Politik

Gesundheitsapps: Verzeichnis zeigt an, was Ärzte verordnen können

  • Dienstag, 6. Oktober 2020
/imagecore, stock.adobe.com
/imagecore, stock.adobe.com

Berlin/Bonn – Ärzte können erstmals zwei digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) zu­las­ten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnen. Das Bundesinstitut für Arz­neimittel und Medizinprodukte (BfArM) nahm heute die beiden ersten verschreibungs­fähigen Apps in das neue DiGA-Verzeichnis auf, wie es selbst bekanntgab.

Als erste Anwendungen hat das BfArM die App Kalmeda und die Webanwendung Velibra ins DiGA-Verzeichnis aufgenommen. Die App Kalmeda des Herstellers Mynoise bietet Pa­tienten mit chronischer Tinnitusbelastung eine leitlinienbasierte, verhaltenstherapeu­ti­sche Therapie. Die Webanwendung Velibra des Herstellers Gaia dient der Unterstützung von Patienten mit Symptomen von bestimmten Angststörungen.

Das Verzeichnis wird fortlaufend ergänzt. Dem BfArM zufolge befinden sich derzeit 21 wei­tere digitale Anwendungen in der Prüfung. Für weitere 75 Anwendungen wurden dem­nach bereits Beratungsgespräche mit den Herstellern geführt.

Im DiGA-Verzeichnis werden digitale Gesundheitsanwendungen gelistet, die zuvor als Medizinprodukt CE-zertifiziert wurden, zusätzlich vom BfArM in einem Fast-Track-Verfah­ren geprüft wurden und damit vom Arzt verschrieben oder bei entsprechender Diagnose direkt von der Krankenkasse erstattet werden können.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach von einer „Weltneuheit“. „Deutsch­land ist das erste Land, in dem es Apps auf Rezept gibt“, erklärte der Minister. BfArM-Prä­sident Karl Broich betonte, mit der erstmalig systematischen und zügigen Prüfung digita­ler Gesundheitsanwendungen im Fast-Track-Verfahren leiste das Bundesinstitut „einen wichtigen Beitrag zur Digitalisierung der Gesundheitsversorgung“.

Die Bewertungszeit liegt bei drei Monaten. Dabei prüft das BfArM, ob eine App die vorge­schriebenen Anforderungen an Sicherheit und Funktionstauglichkeit, Datenschutz und In­formationssicherheit sowie Qualität erfüllt. Auch muss der Hersteller einen Nachweis für positive Versorgungseffekte vorlegen.

Falls der Hersteller dafür noch keine ausreichende Grundlage hat, es dazu aber bereits vielversprechende Daten gibt, kann eine App ausnahmsweise in die Liste aufgenommen werden. Die notwendige Studie sollte dann in der Regel binnen einem Jahr vorliegen.

Reaktionen geteilt

Das Echo bei Politik und Akteuren im Gesundheitswesen fällt unterschiedlich aus. Aus Sicht von Maria Klein-Schmeink, Sprecherin für Gesundheitspolitik der Grünen im Bun­des­tag, wird mit dem Fast-Track-Verfahren zur Erstattung von Gesundheitsapps keine wirk­liche Verbesserung der Versorgung erreicht. Die Regelung stelle den Nutzen für Pa­tienten in den Hintergrund, sie gleiche mehr einer Wirtschaftsförderung auf Kosten der gesetzlich Versicherten.

Im Extremfall könnten wirkungslose Anwendungen zwei Jahre lang mit Beitragsmitteln der gesetzlich Versicherten bezahlt werden, monierte sie. Es sei auch nicht sichergestellt, dass die Apps in einen Versorgungsprozess eingebunden werden. „Und das alles für einen sehr kleinen Ausschnitt von digitalen Anwendungen.“ Klein-Schmeink plädiert für ein Gesamtkonzept für die Nutzenbewertung und Erstattung digitaler Anwendungen, das alle Risikoklassen umfasst und von den Bedürfnissen der Patienten ausgeht.

Die Krankenkassen sehen zwar Potenzial, machen sich ebenfalls Sorgen wegen der Fi­nan­­zierung. Entscheidend sei, dass eine digitale Anwendung, die die Kasse bezahlten, für Pa­tien­ten einen echten medizinischen Mehrwert habe. Was die Solidargemeinschaft finan­­zier, müsse „Hand und Fuß haben“, sagte Stefa­nie Stoff-Ahnis, Vorstand beim GKV-Spitzenverband.

Damit schütze man Nutzer vor verkappten Lifestyle-Apps. Denn sobald das BfArM eine neue digitale Gesundheitsanwendung in das Verzeichnis aufge­nomm­en habe, müssten die Krankenkassen ein Jahr lang jeden beliebigen Preis bezahlen, den sich der Hersteller ausgedacht habe.

„Erst nach einem Jahr gilt dann das Ergebnis der Preisverhandlung, die der Hersteller mit dem GKV-Spitzenverband führen wird. Hier sehe ich die große Gefahr, dass aus den Por­te­monnaies der Beitragszahler ein Jahr lang mehr bezahlt werden muss, als eine neue App tatsächlich wert ist.“

Als einen „guten Startschuss für die digitale Gesundheitsversorgung in Deutschland“ hat der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) die Listung bezeichnet. Bei dem Projekt hätten alle Beteiligten an einem Strang gezogen, lobte BVMed-Geschäftsführer Marc-Pierre Möll die Umsetzung des Fast-Track-Verfahrens für die digitale Gesundheitsversor­gung.

Es gelte aber, den Prozess weiterzuentwickeln. Noch sei das Fast-Track-Verfahren nur auf digitale Medizinprodukte niedriger Klassen beschränkt. Der BVMed setzt sich dafür ein, dass das Fast-Track-Verfahren auch für die Medizinprodukte-Klassen IIb und III gilt.

„Digitale Medizinprodukte höherer Risikoklassen sowie Kombinationsprodukte sind schon in Wartestellung, um die digitale Versorgung weiter zu ergänzen und zu verbessern“, erklärte BVMed-Digitalexpertin Natalie Gladkov.

afp/dpa/kna/may

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung