Datennutzung bei der Arzneimittelpreisbildung braucht ein Update
Berlin – Die Digitalisierung des Gesundheitswesens könnte positive Auswirkungen auf die Preisbildungsmechanismen bei neuen Arzneimitteln haben. Diese Hoffnung herrscht sowohl aufseiten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) als auch der pharmazeutischen Industrie.
Mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) und den weiteren Digitalgesetze habe die scheidende Bundesregierung die Grundlage für große Fortschritte im Gesundheitswesen geschaffen, erklärte Michael Hennrich, Geschäftsführer Politik von Pharma Deutschland, gestern bei einer Veranstaltung des Verbands.
Insbesondere für das Nutzenbewertungsverfahren bei neuen Arzneimitteln und die Erstattungsbetragsverhandlungen (EBV) nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) könnte die im Aufbau befindliche neue Dateninfrastruktur enorme Verbesserungen bringen, beispielsweise in der frühen Nutzenbewertung.
„Pharmazeutische Unternehmen erhalten durch den Zugang zu vielfältigen, aggregierten Daten – unter anderem von Krankenkassen, Registern und weiteren Dateninhabern – neue Möglichkeiten, innovative Therapien zu entwickeln. Besonders im Bereich der AMNOG-Arzneimittel stehen wir vor einem grundlegenden Wandel“, betonte Dorothee Brakmann, Hauptgeschäftsführerin des Verbands.
So könnten bisher vorhandene Evidenzlücken geschlossen werden. „Es hat ein riesiges Potenzial, dass man neues Wissen generieren kann, aber man muss dabei realistisch bleiben“, mahnte der langjährige CDU-Gesundheitspolitiker Hennrich.
Zudem seien noch einige, teils politisch heikle Fragen zu klären, beispielsweise mit Blick auf die Anträge von Unternehmen und Forschungseinrichtungen beim Forschungsdatenzentrum (FDZ), das derzeit beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) entsteht.
So müsse die Frage einer möglichen Priorisierung von Anträgen diskutiert werden. Diese könne beispielsweise dann notwendig sein, wenn pharmazeutische Unternehmen aufgrund von gesetzlichen Fristen für die frühe Nutzenbewertung oder Erstattungsbetragsvereinbarungen schnellen Zugriff brauchen.
Ihm sei jedoch vollkommen bewusst, wie schwierig dies politisch sei, erklärte Hennrich. Der Vorwurf einer Bevorzugung einzelner Unternehmen stehe dann schnell im Raum. Auch Hauptgeschäftsführerin Brakmann verwies auf die Bedeutung von Bereitstellungsfristen seitens des FDZ – schon eine Wartezeit von einem Jahr sei für forschende Unternehmen oft nicht tragbar.
Zudem müsse eine unkomplizierte Aktualisierung von Datenanfragen an das FDZ ermöglicht werden. Bisher sei unklar, wann die Unternehmen diese erfragen können. Solche Möglichkeiten zur Nachsteuerung könnten dafür sorgen, dass sich Kassen und Pharmafirmen besser als bisher auf eine gemeinsame Datengrundlage für die Preisverhandlungen einigen können.
„Eine einseitige Datenhoheit des GKV-Spitzenverbandes würde das Gleichgewicht im Verhandlungsprozess gefährden und ist daher nicht akzeptabel“, betonte Brakmann. „Ein gleicher Zugang zu allen relevanten Datengrundlagen gewährleistet, dass Entscheidungen auf einer gemeinsamen, objektiven Basis getroffen werden können.“ Das sei zum Vorteil aller Beteiligten und letztlich der Patientinnen und Patienten.
Hier herrschte ungewohnte Einigkeit zwischen Kostenträgern und Industrie. „Wer faire Preise will, muss aufwandsarme Verhandlungsgrundlagen schaffen“, unterstrich auch Antje Haas, Leiterin der Abteilung Arznei- und Heilmittel beim GKV-Spitzenverband.
Es brauche dringend eine Aktualisierung der Datennutzung im AMNOG – diese habe es in den zurückliegenden Jahren trotz der insgesamt 16 gesetzlichen Erweiterungen und Anpassungen des Verfahrens nicht gegeben.
Künftig sollten zudem versorgungsnahen Daten eine größere Rolle spielen, forderte Brakmann. Diese würden klinische Studien ergänzen und die Beurteilung des tatsächlichen Nutzens von Arzneimitteln verbessern, was die Datenqualität erhöhe, bei Entscheidungen unterstütze und Innovationen fördere.
„Daten aus der realen Versorgung sind ein wichtiger Baustein für die Bewertung neuer Therapien und müssen stärker in die Nutzenbewertung integriert werden. Die Methodik, diese Daten zu bewerten, muss sich mit den neuen Zugangsmöglichkeiten weiterentwickeln“, forderte Brakmann.
Abrechnungsdaten und Registerdaten seien dabei nur Zwischenschritte, betonte Haas. In Zukunft müsse eine systematische, pseudonymisierte Nutzung der Daten aus der ärztlichen Behandlungsdokumentation möglich sein.
Wie genau das funktionieren könne, wisse sie im Detail selbst auch nicht, räumte sie auf Nachfrage sein. Es müsse aber das Ziel sein. „Natürlich will ich nicht die gesamte Behandlungsdokumentation in die Wissenschaft verschleppen“, erklärte sie. Aber ähnlich wie bei Registern müsse eine Auswahl wichtiger Daten künftig übertragen werden können.
Haas kritisierte, dass sie auf dem Weg dahin bisher „ein erstaunliches Zuwendungsproblem“ seitens der Politik sehe, teils einfach umzusetzende gesetzliche Anpassungen beim Datenzugang, beispielsweise durch Zweckerweiterungen, vorzunehmen.
Hennrich plädierte demgegenüber dafür, solche Anpassungen nicht den Parlamentariern zuzumuten, deren Expertise zur Beurteilung derart fachspezifischer Zusammenhänge oft nicht ausreichen könne. Es müsse hier eher auf dem Verordnungswege nachgeschärft werden.
Als Leuchtturmprojekt für eine verbesserte Datennutzung stellte Haas „Plato 2“ heraus. Dessen Ziel ist die Entwicklung eines Konzepts zur Schaffung einer Plattform, die anhand definierter Use Cases eine bundesweite anlassbezogene Datenzusammenführung und Analyse der Krebsregisterdaten aus den Ländern sowie eine Verknüpfung von Krebsregisterdaten mit anderen Daten ermöglicht.
Ende dieses Jahres solle das Projekt abgeschlossen werden. Sie habe eigentlich gehofft, dass die daraus gewonnenen Erkenntnisse zur Datenverknüpfung und -nutzung Einzug in weitere Gesetzgebungsverfahren finden könnten und so besagte überfällige Verbesserungen der Datennutzung im AMNOG umgesetzt würden, erklärte Haas. Mit dem Ende der Ampelkoalition sei diese Hoffnung jedoch vorerst gestorben.
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