Politik

„Die vorliegenden Ergebnisse lassen derzeit keinen dringenden Handlungsbedarf erkennen“

  • Montag, 29. September 2025

Berlin – Die rot-grün-gelbe Ampelregierung hat im April des vergangenen Jahres mit der Einführung der Teillegalisierung von Cannabis auch eine wissenschaftliche Evaluation angeschoben. Ein Zwischenbericht ist heute – rund eineinhalb Jahre später – in Berlin vorgelegt worden. Wie die ersten Ergebnisse einzuordnen sind, darüber hat das Deutsche Ärzteblatt mit einem der beteiligten Wissenschaftler gesprochen.

Jakob Manthey, Arbeitsgruppenleiter „Substanzkonsum und Public Health“, Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) /picture alliance, Britta Pedersen
Jakob Manthey /picture alliance, Britta Pedersen

5 Fragen an Jakob Manthey, Arbeitsgruppenleiter „Substanzkonsum und Public Health“, Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS)

Welche Veränderungen im allgemeinen Konsumverhalten konnten Sie auf Basis der ersten Ergebnisse ihres Gutachtens seit der Legalisierung von Cannabis als Freizeitdroge identifizieren?
Die Gesamtzahl der Konsumierenden steigt seit etwa 2011. Aus den verfügbaren Daten geht nicht hervor, dass die Teillegalisierung kurzfristig Einfluss auf diesen Trend hatte. Wir schätzen, dass im Jahr 2024 etwa 10,5 Prozent der 18- bis 64-jährigen Erwachsenen mindestens einmal Cannabis konsumiert hat.

Unter den 5,3 Millionen Erwachsenen sind rund eine Million Personen, die Cannabis täglich oder fast täglich konsumieren und sich damit einem erhöhten Konsumrisiko aussetzen. Auch dieser Anteil scheint sich durch die Teillegalisierung nicht verändert zu haben.

Haben sich die Befürchtungen bewahrheitet, dass die Freigabe von Cannabis zu einem Anstieg des Konsums unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen führt?
Nein. Wir sehen in mehreren Surveys einen Rückgang der Konsumprävalenz unter Jugendlichen im Alter von 15 bis 17 Jahren. Dieser Trend lässt sich deutschlandweit seit 2019 beobachten und setzt sich auch nach der Teillegalisierung fort. Ebenfalls sehen wir keine maßgeblichen Veränderungen im Alter des ersten Konsums.

Während Jugendliche weiterhin Abstand von Cannabis nehmen, beobachten wir allerdings bei jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 24 Jahren ein zunehmendes Interesse an Cannabis. In dieser Altersgruppe berichten 20 bis 25 Prozent, dass sie Cannabis konsumiert hätten. Dieser Anteil steigt seit mehr als zehn Jahren und hat sich kurzfristig durch die Teillegalisierung kaum verändert.

Fachleute in der Suchthilfe haben die Hoffnung geäußert, dass Betroffene aufgrund der Enttabuisierung des Cannabiskonsums früher und schneller psychiatrische und psychotherapeutische Hilfsangebote in Anspruch nehmen. Gibt es Anzeichen dafür, dass dies zutrifft?
Diese Hoffnung kann ich sehr gut nachvollziehen, denn ein frühzeitiger Kontakt zum Hilfesystem kann die Entwicklung schwerer Suchtprobleme verhindern. Allerdings muss ich die Hoffnungen etwas dämpfen. Erstens dauern gesellschaftliche Enttabuisierungsprozesse vermutlich länger als ein paar Monate, sodass entsprechende Effekte nicht bereits im Jahr 2025 zu erwarten wären.

Zweitens zeigt sich, dass weniger Jugendliche den Weg in die Suchthilfe finden, da aufgrund der Entkriminalisierung der Weg der gerichtlichen beziehungsweise polizeilichen Zuweisung, zum Beispiel in das FreD-Programm, nicht mehr im gewohnten Umfang stattfindet. Tatsächlich zeigen auch Daten aus den USA, dass mit einem Rückgang der Suchtberatungen infolge einer Legalisierung zu rechnen ist – zum Teil auch wegen einer reduzierten Risikowahrnehmung in der Gesellschaft.

Die Erfahrungen aus den USA und die vorläufigen Daten aus Deutschland zeigen also, dass künftig mehr Anstrengungen unternommen werden müssen, um Personen mit Konsumproblemen den Weg in die Hilfesysteme zu ebnen. Cannabisinduzierte Psychosen sind sehr selten und können nur in begrenztem Umfang durch Routinedaten abgebildet werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt können keine Aussagen zur Entwicklung dieses Störungsbildes nach dem 1. April 2024 getroffen werden.

Wie gut gelingt es bisher, auf Grundlage der getroffenen Regelungen den Zugang Minderjähriger zu Konsumcannabis zu begrenzen?
Insgesamt zeigen verschiedene Befragungen, dass Jugendliche infolge der Teillegalisierung keinen leichteren Zugang zu Cannabis haben. Vielmehr deuten die Daten darauf hin, dass die subjektive Verfügbarkeit – also die Einschätzung von Jugendlichen, dass Cannabis leicht zu beschaffen ist – konstant geblieben oder leicht zurückgegangen ist.

Den genauen Grund hierfür kennen wir nicht, aber ich vermute, dass ein Rückgang der Konsumprävalenz unter Jugendlichen auch mit einem schlechteren Zugang einhergeht. Da Jugendliche – wie auch Erwachsene – in der Regel Cannabis über ihr soziales Umfeld beziehen und nicht über den klassischen Schwarzmarkt (zum Beispiel Straßendealer), bedeutet ein Rückgang des Konsums in ihrem Umfeld auch einen Rückgang der Verfügbarkeit.

Mit anderen Worten: Sie kennen weniger Personen, die sie nach Cannabis fragen können. Diese Entwicklung wäre jedoch kein direkter Erfolg der Teillegalisierung, da wir den Rückgang der Konsumprävalenz unter Jugendlichen bereits seit mindestens 2019 beobachten. Im weiteren Verlauf der Evaluation werden wir einen genaueren Blick auf die Veränderungen des Zugangs zu Cannabis unter Jugendlichen werfen.

Welche Schlussfolgerungen zur Weiterentwicklung der Cannabisgesetzgebung ergeben sich aus Ihrer Sicht aus den vorgelegten Zwischenergebnissen?
Die vorliegenden Ergebnisse lassen derzeit keinen dringenden Handlungsbedarf erkennen. Um den möglichen Einfluss auf verschiedene Bereiche, insbesondere auf den Gesundheitsschutz, zu untersuchen, benötigen wir mehr Zeit und Daten.

Bereits jetzt ist allerdings erkennbar, dass Anbauvereinigungen kurz- und mittelfristig keinen relevanten Anteil des Cannabismarktes einnehmen werden. Wenn der Gesetzgeber die Verdrängung des Schwarzmarktes priorisieren möchte, sollten die Genehmigungs- und Anbaubedingungen für diese Vereinigungen vereinfacht werden.

lau

Diskutieren Sie mit:

1

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Kommentare (1)

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung