Politik

Debatte um unbezahlten Karenztag ebbt nicht ab

  • Donnerstag, 9. Januar 2025
/nmann77, stock.adobe.com
/nmann77, stock.adobe.com

Berlin – Krank zur Arbeit gehen, um finanzielle Einbußen zu vermeiden oder lieber einen Karenztag nehmen und auf Geld verzichten? Die Debatte um Lohnfortzahlung geht weiter. Aus der Politik kommen aber immer mehr ablehnende Stimmen.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) lehnt einen unbezahlten Karenztag im Falle einer Krankmel­dung ab. Er sprach von einer eine Idee, die zulasten der Arbeitnehmer geht, wie er dem MDR sagte. Jene, die sich einen Lohnausfall nicht leisten könnten, würden sich zur Arbeit schleppen, so der Minister.

Dies gefährde auch die Gesundheit anderer. „Wenn Sie mit einer COVID-Erkrankung zur Arbeit gehen und infizie­ren die Mitarbeiterin, die dann möglicherweise an Long COVID erkrankt, dann ist niemandem geholfen“, sagte Lauterbach.

Dass Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern einen höheren Krankenstand habe, sei auf Langzeiterkrankte mit psychischen Problemen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückzuführen. „Blaumachen“ spiele in der Praxis hingegen kaum eine Rolle.

Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Karl-Josef Laumann hält ebenfalls nichts von Vorschlägen, dass Arbeitnehmer künftig für den ersten Krankheitstag oder sogar die ersten drei Krankheitstage keinen Lohn mehr bekommen sollen.

„Ich bin da ein gebranntes Kind. Ich habe als Bundestagsabgeordneter mal für ihre Einführung gestimmt. Dann hat die IG Metall mit Zustimmung der Arbeitgeber die Karenztage per Tarifvertrag für ihre Branchen kassiert“, sagte der NRW-Gesundheitsminister der Rheinischen Post. „Damals habe ich mir geschworen: Ich lass mich nicht noch einmal bei diesem Thema ins Bockshorn jagen.“

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wies den Vorschlag ebenfalls zurück, die Lohnfortzahlung im Krank­heitsfall für den ersten Tag einer Krankmeldung zu streichen.

„Wer krank gemeldete Beschäftigte unter den Generalverdacht des Blaumachens stellt, hat ein verzerrtes Bild von den arbeitenden Menschen in diesem Land“, sagte Heil dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Die Deutschen sind keine Drückeberger und Faulenzer“, sagte der Arbeitsminister weiter. „Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall einzuschränken, wird es mit mir und der SPD nicht geben.“

Besonders Arbeitnehmer mit niedrigen Einkommen würden unter einer Wiedereinführung des Karenztages leiden, warnte Heil. „Es würde die Menschen hart treffen, die tatsächlich krank sind und die einen geringen Lohn haben, vor allem Frauen“, sagte Heil. „Deshalb ist das der falsche Weg.“

Der Chef des Versicherungskonzerns Allianz, Oliver Bäte, hatte kürzlich angesichts des hohen Krankenstands in Deutschland vorgeschlagen, den sogenannten Karenztag bei Krankmeldungen wieder einzuführen. Der Konzern­chef verwies Anfang der Woche im Handelsblatt darauf, dass Arbeitnehmer in Deutschland mittlerweile im Schnitt 20 Tage pro Jahr krank seien, während der EU-Schnitt bei acht Krankheitstagen liege.

Heil sagte dem RND, wenn einzelne das System ausnutzten, müsse dagegen gezielt vorgegangen werden. „Ich habe kein Verständnis für Blaumacher“, betonte der SPD-Politiker. Es bestünden jedoch genügend Instrumente, um mit Verdachtsfällen umzugehen.

„Ein Arbeitgeber, der den Verdacht hat, dass jemand blau macht, kann auch ab dem ersten Tag das Vorlegen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verlangen“, sagte der Bundesarbeitsminister. „Wer beim Blaumachen erwischt wird, muss außerdem mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen“, fügte Heil hinzu.

„Die Einführung eines Karenztages ist aus Gesundheitsperspektive reiner Humbug“, betonte Johannes Wagner, Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestages (grüne). „Statt endlich die wahren Probleme anzugehen – warum sind Deutsche häufiger krank als andere Europäer? – wird ihnen Faulheit unterstellt. Das ist nicht nur zynisch, sondern auch gefährlich.“

Wagner monierte, man versage systematisch dabei, Krankheiten durch Prävention zu verhindern. Gesunde Lebensverhältnisse, mehr Bewegung im Alltag, bessere Ernährung in Schulen und Kantinen, weniger Alkohol und Tabak – das wären echte Lösungen. „Doch diese Debatten scheut man offenbar, weil sie unbequemer sind, als die Menschen pauschal zu bestrafen.“ Aus Sicht von Wagner würde ein Karenztag unter anderem zu überfüllten Arztpraxen und einer verzögerten Genesungen führen.

Aus Sicht der Bundesärztekammer (BÄK) und einer neuen Analyse geht der Rekordkrankenstand in Deutschland hauptsächlich auf die elektronische Krankmeldung sowie auf verstärkte Infektionswellen zurück. Bei den krank­heitsbedingten Fehltagen gab es von 2021 auf 2022 einen sprunghaften Anstieg um fast 40 Prozent, wie eine neue Untersuchung der DAK-Gesundheit zeigt.

BÄK-Präsident Klaus Reinhardt sagte in Berlin, in der Statistik seien die Krankschreibungen mit Einfüh­rung der elektronischen Krankschreibung (eAU) im Jahr 2021 auf einem Schlag in die Höhe gegangen.

kna/dpa/afp

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung