Gesundheitsapps: Verzeichnis zeigt an, was Ärzte verordnen können

Berlin/Bonn – Ärzte können erstmals zwei digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nahm heute die beiden ersten verschreibungsfähigen Apps in das neue DiGA-Verzeichnis auf, wie es selbst bekanntgab.
Als erste Anwendungen hat das BfArM die App Kalmeda und die Webanwendung Velibra ins DiGA-Verzeichnis aufgenommen. Die App Kalmeda des Herstellers Mynoise bietet Patienten mit chronischer Tinnitusbelastung eine leitlinienbasierte, verhaltenstherapeutische Therapie. Die Webanwendung Velibra des Herstellers Gaia dient der Unterstützung von Patienten mit Symptomen von bestimmten Angststörungen.
Das Verzeichnis wird fortlaufend ergänzt. Dem BfArM zufolge befinden sich derzeit 21 weitere digitale Anwendungen in der Prüfung. Für weitere 75 Anwendungen wurden demnach bereits Beratungsgespräche mit den Herstellern geführt.
Im DiGA-Verzeichnis werden digitale Gesundheitsanwendungen gelistet, die zuvor als Medizinprodukt CE-zertifiziert wurden, zusätzlich vom BfArM in einem Fast-Track-Verfahren geprüft wurden und damit vom Arzt verschrieben oder bei entsprechender Diagnose direkt von der Krankenkasse erstattet werden können.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach von einer „Weltneuheit“. „Deutschland ist das erste Land, in dem es Apps auf Rezept gibt“, erklärte der Minister. BfArM-Präsident Karl Broich betonte, mit der erstmalig systematischen und zügigen Prüfung digitaler Gesundheitsanwendungen im Fast-Track-Verfahren leiste das Bundesinstitut „einen wichtigen Beitrag zur Digitalisierung der Gesundheitsversorgung“.
Die Bewertungszeit liegt bei drei Monaten. Dabei prüft das BfArM, ob eine App die vorgeschriebenen Anforderungen an Sicherheit und Funktionstauglichkeit, Datenschutz und Informationssicherheit sowie Qualität erfüllt. Auch muss der Hersteller einen Nachweis für positive Versorgungseffekte vorlegen.
Falls der Hersteller dafür noch keine ausreichende Grundlage hat, es dazu aber bereits vielversprechende Daten gibt, kann eine App ausnahmsweise in die Liste aufgenommen werden. Die notwendige Studie sollte dann in der Regel binnen einem Jahr vorliegen.
Reaktionen geteilt
Das Echo bei Politik und Akteuren im Gesundheitswesen fällt unterschiedlich aus. Aus Sicht von Maria Klein-Schmeink, Sprecherin für Gesundheitspolitik der Grünen im Bundestag, wird mit dem Fast-Track-Verfahren zur Erstattung von Gesundheitsapps keine wirkliche Verbesserung der Versorgung erreicht. Die Regelung stelle den Nutzen für Patienten in den Hintergrund, sie gleiche mehr einer Wirtschaftsförderung auf Kosten der gesetzlich Versicherten.
Im Extremfall könnten wirkungslose Anwendungen zwei Jahre lang mit Beitragsmitteln der gesetzlich Versicherten bezahlt werden, monierte sie. Es sei auch nicht sichergestellt, dass die Apps in einen Versorgungsprozess eingebunden werden. „Und das alles für einen sehr kleinen Ausschnitt von digitalen Anwendungen.“ Klein-Schmeink plädiert für ein Gesamtkonzept für die Nutzenbewertung und Erstattung digitaler Anwendungen, das alle Risikoklassen umfasst und von den Bedürfnissen der Patienten ausgeht.
Die Krankenkassen sehen zwar Potenzial, machen sich ebenfalls Sorgen wegen der Finanzierung. Entscheidend sei, dass eine digitale Anwendung, die die Kasse bezahlten, für Patienten einen echten medizinischen Mehrwert habe. Was die Solidargemeinschaft finanzier, müsse „Hand und Fuß haben“, sagte Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand beim GKV-Spitzenverband.
Damit schütze man Nutzer vor verkappten Lifestyle-Apps. Denn sobald das BfArM eine neue digitale Gesundheitsanwendung in das Verzeichnis aufgenommen habe, müssten die Krankenkassen ein Jahr lang jeden beliebigen Preis bezahlen, den sich der Hersteller ausgedacht habe.
„Erst nach einem Jahr gilt dann das Ergebnis der Preisverhandlung, die der Hersteller mit dem GKV-Spitzenverband führen wird. Hier sehe ich die große Gefahr, dass aus den Portemonnaies der Beitragszahler ein Jahr lang mehr bezahlt werden muss, als eine neue App tatsächlich wert ist.“
Als einen „guten Startschuss für die digitale Gesundheitsversorgung in Deutschland“ hat der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) die Listung bezeichnet. Bei dem Projekt hätten alle Beteiligten an einem Strang gezogen, lobte BVMed-Geschäftsführer Marc-Pierre Möll die Umsetzung des Fast-Track-Verfahrens für die digitale Gesundheitsversorgung.
Es gelte aber, den Prozess weiterzuentwickeln. Noch sei das Fast-Track-Verfahren nur auf digitale Medizinprodukte niedriger Klassen beschränkt. Der BVMed setzt sich dafür ein, dass das Fast-Track-Verfahren auch für die Medizinprodukte-Klassen IIb und III gilt.
„Digitale Medizinprodukte höherer Risikoklassen sowie Kombinationsprodukte sind schon in Wartestellung, um die digitale Versorgung weiter zu ergänzen und zu verbessern“, erklärte BVMed-Digitalexpertin Natalie Gladkov.
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