzt“, sagte ein Behördensprecher heute in Brüssel.
Das sei auch gemacht worden, um für den Fall vorbereitet zu sein, dass ein Impfstoff ausfalle. Die Kommission gehe weiter davon aus, dass bis Ende kommenden Monats genügend Impfdosen geliefert werden könnten, um den EU-Staaten die Impfung von 70 Prozent ihrer erwachsenen Bevölkerung zu ermöglichen. Die EU-Kommission hatte 220 Millionen Dosen des Impfstoffs von Curevac vorbestellt, Deutschland sollte 24,5 Millionen Dosen erhalten.
Es sei nun abzuwarten, ob sich die vorläufigen Ergebnisse bestätigen, hieß es von der Kommission. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hatte im Februar ein schnelles Prüfverfahren für den Impfstoff der Tübinger Firma gestartet. Für den Fall, dass es zu keiner Marktzulassung in der Europäischen Union kommt, gibt es in dem Vertrag der Kommission mit dem Hersteller eine Ausstiegsklausel.
Angesichts der massiven Zeitverzögerung hatte das Unternehmen zuletzt nicht nur ihre Aktionäre immer wieder vertröstet. Bis Anfang Juni hatte es geheißen, das Unternehmen erwarte – abhängig von den klinischen Studiendaten – die Zulassung seines Impfstoffkandidaten in der EU zumindest noch im zweiten Quartal. Doch kurz darauf wurde bekannt, dass sich das Verfahren weiter verzögern werde.
Zuletzt war darüber spekuliert worden, der Curevac-Impfstoff könne möglicherweise im August in der EU zugelassen werden. Auch diese Aussichten könnten sich nach Bekanntwerden der neuen Daten erledigt haben. Die Anleger reagierten zeitweise panisch: Der Curevac-Börsenkurs sackte im nachbörslichen US-Handel heute um mehr als die Hälfte ab.
Den größten Anteil am Unternehmen hält der SAP-Mitbegründer und Investor Dietmar Hopp. Der Bund war im vergangenen Jahr über die Aufbaubank KfW mit 300 Millionen Euro bei Curevac eingestiegen. Dabei habe die Bundesregierung allerdings keinen Einfluss auf das operative Geschäft, erklärte eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums.
Bund hält an Beteiligung fest
Eine Sprecherin betonte, der Bund halte weiter an dem Unternehmen fest. „Mit der Beteiligung an Curevac verfolgte und verfolgt die Bundesregierung gesundheits- und industriepolitische Ziele“, erklärte das Wirtschaftsministerium heute.
Es gehe nicht nur darum, mehr Impfstoffproduktion in Deutschland und Europa anzusiedeln, sondern auch um Forschungsaktivitäten. Für die mRNA-Technologie, die auch bei den Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna zum Einsatz kommt, gebe es vielfältige Anwendungsbereiche, etwa in der Krebsbekämpfung, betonte eine Sprecherin.
Von mehreren Seiten kam Kritik an der Beteiligung des Bundes. Der FDP-Wirtschaftspolitiker Reinhard Houben erklärte, der Einstieg sei „ein Indiz für die verfehlte Beteiligungspolitik von Wirtschaftsminister Altmaier“. Unternehmenserfolg entstehe auf dem Markt, nicht durch den Staat. Der Bund habe nie glaubhaft erklären können, warum es notwendig gewesen sei, Anteile von Curevac zu kaufen. „Jetzt ist es höchste Zeit, dass die Bundesregierung ihre Beteiligung an Curevac verkauft und das Geld in zugelassenen Impfstoff investiert“, forderte Houben.
Auch der Chef des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Achim Wambach, übte Kritik. „Zur Beschleunigung der Impfstoffentwicklung hätten andere Instrumente zur Verfügung gestanden, wie sie bei Biontech/Pfizer oder Astrazeneca verwendet wurden“, sagte er der Rheinischen Post. Die öffentliche Hand solle sich nicht aus Spekulationsgründen an Unternehmen beteiligen, sondern um diesen in einer Krise beizustehen oder sie bei Forschung und Entwicklung zu unterstützen.
Bedauern über den Entwicklungsstand
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach schrieb auf Twitter: „Schade, das Team aus Tübingen hätte Erfolg verdient gehabt.“ Der EU-Gesundheitspolitiker Peter Liese (Christdemokraten) nannte die Ergebnisse eine „große Enttäuschung“. Sie seien insbesondere für die Impfkampagne weltweit ein Rückschlag.
Die Ergebnisse von Curevac zeigten aber auch, dass es überhaupt nicht selbstverständlich sei, dass man schon so kurze Zeit nach Ausbruch des Virus SARS-CoV-2 so viele wirksame Impfstoffe habe. „Die Ergebnisse der Hersteller Biontech und Moderna stehen jetzt nochmal in einem besseren Licht.“
Die internationale Impfstoffallianz CEPI zeigt sich ebenfalls enttäuscht. „Das zeigt, was für eine Herausforderung die Entwicklung eines Impfstoffs sein kann“, teilte CEPI heute in Genf mit. CEPI steht für „Koalition für Innovationen in der Epidemievorbeugung“. Es ist eine Zusammenarbeit zwischen Weltgesundheitsorganisation (WHO), Regierungen, Stiftungen und Forschungseinrichtungen.
Die Allianz betont, dass die Coronapandemie längst noch nicht vorbei ist. Es sei wichtig, die Forschung weiter zu fördern, um dem Virus und möglichen Varianten immer einen Schritt voraus zu sein. „CEPI wird weiter ein breites Portfolio von COVID-19-Impfstoffen fördern, um dieses Ziel zu erreichen.“
Curevac ist einer von ursprünglich zwölf Impfstoffkandidaten, die CEPI im Programm hat. Zwei davon wurden inzwischen eingestellt, eines von der Universität Queensland und eines von Merck. Zusätzlich fördert CEPI noch einen Wirkstoffverstärker, ein Adkuvans.
Das vereinbarte CEPI-Budget zur Forschung und Entwicklung von Curevac betrug 15,3 Millionen Dollar. Zur Vereinbarung gehörte, dass Curevac dem solidarischen Impfprogramm Covax einen Teil seiner Produktion verkauft und nicht nur bilaterale Verträge schließt. Covax soll vor allem die faire Verteilung der Corona-Impfstoffe in aller Welt gewährleisten.
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