Politik

Elektronische Patientenakte bundesweit gestartet

  • Dienstag, 29. April 2025
/picture alliance, Daniel Karmann
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Berlin – Ab heute können alle Ärztinnen und Ärzte in Deutschland die neue elektronische Patientenakte (ePA) von gesetzlich Versicherten einsehen und befüllen. Nach dreieinhalb Monaten Testphase wird die Nutzung damit für alle ermöglicht.

Bislang hatten rund 300 Leistungserbringer in Franken, Hamburg und Nordrhein-Westfalen die ePA auf Herz und Nieren überprüft. Die Testphase war insbesondere anfangs von technischen Problemen bei der Integration in die bestehenden Praxissysteme gekennzeichnet.

In den vergangenen Wochen lief die Testung in manchen Arztpraxen aber bereits recht flüssig und die ePA konnte in die Praxisprozesse integriert werden. Einige Ärzte zeigten sich zufrieden etwa über den Nutzen der elektronischen Medikationsliste (eML).

Bis zum 1. Oktober 2025 soll die Nutzung der ePA für Ärztinnen und Ärzte freiwillig bleiben, danach werden sie zur Befüllung verpflichtet. Ab dem 1. Januar 2026 folgen zudem Sanktionen für Niedergelassene, ab dem 1. März 2026 auch für die Krankenhäuser.

Die Hersteller der Praxisverwaltungssysteme (PVS) werden ihre ePA-Module ab dem 29. April nach und nach ausrollen, teilte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) kürzlich mit. Einige Arztpraxen werden die ePA sofort nutzen können. In anderen Fällen müsse das Modul noch installiert, freigeschaltet oder erst bereitgestellt werden.  

Für gesetzlich Versicherte bleibt die Nutzung der ePA freiwillig. Sie können widersprechen, ansonsten legen die Krankenkassen automatisch eine Akte an. Etwa fünf Prozent der gesetzlich Versicherten haben der Einführung bislang widersprochen.

Neuerung ist „Zeitenwende“

Die Einführung der ePA sei eine „Zeitenwende“ in der Digitalisierung, erklärte gestern der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Er betonte, die Zeit bis Oktober werde zur freiwilligen Nutzung ausreichen. „Jeder hat die Möglichkeit sich intensiv damit auseinanderzusetzen“, erklärte er. Lauterbach geht davon aus, dass die meisten Ärztinnen und Ärzte die ePA sehr schnell nutzen werden.

Die Vorbereitung der ePA sei zudem mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) sowie den Ärzteverbänden eng abgestimmt worden, erklärte Lauterbach gestern weiter.

Das BSI hat gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) mögliche Sicherheitsbedenken, die der Chaos Computer Club (CCC) Ende 2024 aufgedeckt hatte, hinsichtlich der ePA bewertet und Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit eingeleitet. Lauterbach hatte zuletzt betont, dass entsprechende Sicherheitsmaßnahmen mittlerweile umgesetzt worden seien. Der CCC hatte vor wenigen Wochen hingegen bemängelt, dass die aufgedeckten Sicherheitsprobleme noch nicht behoben worden seien.

Das BSI reagierte auf mehrmalige Anfragen nicht. Zum Beispiel, welche Sicherheitslücken konkret geschlossen worden sind und wie die Sicherheit der ePA künftig gewährleistet werden kann.

BSI: Sicherheit wird gewährleistet

Auf der BSI-Webseite erklärte das Amt lediglich: „Die Sicherheit der Daten in der elektronischen Patientenakte ist durch eine umfassende Sicherheitsarchitektur gewährleistet. Die sensiblen Gesundheitsdaten werden verschlüsselt in zertifizierten Rechenzentren in Deutschland gespeichert.“

In den leistungserbringenden Institutionen würden zudem BSI-zertifizierte Konnektoren, Kartenterminals und Smartcards für einen sicheren Zugang zur Telematikinfrastruktur sorgen.

Weiter erfolge der Datenaustausch mit den Servern der ePA über verschlüsselte Kanäle. Mit diesem Sicherheitskonzept erfülle die ePA die „höchsten Sicherheitsanforderungen nach aktuellem Stand der Technik“ und biete gleichzeitig eine moderne und verlässliche Grundlage für die digitale Gesundheitsversorgung, erklärte das BSI.

Auch der Geschäftsführer der nationalen Digitalagentur Gematik, Florian Fuhrmann, erklärte gestern: „Für uns hat die Sicherheit von Gesundheitsdaten oberste Priorität.“ Wie geplant, seien die mit dem BSI abgestimmten Sicherheitsmaßnahmen fristgerecht zur bundesweiten Einführung erfolgreich abgeschlossen worden.

„Zusammen mit unseren Gesellschaftern, dem BSI und unseren Industriepartnern sind wir kontinuierlich im engen Austausch, um die Sicherheit der ePA für alle zu gewährleisten“, erklärte Fuhrmann.

Fairer Zeitraum, um ePA einzuführen

Aus den Testregionen kommen unterschiedliche Reaktionen zum bundesweiten Start. Stefan Spieren, Hausarzt aus Wenden und Inhaber einer ePA-Testpraxis, findet den freiwilligen, bundesweiten Start richtig. „Wer mitmachen will, kann mitmachen. Und wer nicht mitmacht, steigt eben später ein“, sagte er dem Deutschen Ärzteblatt.

Er bewertet das halbe Jahr bis die Nutzung verpflichtend wird, als „fairen Zeitraum“, um sich technisch und organisatorisch auf die ePA vorbereiten zu können. „Es nochmal aufzuschieben, hätte aber nicht zu mehr Bereitschaft vonseiten der Ärztinnen und Ärzten geführt, die ePA zu nutzen.“

Bei ihm läuft die ePA bis auf teils kleinere Störungen seitens der Krankenkassen ohne Probleme. „Die ePA ist bei uns im Praxisalltag gut integriert.“ Spieren wünscht sich aber, dass bis Ende des Jahres auch alle privaten Krankenversicherungen elektronische Patientenakten für ihre Versicherten anbieten würden.

Moritz Eckert, Hausarzt in Herzberg am Harz, hätte sich hingegen eine Verlängerung der Testphase mit mehr Teilnehmern gewünscht. „Wenn jetzt viele die ePA nutzen, wird es auch viel Frustration und einen Ansturm von Nachfragen bei den PVS-Herstellern geben.“ Bereits jetzt habe er beobachtet, dass das System unter der Woche vormittags nicht so stabil laufen würde wie etwa am Wochenende.

Hausärzte werden ePA meist befüllen

„Es wird sich zeigen, ob die Server den größeren Lasten standhalten können.“ Eckert befürchtet zudem, dass viele Ärzte durch die ungleichen Honorare der Erst- und Folgebefüllung versuchen werden, die ePA mit einem Dokument zu befüllen. Für die weitere Befüllung bestehe hingegen kaum ein finanzieller Anreiz, deshalb werde diese Aufgabe vermutlich lediglich an den Hausärzten hängen bleiben, erklärte Eckert.

Gordon Weinberg, Infektiologe aus Berlin, möchte die ePA zeitnah ausprobieren. „Mein PVS-Hersteller hat mich informiert, dass wir die ePA ab dem 29. April nutzen können.“ Er werde nun prüfen, ob die Software und das neue ePA-Modul tatsächlich funktioniert. Vonseiten der Patientinnen und Patienten kamen allerdings wenig Rückfragen zur ePA. Rund einmal pro Monat hätte ihn ein Patient in der Praxis darauf angesprochen, sagte Weinberg.

Die Allgemein- und Palliativmedizinerin Ulrike Kretschmann aus Marburg hatte heute noch keinen Zugang zur ePA. Ihr PVS-Hersteller habe das benötigte Modul noch nicht geliefert, erklärte sie. Die Einführung der ePA in der aktuellen Funktionsweise sieht sie aber kritisch.

„Nicht digitalaffine Menschen, die etwa aufgrund ihres Alters oder Behinderungen kein Handy bedienen können, werden benachteiligt.“ Sie könnten sensible Dokumente in ihrer ePA nicht verschatten, bemängelt Kretschmann. Zudem fehle es an Aufklärung, ihre Patientinnen und Patienten wüssten kaum über die ePA Bescheid. Deshalb rät sie ihnen derzeit davon ab, die ePA zu nutzen.

„Soft-Start“ ist der richtige Weg

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung begrüßte den schrittweisen Einstieg in die ePA. „Ein Softstart ist deshalb der richtige Weg, um den Praxen, die ePA-ready sind, den freiwilligen Einstieg zu ermöglichen“, erklärte KBV-Vorstandsmitglied Sibylle Steiner. „Und Praxen, die noch nicht so weit sind – weil die Technik bei ihnen noch nicht funktioniert –, bekommen mehr Zeit, um sich vorzubereiten.“

In diesem Zusammenhang sei es folgerichtig, dass die ePA erst ab 1. Oktober verpflichtend zu nutzen ist und Sanktionen zumindest in diesem Jahr nicht drohen werden, sagte Steiner. Zu begrüßen seien auch geplante Ausnahmen bei der Befüllung von Akten von Kindern. „Der Schutz des Kindes muss absoluten Vorrang haben.“

Kritik an dem bundesweiten Start gibt es etwa vonseiten der Patientenvertreter. Dass einzelne Dokumente für bestimmte Ärztinnen und Ärzte nicht verschattet werden können, kritisierte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. „So kann auch ein Orthopäde sehen, dass der Patient in jahrelanger psychotherapeutischer Behandlung ist, selbst wenn der Patient diese Information nur für neurologische Fachärzte zur Verfügung stellen will.“

Mehr Differenzierungsmöglichkeiten gefordert

Wer diese Information verbergen oder löschen möchte, muss dies für alle Ärzte tun. Versicherte können bislang nur den Zugang zu den gesamten Inhalten der ePA für einzelne Praxen, Krankenhäuser oder Apotheken sperren. Diese können dann in die Akte keine Einsicht mehr nehmen oder Dokumente einstellen.

Zudem können keine einzelnen Ärztinnen oder Ärzte in den Arztpraxen für die Sperrung ausgewählt werden. Der Patientenschützer forderte, die ePA so lange zu stoppen, bis entsprechende Differenzierungsmöglichkeiten sichergestellt seien.

Auch die Deutsche Aidshilfe (DAH) beobachtet den heutigen Start mit großer Sorge. „Technische Sicherheitslücken sind nicht glaubhaft geschlossen und ein einfacher, selbstbestimmter Umgang mit sensiblen Diagnosen ist nicht gewährleistet“, sagte Sylvia Urban vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe. Auch sie kritisierte fehlende Möglichkeiten, solche Informationen für bestimmte Ärzte oder Apotheken zu verbergen.

Auf die Frage, ob diese differenzierteren Zugriffsrechte für die Zukunft geplant sind, ging die Gematik auch auf Nachfrage nicht ein. Die nationale Agentur für Digitale Medizin verwies lediglich darauf, dass Versicherte Daten in ihrer ePA löschen könnten oder in der Arztpraxis darauf hinweisen könnte, dass kein Eintrag in die ePA erfolgen soll. Bei der Einstellung von hochsensiblen Informationen in die ePA müssen Leistungserbringer zudem auf Widerspruchsmöglichkeiten hinweisen.

Durch den Start auf Raten drohe zudem mehr Verunsicherung der Patienten, erklärte Urban von der Deutschen Aidshilfe weiter. „Die ePA kann viel zu einer besseren Gesundheitsversorgung beitragen – aber sie ist noch nicht einsatzbereit.“

Kritik an der Patientenakte kam auch von der Linkspartei. Der Bundestagsabgeordnete Ates Gürpinar nannte diese „eine Gefahr“ für Patientinnen und Patienten. Es gehe „erkennbar nicht darum, die Gesundheit und medizinische Sicherheit“ zu steigern, „sondern Berge sensibler Daten zu sammeln“, erklärte Gürpinar in Berlin. Dabei sei unklar, „wer diese personenbezogenen Daten von Millionen Versicherten wie auswerten darf“.

Die Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) wies auf eine stärkere Patientenperspektive hin. Die ePA müsse einen spürbaren Alltagsnutzen bieten, etwa weil Impf- oder Bonushefte bequem und jederzeit digital griffbereit sind, erklärte Lucas Auer, Gesundheitsexperte des Verbands.

Zudem müssen Patienten eine informierte Entscheidung für oder gegen die ePA treffen können. „Die Aufklärung, insbesondere rund um mögliche Risiken der ePA, kam aus unserer Sicht bislang zu kurz“, bemängelte Auer.

Eine niedrige Widerspruchsquote bei der ePA sei kein eindeutiges Zeichen für breite Zustimmung, sie kann ebenso Ausdruck mangelnder Information und Aufklärung sein. „Wir erwarten, dass das Gesundheitsministerium als auch die Krankenkassen hier nachlegen.“

cmk/afp/kna

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