Politik

Entlastung geplant: Parlament befasst sich mit Reform des Maßregelvollzugs

  • Freitag, 3. März 2023
Marco Buschmann, Bundesminister der Justiz /picture alliance, photothek, Thomas Trutschel
Marco Buschmann, Bundesminister der Justiz /picture alliance, photothek, Thomas Trutschel

Berlin – Der Bundestag will sich in Kürze den übermäßig hohen Zuweisungen von suchtkranken Straftätern in den Maßregelvollzug widmen. Das hat Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) in einer Grußbotschaft zu einer Fachveranstaltung des Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) mitgeteilt.

Die Reform ziele darauf ab, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wieder stärker auf tatsächlich be­handlungsbedürftige und behandlungsfähige Straftäterinnen und Straftäter zu konzentrieren, sagte Busch­mann. Er sei zuversichtlich, dass durch diese Reform den Entziehungsanstalten und ihren Patienten die ge­wünschte Entlastung bringen werde, sagte der Minister.

Die Ampelkoalition plant, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach Paragraf 64 Strafgesetzbuch (StGB) enger zu fassen. „Die Anforderungen an den erforderlichen ,Hang' zum übermäßigen Rauschmittel­kon­sum, an den Zusammenhang zwischen Hang und Straffälligkeit und an die Erfolgsaussicht einer Behandlung werden zu diesem Zweck erhöht“, schreibt das Bundesjustizministerium (BMJ) dazu.

Buschmann wies darauf hin, dass die lange von einer Bund-Länder-Kommission vorbereitete Reform des zu­grundeliegenden Paragrafen 64 StGB vom Kabinett im vergangenen Jahr vor Weihnachten gebilligt worden sei.

Das Thema solle voraussichtlich Mitte im März im Bundestag in erster Lesung behandelt werden, hieß es aus dem Ministerium. Günstigenfalls könnte Buschmann zufolge bereits im Mai die notwendige zweite und dritte Lesung stattfinden. Das neue Gesetz könnte dann voraussichtlich zum 1. Juli oder spätestens zum 1. Oktober dieses Jahres in Kraft treten.

Zuletzt negativ aufgefallen ist die Lage des Maßregelvollzugs in Berlin, der völlig überfüllt ist. Aber auch andere Bundesländer haben ähnliche Probleme. Der Grund ist nicht allein, dass es zu wenige Behand­lungsplätze für suchtkranke Straftäter gibt. Schon lange bekannt ist, dass die bisherigen Formulierungen im Gesetz dazu führen, dass Straftäter in den Maßregelvollzug kommen, die dort nicht unbedingt hingehören.

Hintergrund ist, dass der Gesetzgeber in Deutschland derzeit vorsieht (Paragraf 64 StGB), dass Strafgerichte zwingend eine Unterbrin­gung von Straftätern für eine Therapie in einer Entziehungsanstalt im Krankenhaus des Maßregelvollzugs (KMV) anordnen sollen, wenn bestimmte Voraussetzungen bei einer begangenen Tat vorliegen.

Dazu gehört unter anderem, dass die Tat in einem (auch losen) Zusammenhang mit einer treibenden oder beher­rschenden Neigung zu Rauschmitteln steht und Erfolgsaussichten auf eine Therapie bestehen. Konkret muss ein „Hang zum Konsum im Übermaß“ bestehen. Auch ein chronischer Missbrauch ist dort einzuordnen. Die psychia­trische Diagnose einer Störung durch psychotrope Substanzen fordert das Gesetz nicht.

Eine Unterbringung in einem KMV ist nicht mit einer Haftanstalt zu vergleichen, weil die Bedingungen besser sind. Im KMV arbeiten ausschließlich Pflegekräfte auf den Stationen und kein Wachpersonal. Die Patienten wer­den durch Ärzte und Psychologen sowie den Sozialdienst betreut. Zunehmende Lockerungen der Unter­bringungs­bedingungen bis hin zur offenen Unterbringung gehören zur Therapie. Von Vorteil ist eine Unter­bringung im KMV auch, weil Täter derzeit nach erfolgreich durchlaufener Therapie häufig früher in die Frei­heit entlassen werden als aus einer Haftanstalt.

Die vollzugsrechtliche Praxis zeige, dass sich nicht nur die Anzahl der Patienten, sondern auch die Struktur der Klientel geändert habe, sagte Thomas Götz, damals Psychiatriebeauftragter des Landes Berlin, dem Deutschen Ärzteblatt, bereits im Jahr 2019. So würden dem Maßregelvollzug in „nicht unerheblichem Umfang“ Patienten zugewiesen, bei denen „keine eindeutige Abhängigkeitserkrankung vorliege, sondern eher ein missbräuch­licher Drogenkonsum als Teil des delinquenten Lebenswandels“. Götz ist derzeit Staatssekretär für Gesundheit und Pflege in der Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit.

Götz mahnte damals dringend Reformen an. So müsste für eine Unterbringung im KMV die Diagnose einer Subs­tanzabhängigkeit vorliegen sowie die Motivation zur Therapie. Die Forderungen lassen sich Götz zufolge auch in einem Abschlussbericht der Unterarbeitsgruppe „Reform des Paragrafen 64 StGB“ der AG Psychiatrie der Arbeits­gemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden unter Federführung des Landes Berlin finden. In ihrem Abschlussbericht von September 2018 sprachen sich die Experten für eine punktuelle Reform der Regelungen über die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aus.

Mit den Ergebnissen der Arbeitsgruppe hatte sich 2019 die Gesundheitsministerkonferenz der Länder (GMK) befasst. Die Gesundheitsminister beschlossen damals, dass die GMK gemeinsam mit den Vertretern der Justiz­ressorts über eine Reform des Paragrafen 64 StGB beraten sollte.

Berlins Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) hatte Ende Februar vor der Presse zum Thema betont, dass die KMV in den Ländern wichtige Einrichtungen seien. Man müsse dafür sorge tragen, dass diese Einrichtungen auch gut funk­tionierten. Das sei wichtig für die Bürger, die Patienten und Mitarbeiter, die im KMV arbeiteten.

Gote betonte auch, dass sich bei der bundesgesetzlichen Änderung dringend etwas ändern müsse. Da seien sich die Länder einig. Grund sei, dass die Zuweisungszahlen gerade in der Gruppe der drogenabhängigen Straftäter so massiv wachsen würden. „Wir – und Fachleute – sind eigentlich schon lange der Meinung, dass eigentlich nicht alle, die über den Paragrafen 64 StGB zu uns kommen, bei uns auch tatsächlich richtig sind“, sagte sie.

Am 10. Februar sei der Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums im Bundesrat durch die Länderkammer ge­gangen. Man hoffe sehr, dass das die Reform in diesem Jahr noch greifen werde. Das werde nicht sofort, aber langfristig eine Entlastung geben.

Mit den Herausforderungen des Maßregelvollzugs befasst sich in diesen Tagen auch eine Fachkonferenz des LWL. Der Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), Georg Lunemann, skizzierte dabei die größten Herausforderungen.

Dazu gehöre die Überbelegung fast aller forensischen LWL-Kliniken. Bei der Unterbringung suchtkranker Straftäter werde das schon lange beobachtet, sagte er. Es gelte aber auch für die Unterbringung von psychisch kranken Straftätern mit Psychoseerkrankungen (nach Paragraf 63 StGB). Außerdem seien immer größere An­strengungen notwendig, um trotz des Fachkräftemangels qualifiziertes Personal für die Maßregelvollzugs­klini­ken des LWL zu rekrutieren.

Sorgen bereite ihm auch der Zuwachs an vorläufig untergebrachten Patienten und der Wiederanstieg der gemäß Paragraf 63 StGB Untergebrachten, so Lunemann. Die Ursachen dafür seien nicht so klar wie bei der Überbelegung der Suchtkliniken. Es gebe Hinweise, dass dies mit Veränderungen in der gemeindepsychiatri­schen Versorgung zusammenhänge, so der Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe.

Die Entwicklung einer verstärkt ambulanten gemeindepsychiatrischen Versorgung sei sehr zu begrüßen. Aber häufig gebe es keine adäquaten Versorgungsstrukturen für potenziell gewalttätige psychisch kranke Men­schen mehr. Es dürfe nicht sein, dass sich das System hier per se für nicht zuständig erkläre. „Aus meiner Sicht wäre es erforderlich, dass sich die Gemeindepsychiatrie einerseits stärker an der Versorgung auch von ehema­ligen Maßregelvollzugspatienten beteiligt“, sagte Lunemann.

Andererseits sei die Gemeindepsychiatrie auch vorbeugend gefragt: Der LWL-Direktor sprach sich dafür aus, für psychisch kranke Menschen mit einer gewissen Gewaltneigung Präventionsambulanzen zu etablieren, die genauso wie das von Nordrhein-Westfalen eingeführte Polizeiprogramm „PeRiskoP“ eine weitere Eskalation und mögliche Straftaten verhindern, Opfer schützen und psychisch kranken Menschen helfen soll, ein straf­freies, möglichst normales Leben zu führen.

Bis heute tagen rund 550 forensischen Fachleute aus der Bundesrepublik noch im LWL-Zentrum für Forensi­sche Psychiatrie Lippstadt-Eickelborn. Sie befassen sich mit etlichen Themen des Maßregelvollzuges, mit aktuellen Entwicklungen und Trends der Forensischen Psychiatrie.

may/EB

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